"Als ob es die Kindergärten nicht geben würde"
Eine ganze Burg wächst da auf dem Boden – aus hölzernen Bausteinen mit bunten glitzernden Steinen. Architekten und Baumeisterinnen in einem sind Kaya, Haris, Hannah, Simon, Adrian, sowie Luca und noch ein Luca. Als es kaum mehr Nachschub an den besagten Bausteinen gibt, erweitern die Kinder ihre Burg mit großen und kleineren Kisten.
Wir befinden uns auf Lokalaugenschein im Kindergarten am Bildungscampus in der Seestadt Aspern in Wien-Donaustadt. Der hat, wie alle anderen Kindergärten, trotz Pandemie geöffnet. Und das wird auch angenommen: Etwas mehr als die Hälfte der gut 30.000 in den städtischen Kindergärten angemeldeten Kinder besuchen diese tatsächlich. In privaten Einrichtungen sind mitunter bis zu neun von zehn Kindern anwesend.
Protestnote
Die Pädagoginnen und Pädagogen versuchen dabei, den Jüngsten so gut wie möglich Normalität zu bieten. Die Wertschätzung dafür vermissen aber viele von ihnen, wie ein aktueller offener Brief an die politisch Verantwortlichen vom Bundespräsidenten abwärts zeigt. Es sei ständig von den Schulen die Rede, „aber wer fragt sich, wie es uns in den Kindergärten und Kinderkrippen geht?“ Immerhin macht es meist erst diese Betreuung möglich, dass für viele Familien das Homeoffice möglich ist.
Öffnungszeiten
Anders als im ersten Lockdown sind die Kindergärten für alle Kinder offen, unabhängig davon ob die Erziehungsberechtigten in systemrelevanten Berufen arbeiten. Die Öffnungszeiten können jedoch je nach Bedarf angepasst werden.
Kindergartenpflicht
Die Kindergartenpflicht ist vorerst bis 22. Jänner 2021 ausgesetzt. Kinder im verpflichtenden letzten Kindergartenjahr können ohne Konsequenzen vom Besuch entschuldigt werden .
Damit die Bildungsarbeit in den Kindergärten funktioniert, kurzfristige Ausfälle kompensiert werden können und gleichzeitig Kinder sowie Pädagoginnen und Pädagogen bestmöglich geschützt werden, ist viel Arbeit im Hintergrund nötig. Abstand halten und Maske tragen, die goldenen Regeln der Pandemiebekämpfung in anderen Lebensbereichen, sind hier keine Alternative.
Gerade im Kindergarten sei körperliche Nähe „nicht vermeidbar“, sagt Daniela Cochlár, Leiterin der Wiener Kindergärten. Spätestens, wenn Kinder getröstet werden müssen, kann kein Abstand mehr gewahrt werden. Zudem tragen Pädagoginnen und Pädagogen keine Masken, weil etwa die Sprachentwicklung über das Ablesen des Mundbildes passiert.
In der Seestadt hat man sich an die Umstände gewöhnt. „Mittlerweile sind wir schon sehr geübt“, erzählt Leiterin Angelika Maier. Allerdings zeigt sich auch hier: Im ersten Lockdown war teilweise nur eines der 230 Kinder anwesend, im dritten Lockdown sind es jetzt im Schnitt 167. Logisch, meint Maier: „Wie sollst du auch mit einem Zweijährigen den ganzen Tag im Homeoffice arbeiten?“ Außerdem würden die Kleinen den Kindergarten auch vermissen, wenn sie nicht hingehen dürfen. „Deshalb glauben wir, dass es gut ist, wenn sie kommen.“.
Trotz der neuen Stressfaktoren sollen die Kinder spielen können, ohne ständig auf Abstand hingewiesen zu werden oder nur halbe Gesichter ihrer vertrauten Pädagoginnen zu sehen. Wobei sie die seit fast einem Jahr bekannte Realität ganz gut kennen, keine und keiner fürchtet sich vor den Besuchern, die natürlich alle maskiert sind und auf Abstand achten.
Widerstandskraft
„Wenn Kinder etwas gut erklärt bekommen, können sie gut mit solchen Situationen umgehen, weil sie einfach resilient sind, Krisen anders meistern, mehr im Hier und Jetzt leben“, sagt Maier. Löcher stopfen muss sie relativ wenig, mit 50 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ist der Kindergarten personell gut aufgestellt.
Im Gegensatz zu manchen privaten Kindergärten, die wegen Corona bereits ein Personalproblem haben. Was jedoch auch Maier manchmal fehlt, ist mehr öffentliche Wertschätzung für die erste Bildungseinrichtung. „Aber ich bin keine Jammerin“, sagt sie, „unsere Eltern nehmen unsere Arbeit außerdem auch so wahr“.
Im Großen und Ganzen kommt auch Ruth Odehnal trotz der Umstände gut über die Runden. „Aber wenn jemand erkrankt, dann wird es ganz schwierig“, erzählt die Leiterin des privaten Kindergartens Theresianum in Wien-Wieden, denn wegen der Pandemie dürfen die Gruppen nicht wie sonst gemischt werden. Ansonsten erleben die Kinder aber auch hier weitgehend Alltag.
Mehr Anerkennung für die Leistung, die tagtäglich in den Kindergärten geleistet wird, wünscht sich darum auch Odehnal. „Unser Gefühl ist, dass auf die Elementarpädagogik vergessen wurde. Bildung beginnt in der Kleinkindgruppe, die Diskussion dreht sich aber immer nur um Schulen. Vielen würde es helfen, Wertschätzung zu bekommen und sehen, was geleistet wird“, sagt sie. Das betreffe auch die Kommunikation der Regierung: Bei den zahlreichen Pressekonferenzen werde auf die Kindergärten nie eingegangen, „als ob es sie nicht geben würde“.
Halbe Normalität
Im Kindergarten „Haus Michael“ in Oberwaltersdorf (Bezirk Baden) herrscht Dienstagfrüh ein reges Kommen und Gehen, blendet man die Masken aus, könnte man fast an „normale“ Verhältnisse glauben. Doch an der Eingangstüre ist es mit der Normalität vorbei: Eltern dürfen nicht mit hinein, die Kinder werden von den Betreuerinnen in Empfang genommen. 65 Prozent der insgesamt 74 angemeldeten Kinder werden hier derzeit betreut, sagt Leiterin Vera Walker. „Im ersten Lockdown hatten wir vielleicht ein bis zwei Kinder.“
Von den schwierigen Rahmenbedingungen sollen die Kinder wenig bis nichts mitbekommen. „Sie genießen es sehr, mit Gleichaltrigen spielen zu können, weil das privat wohl nicht mehr so ist“, meint Walker. Ein spezielles „Corona-Programm“ gibt es nicht, „dass die Kinder aufs richtige Händewaschen achten und in die Armbeuge niesen gehört für sie schon zum Alltag.“ Normal ist mittlerweile auch die „berührungslose“ Kommunikation mit den Eltern.
„Schon im ersten Lockdown haben wir gemerkt, wie wichtig Information für die Eltern ist, schließlich wissen sie ja nicht, was ihre Kinder im Kindergarten machen, die Bedeutung der sonst üblichen Tür-Angel-Gespräche darf man nicht unterschätzen“, sagt Walker. Deshalb gibt es Einblicke in virtueller Form: „Wir schicken regelmäßig Fotos, Entwicklungsgespräche führe ich über ein Video-Tool, anders geht es nicht, aber das ist besser als ein Telefonat oder Mail.“
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