Schuldsprüche in Prozess um Volksbefragung zu Tiroler "Gletscherehe"
Im Falle der Volksbefragung zum letztlich gescheiterten Skigebietzusammenschluss Pitztal-Ötztal in Tirol sind drei wegen Missbrauchs der Amtsgewalt angeklagte Mitglieder der Wahlbehörde am Dienstag am Landesgericht Innsbruck zu bedingten Haftstrafen verurteilt worden. Der Erst- sowie Drittangeklagte erhielten zwölf Monate bedingt, der Zweitangeklagte elf Monate. Zusätzlich wurden sie zu Geldstrafen sowie zum Ersatz der Verfahrenskosten verdonnert.
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Der Schöffensenat unter Vorsitz von Richter Michael Böhler verhängte zusätzlich zu den Freiheitsstrafen 360 Tagsätze für Erst- und Drittangeklagten sowie 300 für den Zweitangeklagten. Die Urteile waren vorerst nicht rechtskräftig, sowohl die Verteidiger als auch die Staatsanwaltschaft gaben keine Erklärung ab.
Den Angeklagten war vorgeworfen worden, Wahlkarten für andere Wahlberechtigte mit „Pro-Stimmen“ ausgefüllt zu haben. Während die Staatsanwaltschaft Schuldsprüche forderte, plädierten die Verteidiger auf Freisprüche für ihre Mandanten. Die Beschuldigten hatten sich im Prozess nicht schuldig bekannt.
"Geht um Demokratie"
„Es geht um die Sicherung der Grundwerte unserer Demokratie“, betonte Richter Böhler in der Urteilsbegründung. Wahlen seien das zentrale Instrument einer Demokratie. Dieses sei von Angeklagten „mit Füßen getreten“ worden. „Ihnen ist es darauf angekommen, das Wahlergebnis zu beeinflussen“, nämlich mehr Pro-Stimmen zu erreichen, mahnte der Richter. Auch wenn das Handeln der Angeklagten nicht ausschlaggebend für den Ausgang der Volksbefragung gewesen sei, sei diese beeinflusst worden.
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Die Gemeinde sei um die rechtmäßig abgehaltene Wahl betrogen worden, außerdem die Wahlberechtigten um die Ausübung ihres persönlichen und geheimem Wahlrechts gebracht. „Sie haben Unterschriften gefälscht - bei einer Wahl. Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen“, fand Böhler deutliche Worte. Selbst Kinder wüssten, dass man Unterschriften nicht fälschen dürfe: „Viel deutlicher kann man seine Befugnisse nicht missbrauchen“.
Das Handeln der Angeklagten sei „an Dreistigkeit nicht zu überbieten“, schloss der Richter. Mildernd wurden das Tatsachengeständnis, Reue und bisherige Unbescholtenheit der Angeklagten gewertet, erschwerend die Vielzahl der betroffenen Wahlkarten.
Die drei Männer sollen sich laut Anklage von 17 Wahlberechtigten die Ermächtigung geholt haben, in deren Namen Wahlkarten von der Gemeinde abzuholen. Die Wahlberechtigten erhielten die Wahlkarten dann jedoch nie, warf die Staatsanwaltschaft Innsbruck den Beschuldigten vor. Die Angeklagten sollen die Wahlkarten vielmehr eigenmächtig ausgefüllt und für den Zusammenschluss gestimmt haben.
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Dann sollen sie die Wahlkarten in ihrer Funktion als Teil der Wahlbehörde in das Wahlergebnis miteinbezogen haben bzw. durch andere - redliche - Mitglieder miteinbeziehen haben lassen.
Um rechtmäßige Abstimmung betrogen
Diesen in der Anklageschrift erhobenen Vorwurf wiederholte die Staatsanwaltschaft am Dienstag vor dem Schöffensenat. Dadurch sei auch die Gemeinde St. Leonhard im Pitztal um die Durchführung einer rechtmäßigen Volksbefragung betrogen worden. Die von den Wahlberechtigten erteilten Befugnisse hätten die Angeklagten, bekennende Befürworter des Skigebietszusammenschlusses, „wissentlich missbraucht“ und den Wahlberechtigten gegenüber eine „Drucksituation“ aufgebaut, so die Staatsanwältin. Selbst wenn diese Zustimmung zur „Gletscher-Ehe“ signalisiert hätten, sei es nicht ausgeschlossen, dass sie bei einer geheimen Wahl dann anders abgestimmt hätten.
