Berge werden barrierefrei: Mit dem Rollstuhl auf den Gipfel
Rund zehn Prozent der Österreicher benötigen barrierefreie Zugänge. Durch die Überalterung der Gesellschaft wird diese Gruppe immer größer. Darunter sind viele ältere Menschen mit lebenslangen Ersparnissen, die ein enormes wirtschaftliches Potenzial aufweisen. Und trotz Rollator oder Rollstuhl werden die auf Barrierefreiheit angewiesenen Personen immer mobiler. Sie wollen reisen und sogar Berge erklimmen.
„In den USA laufen bereits Gespräche, dass künftig Rollstuhlplätze in Flugzeugen eingebaut werden“, berichtet Barrierefrei-Experte Werner Rosenberger. In der Steiermark eröffnete vergangenes Jahr auf dem Bergbauernhof Adelwöhrerhof das Pflegehotel speziell für beeinträchtigte Menschen, im Tiroler Reutte wurde im Juni mit dem Alpenrosenweg der erste rollstuhlgerechte Weg eröffnet. Das 60.000 Euro teure Projekt hatte eine so positive Resonanz, dass man im kommenden Jahr rund sechzig derartige Wege im Außerfern eröffnen möchte, die per App gefunden werden können.
In Kärnten erklärte Tourismus-Landesrat Sebastian Schuschnig die Barrierefreiheit heuer zum Leitprojekt des Landes – erstmalig für ein ganzes Bundesland.
Schuschnig zum KURIER: „Barrierefreiheit betrifft alle, nicht nur Menschen mit Behinderung, sondern auch Senioren oder Familien mit Kinderwagen. Wir wollen für alle ein attraktives Urlaubserlebnis anbieten und die Betriebe dabei unterstützen, den Gästen ein barrierefreies Angebot über die gesamte Servicekette hinweg zugänglich zu machen. Angefangen bei der Anreise, über die Dauer des Aufenthaltes bis hin zur Abreise. Denn es können dadurch auch völlig neue Zielgruppen angesprochen werden.“
Besonders gute Gäste
Untersuchungen zeigen, dass die „barrierefreien“ Gäste besonders lukrativ sind. Da sie weniger mobil sind, bleiben sie länger an einem Ort und konsumieren mehr in der Unterkunft. Doch die Unterbringung ist noch vielerorts das Nadelöhr, wie etwa Ronald Petrini, Geschäftsführer des Tourismusverbandes Reutte, offen zugibt. Allerdings erhofft er sich durch den Ausbau der Gehwege einen Innovationsschub.
Im Kärntner Mallnitz etwa wurde im September ein barrierefreier Weg ins Seebachtal im Nationalpark Hohe Tauern eröffnet, gleichzeitig gibt es aber nur ein barrierefreies Selbstversorger-Appartement, das für mindestens eine Woche gebucht werden muss.
„Bei Kreuzfahrten etwa sind die barrierefreien Unterkünfte oft die unattraktiven mit Blick auf die Rettungsboote. Auch sonst ist kaum etwas unterhalb von vier Sternen zu finden“, erklärt Rosenberger.
Das Hotel Orchidee am Klopeinersee etwa wurde mithilfe eines Tiroler Sachverständigen umgebaut. Da Behinderte oft sehr unterschiedliche Bedürfnisse haben, ist bei einem allfälligen Umbau professionelle Unterstützung sinnvoll. Mit dem Rollstuhl kann man praktisch eine ganze Runde um den See fahren, das Hotel hat sogar einen eigenen Lifter-Aufzug, damit Behinderte nach dem Ausflug schwimmen gehen können.
Auf den Schneeberg
Es gibt auch neue Herausforderungen: Immer häufiger muss sogar die Bergrettung ausrücken, um wagemutige Rollifahrer zu bergen. Die Schneebergbahn bietet deshalb gemeinsam mit dem Roten Kreuz eigene Touren an: Mit dem Salamanderzug geht es auf 1.800 Meter, geübte Rollstuhlfahrer können einen eineinhalbstündigen Panoramaweg bis zur Fischerhütte fahren.
Wer schwindelfrei ist und 400 Meter in den Abgrund blicken möchte, kann seit einigen Tagen den Skywalk am Dobratsch besuchen. 350.000 Euro hat das Land Kärnten in den Umbau investiert. Schuschnig betont, dass Kärnten eine Vorreiterrolle punkto Barrierefreiheit in Österreich einnehmen möchte.
Martin Leitner: "Grandiose Sicht auf den Dachstein"
Martin Leitner macht seit 2014 Urlaub in Österreich mit dem Rollstuhl. Selbst der 2.108 Meter hohe Krippenstein im Dachsteingebirge ist für ihn kein Hindernis.
„Der ist ein besonderes Erlebnis. Die Auffahrt mit der Seilbahn ist barrierefrei, das Gipfelrestaurant hat barrierefreie Toiletten und ist mit einem Lift von der Bergstation gut erreichbar“, berichtet er. „Eine kurze Wanderung zum Welterbeblick ist mit einer Begleitperson gut zu bewältigen und bietet eine grandiose Fernsicht auf den mächtigen Dachstein. Ich bin mit dem E-Rollstuhl weiter zur Aussichtsplattform Fünf Finger gefahren. Der Weg ist teils sehr steil und ist nur früh am Vormittag zu empfehlen, da sich zu dieser Zeit wenig Leute auf dem Weg befinden.“
Stammgast ist Leitner in Bad Gastein – wegen des Heilstollens, aber auch für Wanderungen verbringt er dort fünf Wochen pro Jahr. Der öffentliche Verkehr im Gasteinertal ist gut barrierefrei ausgebaut. „Für Rollstuhlfahrer eignen sich Stubnerkogel und die Schlossalmbahn“, berichtet er. „Bei der Schlossalmbahn in Bad Hofgastein sind bei der Bergstation rollstuhltaugliche Wanderwege.“
Elisabeth Ockermüller ließ Rollstuhl umbauen
Elisabeth Ockermüller ist mit ihrem Ehemann Wilhelm gerne in den Bergen unterwegs. Der findige Rollstuhltechniker Klaus Brückner hat ihr Elektrogefährt speziell dafür umgebaut. „Dadurch ist es für sie auch möglich, unbefestigte Wege zu nutzen“, erzählt Wilhelm Ockermüller. „Welche Wege wir nutzen können, suchen wir uns im Internet, in der Touristeninformation vor Ort oder direkt bei den Seilbahnen. Wir lieben es, in einer schönen Landschaft unterwegs zu sein und schöne Aussichten zu genießen. Deshalb ist meiner Frau kein Berg zu hoch und sie ist immer neugierig, Neues zu erleben. Egal, ob es eine Hängebrücke ist oder ein Weg im hochalpinen Bereich.“
Oft sei bemerken, dass die Absicht der Anbieter gut gemeint ist, aber die Planung nur theoretisch erfolgte und die Umsetzung nicht von einem Rollstuhlfahrer getestet wurde. „Uns ist nicht erst einmal passiert, dass wir von der Stelle A eine Auskunft erhielten und die Stelle B nichts davon wusste oder etwas anderes umsetzte. Darunter fallen gesperrte Wege und Straßen, Öffnungszeiten, Beförderungsrichtlinien und vieles mehr.“
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