Millionen defekter Corona-Masken in Österreich verteilt
Als im März 2020 das Coronavirus über Österreich hereinbricht, muss alles sehr schnell gehen. Wie in allen anderen Ländern auch, wollen die Verantwortlichen dringend medizinische Schutzmasken kaufen. Doch hierzulande werden wohl Millionen von undichten Masken verteilt - an Spitäler, Blaulicht-Organisationen, Krisenstäbe und Landesregierungen.
Mittlerweile ermittelt die Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA), es gab Hausdurchsuchungen etwa im Verteidigungsministerium sowie beim Roten Kreuz - und ein bekannter österreichischer Zwischenhändler steht im Verdacht, den Staat um vierzig Millionen Euro betrogen zu haben.
Interne Mails, Chats und Berichte (die dem KURIER vorliegen) zeigen jedoch, dass heimische Verantwortliche über die Mängel schon Monate zuvor Bescheid wussten - und das Desaster vielleicht hätten verhindern können.
Coronamasken: Billig, aber unbrauchbar
Schon am Beginn der Pandemie geht es um das große Geschäft. Bis Ende März 2020 treffen immerhin 62 Angebote ein, diese liegen zwischen 1,33 und 8,50 Euro pro Schutzmaske. Billigstbieter ist die Oberalpgruppe mit Sitz in Salzburg-Bergheim, zu der bekannte Sportartikelmarken wie Salewa oder Dynafit gehören. Sie bietet zunächst fünf Millionen Masken an und erhält rasch den Zuschlag.
Brisant: Das Bundesamt für Eich- und Vermessungswesen prüft bis zum 3. April Dutzende der Oberalp-Masken für das Rote Kreuz, das Wirtschaftsministerium hat bereits am 27. März Testergebnisse der deutschen Prüfgeselschaft Dekra vorliegen und am 28. März untersucht für das Verteidigungsministerium das hauseigene Amt für Wehrtechnik.
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Warnungen wurden ignoriert
Das grundsätzliche Problem der Masken: Sie sind für kleine chinesische Nasen gedacht. Werden sie mit europäischen Nasen benutzt, dann entsteht im Bereich der Wangen ein so großes Loch an beiden Gesichtsseiten, dass sie undicht und damit unbrauchbar werden. Verschärft wird dies dadurch, dass die Hersteller aus der Schuh- und Bekleidungsindustrie stammen und über keinerlei Erfahrungen im Medizinbereich verfügen. Selbst ohne Loch auf der Seite fallen noch immer viele als FFP-Masken durch.
➤ Das Amt für Wehrtechnik rät jedenfalls ausdrücklich davon ab, "die Masken in Verkehr zu bringen", weil gleich 39 von 50 Masken nicht den notwendigen Standard erfüllen.
➤ Das Bundesamt für Eich- und Vermessungswesen hält einige der Masken wegen des Lochs für überhaupt nicht testbar, andere fallen durch, nur ganz wenige bestehen.
➤ Die Dekra bricht den Test überhaupt ab, weil die Schutzmasken schlichtweg unbrauchbar sind.
Und wie wird auf das desaströse Ergebnis der drei seriösen Prüfer reagiert?
Am 2. April wird der Vertrag zwischen dem Roten Kreuz und Oberalp (beziehungsweise von deren Tochterfirmen) fixiert und 20 Millionen Masken bestellt. Es wird sogar eine eigene Luftbrücke mit AUA-Maschinen mit extra ausgebauten Sitzen eingerichtet, laut Ermittlungen und Mails offenbar teilweise auch um Kontrollen der chinesischen Behörden zu umgehen, die strengere Überprüfungen von ausgeführten Medizinprodukten durchführen.
Dubiose Vorgänge im Hintergrund
Glaubt man den Justizakten, dann werden Kartons umgepackt und Bestätigungen gefälscht, um den Transport zu ermöglichen. Kurios: Sogar das geforderte europäische CE-Zertifikat wollte man offenbar mit einem anderen CE-Stempel umgehen, der eigentlich "China-Export" bedeutet. Oberalp soll außerdem den Umrechnungskurs Euro-Dollar gleich doppelt verrechnet haben, heißt es in den Dokumenten der WKStA.
