Ein 328er-BMW mit einem nicht typisierten Gewindefahrwerk, zwischen Frontspoiler und Fahrbahn passt kein Löschblatt. 20-Zoll-Felgen und LED-Lichter in den Scheinwerfern sowie ein ohrenbetäubender Auspuffklang jenseits der 110 Dezibel.
Solche und ähnliche Autos führten zuletzt zu Hunderten Anzeigen wegen technischer Mängel und enormer Geschwindigkeitsübertretungen bei illegalen Treffen der Tuning- und Roadrunner-Szene in ganz Österreich.
Weil wegen des Lockdowns Discos und Bars seit Wochen geschlossen und Tuning-Treffen untersagt sind, haben sich Autoliebhaber einen neuen Zeitvertreib für die Nächte gesucht.
Kahlenberg
Am Wiener Kahlenberg stoppte die Polizei zuletzt ein Treffen mit rund 300 Fahrzeugen. Auf Oberösterreichs Straßen wurden sogar bis zu 800 getunte Autos bei Rennen, Burn-outs und Drifts erwischt, und auch am nördlichen Stadtrand von Wiener Neustadt treffen sich Freitag- und Samstagnacht Hunderte Autofreaks und anderes Partyvolk zum Sehen und Gesehenwerden.
Was zurück bleibt, sind nicht nur bunte Drohnen-Aufnahmen, die stolz in den sozialen Medien geteilt werden, sondern auch Müll und Bremsspuren auf den Parkplätzen.
„Die meisten sitzen herum, rauchen Shisha und sind vollkommen friedlich. Ein kleinerer Kern tobt sich auf der Straße mit Beschleunigungsrennen und durchdrehenden Rädern aus“, berichtet Michael Heyderer von der Polizeiinspektion Josefstadt in Wiener Neustadt.
In seinem Rayon nahmen an den vergangenen Wochenenden am Parkplatz des Shoppingcenter Nord mehr als 500 Personen an den nächtlichen Treffen teil. Der Betreiber will den Parkplatz bereits mit einem Schranken sperren lassen. Ganz zur Freude der Anrainer will man hier den Roadrunnern mit einem massiven Polizeiaufgebot Einhalt gebieten.
Konsequenzen
In Oberösterreich wurde zu dem Thema sogar ein „runder Tisch“ einberufen: Infrastrukturlandesrat Günther Steinkellner (FPÖ) fordert, dass Straßenrennen ein eigener Straftatbestand werden. Zudem soll eine Abnahme des Autos bei einer Überschreitung der Höchstgeschwindigkeit von 70 km/h ermöglicht werden.
Der Bezirksvorsteher von Döbling, Daniel Resch (ÖVP), ließ am Kahlenberg Betonleitwände aufstellen – weitere sollen folgen, um den Platz für sogenannte „Hatzerl“ einzuschränken.
Resch denkt sogar über ein nächtliches Fahrverbot am Kahlenberg nach. „Es geht nicht darum, jemandem den Spaß zu verderben, es geht um Sicherheit, Anrainer und Umwelt“, sagt der Bezirksvorsteher. Schließlich sei der angrenzende Wienerwald naturgeschützt.
Und auch in der Szene selbst sind die Treffen umstritten: Während es den wahren „Tunern“ darum geht, selbst am Auto zu schrauben, und ihre polierten und modifizierten Karossen voller Stolz der versammelten Menge zu präsentieren, legen sich einige Unbelehrbare mit der Polizei an.
„Meist haben diese Typen nicht einmal getunte Autos. Sie sind für die ganze Szene einfach nur schädigend“, berichtet etwa Dogran B., der selbst an einem Treffen in Wiener Neustadt teilnahm.
David Reiner veranstaltet mit der „Ländle Car Community“ Treffen der Tuning-Szene in Vorarlberg. Damit ist er einer der wenigen, die sich das noch antun. Vielen sind die Auflagen dafür zu streng.
„Ich kann nicht verstehen, dass man die paar Monate nicht ohne Treffen aushält“, sagt er. Die meisten Menschen hätten ohnehin kein gutes Bild von der Szene. Aber: Die Community lebt eben vom Austausch über die Autos und vom gemeinsamen Tüfteln – deswegen werde er, sobald es möglich ist , wieder offizielle Veranstaltungen organisieren.
300 Autos trafen sich vergangenes Wochenende am Wiener Kahlenberg. Es folgten hunderte Anzeigen
500Personen nahmen an Treffen in Wiener Neustadt teil – es kam zu gefährlichen Straßenrennen
2.000 Raser mit rund 800 Autos sammelten sich an mehreren Orten in Oberösterreich – die Polizei kündigt Schwerpunktkontrollen an
Kein Ersatz für abgesagte Events
Die spontan über soziale Medien organisierten Treffen der Tuning-Szene haben in den vergangenen Wochen immer wieder für Schlagzeilen gesorgt. Corona-bedingt wurde heuer etwa das berühmte GTI-Treffen in Reifnitz abgesagt. Es hätte dieses Wochenende stattgefunden.
„Man bietet den Tunern derzeit keinen Ersatz. Wahrscheinlich, weil die Treffen auch sonst nicht sehr beliebt sind“, sagt Marion Seidenberger, Verkehrspsychologin beim ÖAMTC.
Es gehe in der Szene eben vor allem darum, zu zeigen, wie toll und geschickt man ist und wie viel Geld man in sein Auto gesteckt habe. „Das ist wie ein moderner Arenakampf“, sagt Seidenberger. Die Treffen hätten vielleicht auch die Funktion eines Marktes, wo Neues ausprobiert und mit Autos gehandelt wird.
Männliche Szene
Die Szene bestehe zu 90 Prozent aus Männern, die jeden Cent in ihr Hobby investieren. Bei illegalen Rennen und Treffen komme dann auch noch der Kick dazu, von der Polizei erwischt werden zu können oder Umbauten verstecken zu müssen. Auch könne man so zeigen, wie gut man in der Szene vernetzt ist. „Gut ist, dass Drogen und Alkohol dabei eine untergeordnete Rolle spielen“, sagt die Psychologin.
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