Coronavirus: Zu wenig Schutz für Pflegeheime?
Mit ihren alten und oft kranken Bewohnern zählen Pflege- und Seniorenwohnhäuser zu den verwundbarsten Einrichtungen in der aktuellen Coronavirus-Bedrohung.
Dennoch werden ausgerechnet sie – sowie die Mitarbeiter – nicht ausreichend geschützt, wie zuletzt immer mehr Experten kritisierten. So ortet der Public-Health-Experte Martin Sprenger der MedUni Graz etwa in einem Interview mit Addendum Versäumnisse. Es fordert Strategien, wie die Heime besser geschützt werden können – und Maßnahmen wie Eingangsschleusen und tägliche Tests von Bewohnern und Mitarbeitern.
Zweite Welle von Ansteckungen befürchtet
„Die zukünftige Herausforderung liegt nicht bei Beatmungsgeräten und Intensivbetten. Vielmehr müssen die Ressourcen nun in die Pflege- und Betreuungszentren gehen“, ist auch der österreichische Patientenanwalt Gerald Bachinger überzeugt.
Erst vergangene Woche hatten auch Hilfsorganisationen mehr Schutzkleidung für Pflegeeinrichtungen gefordert. Die Gefahr, die sie sehen: Bleibt eine Infektion unerkannt, könnten sich innerhalb kurzer Zeit bis zu 80 Prozent der Bewohner infizieren.
„Es ist zu befürchten, dass ohne Maßnahmen in wenigen Wochen eine zweite Welle kommt, die wir nicht mehr bewältigen können“, warnt Bachinger. Denn die Bewohner von Pflegeheimen landen häufig auf der Intensivstation. Zur Verdeutlichung: 83.000 Menschen werden derzeit in Einrichtungen gepflegt.
Gerüstet
Bei den Heimträgern sieht man sich hingegen gerüstet: Mit aktuell 29 Häusern, 8.600 Bewohnern und 4.500 Mitarbeitern der größte Anbieter von Seniorenbetreuung ist das Kuratorium Wiener Pensionisten-Wohnhäuser (KWP). „Am 13. März verhängten wir für alle Häuser eine Besuchssperre, nachdem zwei Tage zuvor ein erster Fall aufgetreten war“, sagt ein Sprecher.
Zunächst sei das Besuchsverbot bei Bewohnern und Angehörigen auf wenig Verständnis gestoßen. Ebenso der Hinweis, dass Bewohner das Haus nicht verlassen sollen. Mittlerweile habe sich die Lage entspannt. Zwölf der 29 KWP-Häuser sind derzeit von Corona-Fällen betroffen. „Im Schnitt etwa ein bis drei Bewohner pro Haus“, sagt der Sprecher.
Anders als in anderen Gesundheitsbereichen verfüge man auch noch über ausreichend Schutzbekleidung. Um das Sicherheitsgefühl der Mitarbeiter zu heben, werden zudem Corona-Tests angeboten.
Unterschiede bei den Heimen
Ähnlich ist die Situation in den zehn Wiener Pflegewohnhäusern des Krankenanstaltenverbunds, wo chronisch kranke Pflegebedürftige leben. Stand 7. April gebe es aber auch dort nur drei infizierte Bewohner und elf positiv getestete Mitarbeiter, sagt ein Sprecher. Für diese niedrigen Zahlen macht er die spitalsähnlichen Hygienestandards verantwortlich.
In Niederösterreich sind derzeit 11 von 110 Pflegeeinrichtungen betroffen. Mit Stand 7. April waren zwölf betreute Senioren und sieben Mitarbeiter infiziert. Auch beim Land betont man, zahlreiche Maßnahmen zum Schutz der Bewohner umgesetzt zu haben. So gebe es abgesehen von den Besuchsverboten für jedes Heim ein Handbuch wie bei Infektionsfällen vorzugehen sei. Und: In betroffenen Heimen habe das Land nun mit der Testung aller Bewohner und Mitarbeiter begonnen.
16 Infizierte Bewohner
Wie schnell sich die Infektionen aber ausbreiten können, zeigen Fälle aus Vorarlberg oder Salzburg. Im SeneCura Sozialzentrum in Hard am Bodensee etwa wurden 16 Bewohner positiv auf das Coronavirus getestet worden. Zwei Bewohner werden derzeit im Krankenhaus behandelt, eine dritte Person ist im Spital verstorben.
Und im Pflegeheim Mittersill in Salzburg sind vergangene Woche elf Personen positiv auf Covid-19 getestet - sechs Bewohner und fünf Pflegekräfte. Es gibt zahlreiche weitere Beispiele.
Fälle müssen zentral erfasst werden
So gelassen wie viele Träger sind Experten wie Bachinger daher nicht. Dazu scheint es derzeit bei unterschiedlichen Trägern unterschiedliche Strategien bei der Eindämmung des Virus zu geben. Laut Experten Sprenger brauche es aber dringend eine zentrale Erfassung der Fälle. Nur mit validen Zahlen und deren Analyse können erfolgreiche Gegenmaßnahmen geplant werden.
Im Gesundheitsministerium scheint man sich der Lage bewusst zu werden. Seit Kurzem gibt es etwa neue Empfehlungen zu Testungen. So solle „in Erwägung gezogen werden“, auch asymptomatisches Gesundheits- und Pflegepersonal alle drei bis fünf Tage zu testen. Zudem wird auf KURIER-Anfrage auf einen Leitfaden für Pflegeeinrichtungen verwiesen. Darin werden etwa regelmäßige Fieberkontrollen von Mitarbeitern empfohlen.
Auch, dass zuletzt 10 Millionen Euro aus dem Sonder-COVID Fonds für den Pflegebereich zur Verfügung gestellt wurden, wird betont. In den zur Verfügung gestellten Presseunterlagen ist jedoch nicht zu entnehmen, inwieweit das Geld für den stationären Pflegebereich eingesetzt wird. Es ist von einem Ausbau vvon Pflege-Hotlines und die Errichtung von Ersatzbetreuungseinrichtungen im mobilen Bereich die Rede.
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