Barrierefreie Gebäude: Wien reizt Frist bis 2042 aus
In den Kindergarten, in die Schule, in die Bücherei oder ins Amt zu gehen – für viele ist das vielleicht eine mühsame, aber eine machbare Angelegenheit. Aber nicht für jeden. Denn für Menschen mit Behinderung sind diese Gebäude mitunter nur schwer zugänglich: Mehr als 1.000 öffentliche Gebäude in Wien sind nicht barrierefrei.
Das österreichische Bundesgesetz sagt, dass Geschäfte und Gebäude der Bundesverwaltung seit 2016 barrierefrei sein müssen. Die Länder machen aber ihre eigenen Regeln. In Wien wurde die Frist erst auf 2042 gelegt: Also 26 Jahre später als im Bundesgesetz.
Und diese Frist wird die Stadt ausnutzen: Der Löwenanteil, nämlich 436 Gebäude, wird erst gegen Ende der Frist adaptiert (siehe Grafik). Die Etappen für die Umbauten sind in einem Plan festgelegt – je nach Priorität bis 2022, 2032 oder erst 2042. „Das sind absolut wesentliche Gebäude, um die es hier geht“, sagt Martin Ladstätter von der Beratungsstelle für Menschen mit Behinderung (Bizeps).
Auch Sonderschulen
Zwölf Sonderschulen stehen auch mit auf der Liste. Zwei davon werden erst bis 2042 umgebaut, die übrigen bis 2022. Insgesamt ist noch in 341 Schulen ein Umbau ausständig.
„Stellen Sie sich vor, was das bedeutet, wenn die Schule bei Ihnen ums Eck nicht barrierefrei ist und Sie dann einen Umweg in Kauf nehmen müssen“, sagt Ladstätter. „Außerdem sind Schulen sehr oft Wahllokale und da kann man nicht ausweichen. Man muss genau dorthin“, kritisiert er.
Andreas Meinhold, Mitarbeiter der Baudirektion der Stadt Wien relativiert diese Zustände: „Es geht hier auch um Diskriminierungsfreiheit und nicht um reine Barrierefreiheit“. Die Diskriminierungsfreiheit wäre bereits dann nicht erfüllt, wenn beispielsweise eine Person im Rollstuhl das Gebäude nicht über den Haupteingang erreichen kann. „Wird man zum Hintereingang geschickt, muss man dort anläuten und kommt man dann erst in das Gebäude, wäre dieses zwar barrierefrei, aber eben nicht diskriminierungsfrei“, erklärt Meinhold. Etliche Gebäude, die erst 2042 umgebaut werden sollen, seien außerdem denkmalgeschützt.
„Zu dieser Frist von fast 30 Jahren kommt es auch, weil in dieser Zeit schon länger geplante Renovierungen stattfinden. Im Zuge dieser Arbeiten soll dann auch die Diskriminierungsfreiheit realisiert werden“, argumentiert Meinhold.
Für Martin Ladstätter von Bizeps ist das keine Erklärung: „Das ist schlichtweg eine mangelnde Initiative der Stadt, sie will nicht extra umbauen“.
Rechtssituation schwierig
Ein Problem ist auch, dass es kaum Möglichkeiten gibt, sich gegen diese langen Fristen zu wehren. Klagerecht haben in diesem Fall nämlich nur die Betroffenen. „Eine Verbandsklage kann ich nur auf Bundesebene einbringen. Das hier ist aber Ländersache“, sagt Behindertenanwalt Hansjörg Hofer. Auf Landesebene ist die Antidiskriminierungsstelle der Stadt Wien zuständig – diese hat aber kein Klagerecht.
„Die Anti-Diskriminierungsstelle hält Schlichtungsverfahren ab, die vor einer Zivilklage stattfinden. Dabei muss ich neutral sein“, erklärt Michael Fink, Leiter der Stelle. In einem Rechtsstreit dürfte diese die Kläger also nicht unterstützen, da sie im vorhergehenden Schlichtungsverfahren eine Vermittlerrolle hat. „Man müsste grundsätzlich den rechtlichen Ablauf ändern“, sagt Fink.
Übrigens nicht nur bei öffentlichen Gebäuden, sondern auch bei Geschäftslokalen ist die Situation prekär. Der Bundesverband für Menschen mit Behinderung hat zuletzt 2018 erhoben, dass nur 44,6 Prozent der Geschäftslokale in Wiener Einkaufsstraßen stufenlos sind. Obwohl diese seit 2016 barrierefrei sein sollten, gibt es kaum Sanktionen. Betroffene können auf Schadenersatz klagen, das passiere jedoch kaum, sagt Herbert Pichler vom österreichischen Behindertenrat.
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