Brenner-Route: „Die fahren einfach über uns drüber“
Die „Zukunftsvision“, mit der der Tiroler Ableger des Team Stronach im Jahr 2013 im Finale des Nationalratswahlkampfs punkten wollte, war wahnwitzig: Zur Lösung des Transitproblems möge doch die Autobahn zwischen Kufstein und dem Brenner komplett eingehaust werden. Kosten: 3,5 Milliarden Euro.
Lösungen werden inzwischen freilich seit drei Jahrzehnten gesucht. Und auch, wenn die schwarz-grüne Landesregierung in den vergangenen Jahren mit einem Bündel von Maßnahmen und Lkw-Fahrverboten versucht hat, gegenzusteuern: Die Zahl der Laster auf der Tiroler Brenner-Route zwischen Deutschland und Italien nimmt stetig zu.
„Die fahren einfach über uns drüber. Das kann doch nicht sein“, ärgert sich Susanne Berger. Das an die 300 Jahre alte Haus ihrer Familie steht direkt an der Autobahn nahe dem Knoten Innsbruck, wo die Brenner-Autobahn von der Inntal-Autobahn abzweigt.
Wenn es um den Transitverkehr geht, wird die 55-Jährige emotional. Obwohl unterhalb der Terrasse der Tirolerin die eingehauste Autobahn auf einer Länge von 900 Metern Realität geworden ist. Dem Bau der 2011 eröffneten Röhre, auf deren Dach man heute über eine Wiese spazieren kann, ging ein langer Kampf voraus.
Dauerbelastung
„Der Lärm war extrem. Bei offenem Fenster schlafen, war unmöglich“, erinnert sich Berger. Beim letzten Treffen mit der Familie vor elf Jahren wäre eine Unterhaltung im Freien nicht möglich gewesen. Heute werden im Garten wieder Feste gefeiert.
„Auch die Luft ist besser geworden“, sagt die 19-jährige Tochter Jasmin, die als Kind an Asthma gelitten hat und inzwischen gesund ist. Ihre Mutter ist an der Autobahn aufgewachsen und hat die Entwicklung des Verkehrs über Jahrzehnte hautnah miterlebt. „Am Anfang haben wir den Lkw-Fahrern noch zugewunken“, erzählt sie. Mit dem EU-Beitritt Österreichs sei es dann so richtig schlimm geworden.
Ein zuvor vereinbarter und 2003 ausgelaufener Transitvertrag hätte die Zahl der Lkw auf maximal 1,6 Millionen begrenzen sollen. Der Wert wurde zuletzt 2009 eingehalten, als der Warenverkehr im Sog der Finanzkrise kurzfristig einbrach. Seither gibt es wieder nur eine Richtung.
„Es geht nur nach oben und wird immer noch schlimmer“, sagt Gerhard Steinlechner. Er lebt mit seiner Frau und drei Kindern in Vomp. Ein schönes Haus, Hanglage, Sonnenseite. Davor breiten sich Felder aus. Am Talboden liegt die Stadt Schwaz. Ein Traum, wäre da nicht die Inntalautobahn, die das Tal zum Luftsanierungsgebiet gemacht hat.
Aus rund 300 Metern Entfernung dröhnt ein extrem lautes Dauerrauschen herauf. „An Spitzentagen sind es bis zu 85 Dezibel. Über den gesetzlich erlaubten Werten liegen wir immer“, sagt der 53-Jährige.
Mit der Ortsorganisation des Lärmschutzvereins „Xunds Tirol“ setzt er sich für eine Verbesserung der Lebensqualität ein. Wie Berger einst in Innsbruck wird er dabei vom Transitforum unterstützt.
„Der Kampf, den wir führen, ist hauptsächlich für unsere Kinder. Ich weiß, man braucht einen langen Atem“, sagt der Unterländer. Seine Situation ist sinnbildlich für das Tiroler Verkehrsproblem, das Ortsunkundige aus Flachlandregionen oft nur schwer verstehen.
Im Inntal und dem Wipptal Richtung Brenner leben die Menschen entlang der Transitroute eingekeilt von Bergen. Die dreckige Luft bleibt in den Talkesseln hängen. Der Lärm kriecht über die Hänge selbst zu hunderte Metern entfernten Siedlungen.
Eklat und Volkszorn
Über die Aussagen von EU-Verkehrskommissarin Adina Valean, die zuletzt für einen politischen Eklat gesorgt haben, kann Steinlechner nur den Kopf schütteln. Sie drängte bei einem Besuch in Innsbruck auf ein Aufweichen der von Italien und Deutschland bekämpften Tiroler Maßnahmen gegen den Transitverkehr und erklärte, dass der Brenner-Korridor nicht den Tirolern, sondern allen Europäern gehöre.
„Am Ende hilft uns das vielleicht sogar. Die Leute sind inzwischen schon ein bisschen phlegmatisch geworden. Jetzt kocht aber in Tirol der Volkszorn etwas hoch“, bemerkt Steinlechner. Tatsächlich scheint die Dauerbelastung die Bevölkerung bereits ein wenig mürbe gemacht zu haben. Drei Jahrzehnte sind eine lange Zeit.
2,5 Millionen Lkw fuhren im Vorjahr auf der Brenner-Route durch Tirol: Ein neuer Rekord auf der Transit-Skala.
1,6 Millionen Lkw waren es im Jahr 2009, als der Warenverkehr wegen der Finanzkrise kurzfristig einbrach. Seither geht es nur nach oben.
9.000 Lastwagen passierten 2018 an Werktagen durchschnittlich den Brenner. Der wurde im selben Jahr erstmals von mehr Lkw passiert, als über alle Schweizer und französischen Alpenübergänge zusammen fuhren.
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