Jedenfalls werden zahlreiche Stellen mit den großteils untauglichen Masken beliefert - auf der Empfängerliste stehen etwa das Innenministerium (100.000 Stück), die Einsatzstäbe Wien und Salzburg (knapp 300.000) oder die ÖGK (rund 130.000). Auch das LKH Salzburg, das Justizministerium und der Katastrophenschutz werden via Oberalp und Rotem Kreuz beliefert.
Eigentlich die komplette kritische Infrastruktur des Landes.
Selbst als China die Masken am 18. Mai offiziell als "nicht für den medizinischen Gebrauch" einstuft, gehen die Lieferungen ungehindert weiter. Die AGES, das LKH Rankweil, das Gesundheisministerium oder die steirische Feuerwehr erhalten etwa im Juni noch Hunderttausende der fehlerhaften Schutzmasken.
Am 28. August konfisziert der italienische Zoll alle für Südtirol gedachten Masken und Schutzanzüge von Oberalp, weil diese nicht sicher sind. In Österreich läuft hingegen alles weiter seine Bahnen.
Erst im November gestoppt
Insgesamt zwölf Millionen Stück dürften schlussendlich geliefert und größtenteils in Umlauf gebracht worden sein. Wie viele Menschen deshalb an Corona erkrankten, ist unklar. Erst im November 2020 wurde die Auslieferung generell beendet, nachdem wegen zahlreicher Beschwerden von Innsbrucker Pflegeheimen in Tirol weitere negative Tests an einigen der 850.000 gelieferten Masken durchgeführt wurden.
Fest steht, dass die WKStA derzeit wegen Verdacht des schweren Betrugs und Untreue gegen "vier namentlich bekannte Beschuldigte, drei Verbände und einen unbekannten Täter ein Ermittlungsverfahren" führt. Dem Vernehmen nach dürfte es sich dabei um hochrangige Mitarbeiter von Oberalp aber auch dem Roten Kreuz handeln.
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Die Stellungnahmen der Beteiligten:
Der KURIER hat allen Beteiligten einen Fragenkatalog geschickt, das Rote Kreuz ließ über eine Agentur mitteilen: "Zu Beginn der Corona-Krise waren sowohl Masken als auch Schutzanzüge weltweit absolute Mangelware; alle haben sich damals darum bemüht, den Mitarbeitern im Gesundheitswesen die notwendige Schutzausrüstung so rasch wie möglich zur Verfügung zu stellen. Die Beschaffungsmaßnahmen wurden im Auftrag der Republik Österreich umfangreich geprüft und der Einkauf & Service GmbH (die als Beschaffer fungierende Tochtergesellschaft des Roten Kreuz', Anm.) dabei ein gutes Zeugnis ausgestellt. Ein Lieferant ist in Österreich und Italien Gegenstand von Ermittlungen. Wir leisten dabei unseren Beitrag zu diesen Ermittlungen im Rahmen des rechtsstaatlichen Verfahrens.“
Von Oberalp heißt es: "Das Unternehmen ersucht um Verständnis, dass es aufgrund der noch laufenden Ermittlungen der Behörden in Österreich keinerlei Auskünfte zum Themenkomplex Österreich geben kann."
Oberst Michael Bauer vom Verteidigungsministerium erklärt: "Das BMLV war nicht in das Inverkehrbringen der Masken eingebunden. Diese Frage (warum an Oberalp festgehalten wurde, Anm.) kann das BMLV nicht beantworten, weil es nicht in unsere Entscheidungskompetenz gefallen ist." Und: "Wir beantworten grundsätzlich keine Anfragen zu Kunden."
Das Gesundheitsministerium schreibt: "Angesichts der laufenden Ermittlungen können wir aktuell keine Stellungnahme abgeben. Das BMSGPK kooperiert vollumfänglich mit den zuständigen Behörden."
Der damals zuständige Generalsekretär im Verteidigungsministerium, Dieter Kandlhofer, der in abgehörten Telefonaten von politischem Druck in der Causa sprach, ließ die KURIER-Anfrage unbeantwortet.
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