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Im Schlussplädoyer sah die Staatsanwältin praktisch ein Tatsachengeständnis durch die Angeklagten gegeben. Die Wahlwerbung für die „Gletscher-Ehe“ werde ihnen nicht zur Last gelegt, aber spätestens nach Erhalt der Wahlkarten hätte diesen klar sein müssen, dass ihr Vorgehen rechtlich nicht gedeckt sei. Dort sei klar festgehalten, dass die Unterschrift der Wahlberechtigten selbst geleistet werden müsse. „Die Demokratie lebt vom Wahlrecht“, betonte die öffentliche Anklägerin. Durch Vorgänge wie diese werde die Akzeptanz der Demokratie weiter geschwächt. Deshalb verwies sie auch auf die generalpräventive Wirkung des geforderten Schuldspruchs.
Die drei Angeklagten sagten am Landesgericht getrennt voneinander aus. Alle drei bekannten sich „grundsätzlich nicht schuldig“. Während der Erst- und Zweitangeklagte einräumten, Wahlkarten selbst ausgefüllt und unterschrieben zu haben, wies der Drittangeklagte alle Vorwürfe zurück. Der Erst- und Zweitangeklagte wollten jedoch im Glauben und nach Rückversicherung, das im Sinne der jeweiligen Wahlberechtigten zu tun, gehandelt haben. Beide seien der Meinung gewesen, dass dieses Vorgehen durch die Vollmacht gedeckt gewesen sei. Dass dies rechtlich nicht in Ordnung sein könnte, sei ihnen zum entsprechenden Zeitpunkt „nicht bewusst“ gewesen, erklärten die beiden Beschuldigten.
Dritter Angeklagt weist Schuld von sich
Die Verteidiger der Angeklagten stellten unisono einen wissentlichen Gesetzesbruch durch ihre Mandanten in Abrede. Diese wollten, angesichts der Politikverdrossenheit verständlicherweise, möglichst viele Menschen zur Stimmabgabe motivieren. Die Wahlberechtigten wären dann „heilfroh“ gewesen, ohne Aufwand abstimmen zu können, verwies der Anwalt des Erst- und Zweitangeklagten auf vorherige Zeugenaussagen. Der Anwalt des Drittangeklagten beharrte indes auf eine andere Beurteilung des Handelns seines Mandanten. Dieser habe keine Unterschriften gefälscht, sondern nur Wahlkarten übernommen, verteilt und wieder zurückgebracht. Eine bewusste Absprache zwischen den Angeklagten stellte er ebenso in Abrede wie Vorsatz.
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Die Aussagen der Angeklagten und Zeugenbefragungen zuvor hatten übrigens erstaunliche Wissenslücken über den Ablauf von demokratischen Wahlprozessen zu Tage treten lassen. Die in der Gemeinde politisch aktiven Angeklagten hatten bekannt, nicht zu gewusst zu haben, dass man nicht für andere abstimmen und unterschreiben dürfe. Die Zeugen - Wahlberechtigte, in deren Namen die Angeklagten Wahlkarten unterfertigt und abgegeben haben sollen - bekannten großteils ebenso, sich nicht um den genauen Ablauf gekümmert zu haben.
Nach der Unterschrift unter die Vollmacht für die Abholung der Wahlkarte habe man sich nicht weiter darum gekümmert oder sei sogar davon ausgegangen, dass eine Pro-Stimme durch die nunmehr Angeklagten dadurch rechtlich in Ordnung wäre, gaben Zeugen an.
Die Volksbefragung über das Projekt „Skigebietszusammenschluss Pitztal-Ötztal“ hatte am 17. Juli 2022 mit einer knappen Ablehnung geendet. Auf die Frage „Soll der Skigebiet Zusammenschluss Pitztal-Ötztal gebaut werden?“, hatten 353 Stimmberechtigte in St. Leonhard mit „Nein“ (50,36 Prozent), 348 (49,64 Prozent) mit „Ja“ gestimmt (Wahlbeteiligung: 59 Prozent).
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Gleich darauf hatten die Verantwortlichen der Pitztaler Gletscherbahn erklärt, das Interesse an der Fortführung des Projektes verloren zu haben. Nach Anklageerhebung wurde seitens der Gemeinde St. Leonhard im Pitztal erneut betont, dass das Projekt abgesagt bleibe.
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