Aus für Gletscherehe: Symbol einer Zeitenwende in den Skibergen
Die abgesagte Gletscherehe zwischen Pitz- und Ötztal ist nur bedingt überraschend. Klimawandel, Corona- und Energiekrise sowie lokaler Widerstand sind kein guter Boden für solche Vorhaben
Drum prüfe, wer sich ewig bindet. Diesem Grundsatz sind die Betreiber der Pitztaler Gletscherbahnen gefolgt und haben die Gletscherehe mit den Nachbarn im Ötztal aufgekündigt, noch bevor sie geschlossen war. Ob es für diese Verbindung jemals den Segen von Behörden und letztlich wohl Gerichten gegeben hätte, ist zu bezweifeln.
Am Sonntag haben die Bürger der Standortgemeinde St. Leonhard im Pitztal den dortigen Gletscherbahnen die Tür zu einem Ausstiegsszenario geöffnet. Bei einer Volksbefragung zu dem Zusammenschluss haben sich 50,36 Prozent der Bewohner gegen den Zusammenschluss ausgesprochen.
Das nahmen die Skigebietsbetreiber zum Anlass, um sich endgültig vom 2020 auf Eis gelegten Projekt Zusammenschluss Pitztal-Ötztal zu verabschieden.
Durchaus ein Paukenschlag, aber letztlich doch nicht die ganz große Überraschung. Denn der Boden, auf dem solcher Erschließungspläne gebaut sind, hat sich in den vergangenen Jahren im wörtlichen wie im übertragenen Sinn massiv verändert.
Wackeliger Boden
Der Klimawandel lässt die Gletscher schmelzen und die Berge bröckeln. Das ist am Pitztaler Gletscher nicht anders. Keine gute Grundlage für jahrelange Verfahren, während denen die Realität jene der Gutachten überholt.
2016 haben die Geschäftsführer der Bergbahnen Sölden und der Pitztaler Gletscherbahnen ein Vorhaben präsentiert, das nicht nur das größte Erschließungsprojekt der jüngeren Zeit in Tirols Bergen, sondern rasch auch das umstrittenste sein sollte – ein heißes Eisen auch für die schwarz-grüne Koalition.
Neuerschließung oder "Überspannung"
Bereits 2013 bei der ersten Auflage der Partnerschaft mussten die Grünen eine mögliche „Überspannung“ einer bisher unberührten Gletscherlandschaft zwischen dem Pitztaler und dem Ötztaler Gletscherskigebiet außer Streit stellen. Was die Investoren im Auge hatten, kam aber einer Neuerschließung gleich.
64 Hektar neuer Pisten, drei Seilbahnen und ein Skitunnel sollten für die Verbindung gebaut werden. Nicht nur WWF und Alpenverein liefen Sturm, auch eine kleine Bürgerinitiative rund um den pensionierten Lehrer Gerd Estermann nahm den Kampf auf – fast 170.000 Menschen unterschrieben seine Petition gegen das Projekt.
Den Widerstand verorteten die Investoren bei den Städtern. Aber Estermann und viele seiner Unterstützer leben draußen am Land, wo der Tourismus längst nicht mehr nur als alleiniger Heilsbringer gesehen wird. Die Auswirkungen des Urlauberverkehrs etwa müssen auch jene schlucken, die nicht am großen Ski-Kuchen mitnaschen.
Und im Pitztal hat nun sogar ein Skiort Nein zu mehr Liften gesagt.
In den vergangenen Jahren wurden in Tirol eine ganze Reihe von Ausbauplänen wieder begraben: von der Politik, nach Widerstand von den Betreibern selbst oder im Falle einer Verbindung zwischen St. Anton am Arlberg und Kappl im Paznauntal vom Gericht, das den Wert unberührter Natur höher einstufte, als den möglichen wirtschaftlichen Nutzen.
Unsichere Zukunft
Den dürften nun auch die Pitztaler Gletscherbahnen für ihr Vorhaben infrage gestellt haben, das mehr als 130 Millionen gekostet hätte. Viel Geld in Zeiten, in denen Corona die Aussichten für den Tourismus weiter eintrübt und in denen eine Energiekrise Skiregionen voll treffen könnte. Denn der Betrieb von Seilbahnen, Bergrestaurants und der obligatorischen Schneekanonen ist energieintensiv. Das wird sich auch bei den Ticketpreisen zeigen.
Kommentare