Bedroht die Energiewende die heimische Tierwelt?
Die größte im Süßwasser lebende Lachsart der Welt, der Huchen, ist vom Aussterben bedroht. Auch in Österreich. Er kommt nur mehr in rund 50 Prozent seines ehemaligen Verbreitungsgebiets vor.
Zurückzuführen ist das nicht auf die große Lust der Österreicherinnen und Österreicher auf den „Donaulachs“, sondern – dem WWF zufolge – auf den steigenden Stromverbrauch. Denn dort, wo der Huchen lebt – in der Ybbs oder der Mur – bedrohen Kraftwerke wie jene in Ferschnitz (Bezirk Amstetten) und St. Michael (Bezirk Leoben) seinen Lebensraum.
Der Interessenskonflikt Klima- gegen Artenschutz ist real: Der Stromverbrauch in Österreich nimmt stetig zu, Grund dafür ist der Umstieg von Kohle, Öl und Gas auf erneuerbare Energien. Bis 2030 soll der österreichische Strom zur Gänze aus erneuerbaren Energiequellen gewonnen werden.
Damit dieses Ziel erreicht werden kann, muss die Windenergie drei Mal so viel Strom liefern wie derzeit, der Anteil an Energie aus Sonnenstrom verzehnfacht werden. Der Ausbau erneuerbarer Energiequellen bedroht jedoch die heimische Flora und Fauna. Was ist die Lösung für diesen Konflikt?
Die Quelle als Problem
Wasserkraft genießt in Österreich einen besonders guten Ruf, sie gilt als klimaneutral, sauber und unabhängig. 5.200 Wasserkraftwerke gibt es bereits insgesamt, 60,2 Prozent unseres Strombedarfs werden damit produziert.
Eine Studie der Boku und des WWF warnt jedoch vor einem weiteren Ausbau von Wasserkraft: Nur mehr 17 Prozent der heimischen Flüsse sind laut Studie in einem sehr guten ökologischen Zustand und können frei von Verbauung fließen. Zudem gelten rund 60 Prozent der heimischen Fischarten heute als gefährdet, der Huchen ist eine davon.
Auch der Fisch des Jahres 2021, die Äsche, gilt der Roten Liste Österreich zufolge als gefährdet. Verbauung setzt ihr besonders zu. Beheimatet ist die Äsche unter anderem in Tirol. Dort bedrohen mehrere geplante Wasserkraftwerke an den Zubringerflüssen rund um das Schutzgebiet der Isel die Bestände.
Auch am Inn ist sie bei Weitem nicht mehr so häufig anzutreffen wie noch vor einigen Jahren: Bis vor Kurzem war das Aufkommen der Äsche dort so imposant, dass die Studierenden der Boku dafür jedes Jahr zur Beobachtung nach Tirol pilgerten. Mittlerweile muss man einzelne Exemplare suchen, warnt der Tiroler Fischereiverband.
Vögel sind vom Bau von Wasserkraftwerken ebenfalls betroffen: Der Flussuferläufer legt seine Eier an Kies- und Schotterbänken von Flussufern ab. Durch Regulierungen und Verbauungen gehen diese Lebensräume ebenfalls verloren. Er wird bereits als stark gefährdet eingestuft.
„Keine neuen Wasserkraftwerke“, fordern daher NGOs und Naturschützer. „Es braucht eine Revitalisierung und Effizienzsteigerung bestehender Anlagen, bevor man neue Anlagen baut“, erklärt WWF-Gewässerschutzexpertin Marianne Götsch, Mitinitiatorin des Isel-Manifests zum Schutz der Region.
Wer Wind sät ...
Die EVN, der größte Strom-, Gas- und Wärmeversorger in Niederösterreich, sieht das genauso – und will deswegen den Ausbau von Wind- und Solarenergie forcieren. Das Potenzial dieser beiden Energieformen sei noch lange nicht ausgeschöpft.
Doch auch diese Formen der Stromgewinnung stehen immer wieder in Konflikt mit Artenschutz: weniger aufgrund der Gefahr von Kollisionen zwischen Vögeln und Windrädern, sondern weil durch den Bau von Windparks Lebensräume verloren gehen. Zuletzt wurde dem Windpark Amaliendorf im Waldviertel nach jahrelangem Konflikt im Dezember 2019 eine endgültige Absage erteilt, weil dort der Seeadler brütet. Dieser ist laut Roter Liste Österreich vom Aussterben bedroht.
Die Landschaft des Weinviertels bietet sich ebenfalls an für den Ausbau von Windenergie. Mehreren Großprojekten, konkret im Raum Zistersdorf (Bezirk Gänserndorf), stehen dort jedoch die Lebensräume von See- und Kaiseradler sowie Rotmilan gegenüber. Zwar werden Betreiber häufig zur Schaffung von Ausgleichsmaßnahmen verpflichtet, etwa zur Bereitstellung eines ähnlichen Gebietes als neuen Lebensraum für die Tiere.
Doch damit lässt sich nur ein Teil des Konflikts lösen, kritisiert BirdLife Österreich: „Lebensräume von Greifvögeln lassen sich nicht einfach verschieben. Diese naturschutzfachlich wertvollen Gebiete sollten frei von Windkraft-Anlagen bleiben.“
Auch Fledermausarten wie der Abendsegler haben Probleme mit Windrädern: Grund dafür sind die enormen Druckunterschiede, die durch die schnelle Umdrehung der Räder entstehen. Diese lassen die Lunge der Fledermaus expandieren, die Fledermaus – Achtung, es wird unappetitlich – zerplatzt mitten im Flug.
Plädoyer für Verzicht
Was ist die Lösung? Die EVN nimmt die Bedenken der Bevölkerung ernst, sagt Pressesprecher Stefan Zach: „Wir sind aber dem Klimaschutz und den Energiezielen des Landes und der Republik verpflichtet.“ Der Ausbau von erneuerbaren Energiequellen hat demnach Priorität.
Götsch kontert: „Neben starken Naturschutz-Kriterien im Ausbau des Ökostroms müssen wir unseren Strom- und Energieverbrauch allgemein senken. Wir können unseren jetzigen Standard niemals allein durch erneuerbare Energie erhalten, das funktioniert nicht“, meint Götsch.
Das unterschreibt auch die EVN. Und der Huchen sowieso.
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