Angst vorm Fliegen? So gefährlich sind Gewitter, Hagel und Turbulenzen
Beim Landeanflug auf den Flughafen Wien in Schwechat ist am Sonntagabend eine Maschine der Austrian Airlines durch Hagel schwer beschädigt worden. Die Maschine, die mitten durch eine Gewitterzelle flog, landete schließlich stark beschädigt am Wiener Airport. Die Passagiere blieben unverletzt.
Weniger Glück hatten die Fluggäste von Singapore Airlines am 22. Mai. Auf einem Flug von London nach Singapur kam es zu schweren Turbulenzen. Ein Mann (73) aus Großbritannien starb, 30 weitere Menschen wurden verletzt, einige von ihnen schwer.
Stellt sich die Frage: Wie gefährlich sind Gewitter, Hagel, Blitzeinschläge und Turbulenzen eigentlich? Und werden Flugreisen prinzipiell gefährlicher?
Der KURIER hat dazu Gerhard Gruber befragt. Gruber war 30 Jahre als Flugplatzbetriebsleiter am Wiener Flughafen tätig und parallel dazu hat er unter anderem als Linienpilot und Chefpilot über 10.000 Flugstunden absolviert.
Gewittern immer ausweichen
„Grundsätzlich steht in jedem Handbuch für Piloten, dass man einem Gewitter ausweichen soll“, sagt er. Und: Die Wetterverhältnisse auf der Flugstrecken sind den Piloten schon beim Einchecken natürlich bekannt. Und was, wenn man doch von einem Gewitter überrascht wird?
Kleinere Gewittertürme sind generell eigentlich ungefährlich. Bei 800 bis 850 Kilometer in der Stunde durchfliegt einen Maschine solche Gewitterzellen oft unter einer Minute, erklärt Gruber. Anders, wenn man in eine richtige Gewitterzone wie etwa entlang des Äquatorialgürtels gerät. „Das ist dann für Crew und Passagiere nicht wirklich ihr Tag“, so Gruber.
Blitzeinschläge unproblematisch
Blitzeinschläge sind laut Gruber unproblematisch, weil die Flugzeughülle ähnlich wie ein Pkw einen faradayschen Käfig bildet, der als elektrische Abschirmung wirkt. Gruber: „Experten gehen davon aus, dass ein Flugzeug pro 1.000 Flugstunden von einem Blitz getroffen wird.“ Hagel hingegen hält Gruber für nicht ungefährlich. Im April 1977 verunglückte in den USA eine Douglas DC-9-31 nachdem beide Triebwerke beim Durchfliegen eines Gewitters – mit schwerem Hagelschlag – ausgefallen waren, erzählt Gruber. Große Hagelkörner beschädigen ein Flugzeug im Bereich der Nase. Dort befinden sich etwa Navigationssysteme. Cockpitscheiben bestehen aus mehreren Schichten, erläutert Gruber, und sind so massiv gebaut, dass Hagelkörner die Scheiben nicht durchschlagen können.
30 Sekunden "Hagel-Beschuss"
Beschädigt können bei Hagelschlag auch die Tragflügelvorderkanten werden. Gruber vermutet, dass dies auch beim Airbus des Fluges OS434 vom Sonntag der Fall gewesen sein könnte. Äußerst wichtig für die Sicherheit der Crew und Passagiere ist bei Hagel die Belastungsfähigkeit der Triebwerkseinlässe. Gruber: „Hier hat die Europäische Agentur für Flugsicherheit EASA klare Zertifizierungsvorschriften.“ Demnach werden bei den Tests die Triebwerke drei Minuten lang schwerem Regen ausgesetzt und davon zusätzlich 30 Sekunden lang einmal mit 25 Millimeter und einmal mit 55 Millimeter großen Hagelkörnern regelrecht beschossen.
Ohrenbetäubender Lärm
Übrigens: Der Lärm, den der Hagel im Cockpit verursacht, ist ohrenbetäubend und für die Piloten ein enormer Stressfaktor.
Durchfliegt man ein Gewitter, ist ein Flugzeug natürlich auch schweren Turbulenzen ausgesetzt. „Die sind unangenehm, aber grundsätzlich nicht gefährlich“, sagt Gruber. Auch hier gibt es klare Vorschriften. 2,5 G Gravitation muss eine Tragfläche dabei aushalten. Zum Vergleich: 1G Gravitation ist die Beschleunigung, die wir durch die Schwerkraft auf der Erde spüren.
Folgen des Klimawandels
Macht der Klimawandel das Fliegen unsicherer? „Das ist schon seit dem Phänomen El Niño samt dessen globalen Auswirkungen spürbar“, erklärt Gruber. Seiner Erfahrung nach sehe man das zum Beispiel bei Flügen über den Nordatlantik. „Die Erderwärmung und der damit zusammenhängende Anstieg von Temperatur und Luftfeuchte verändern die Flugbedingungen.“
Auch Gruber selbst geriet am Anfang seiner Karriere als Pilot wegen schlechter Sichtbedingungen einmal in eine sehr brenzlige Situation wie er in seinem unlängst erschienenen Buch „Unglaubliche Luftfahrtgeschichten. Meine Erlebnisse“, beschreibt. Und im Laufe seiner Karriere sind nicht weniger als 41 Bekannte oder Freunde bei Flugunfällen ums Leben gekommen.
„Fliegen ist aber heute trotzdem sehr sicher“, sagt er. „Anfang der 1970er-Jahre hatten wir weltweit 70 Notfälle pro Jahr. 2019 waren es 25.“
Und? Denkt man als Pilot nie an ein Unglück? „Man hat als Pilot zu Beginn seiner Karriere zwei Gläser“, sagt Gruber. „Eines ist voll befüllt mit Glück, das andere muss man selbst mit Erfahrungen füllen. Die Kunst als Pilot besteht darin, dass das Glas mit den Erfahrungen voll ist, bevor das Glas mit dem Glück leer ist.“
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