Jung, alleine und auf der Flucht
Fadi* stand plötzlich in einer anderen, ihm fremden Welt. Sechs Monate hatte die Irrfahrt des 15-jährigen Afghanen gedauert. Nun stieg er inInnsbruck aus dem Lkw seiner Schlepper, ohne zu wissen, wo er gelandet war. „Ich hatte nichts. Kein Geld, keine Papiere, niemand verstand mich.“
Hier galt Fadi als ein UMF – ein unbegleiteter, minderjähriger Flüchtling. Seine Geschichte steht für viele junge Afghanen, die von ihren Eltern weggeschickt werden. Bis zu 8000 Euro legen sie für das Ticket ihrer Kinder in eine heile Welt aus – weg von Krieg, Zerstörung, Armut.
Immer mehr Kinder und Jugendliche machen sich auf den Weg in den „Goldenen Westen“, nach Europa. Im Vorjahr strandeten laut Innenministerium 1631 UMF in Österreich – um rund 500 mehr als noch im Jahr 2011.
"Geh weg!"
Fadis Vater ist ein einfacher Landarbeiter, der später vonMudschahidin zwangsrekrutiert wurde. „Er musste kämpfen“, erzählt Fadi. Auch er sei an der Front gewesen, als Wasserträger. „Hier gibt es nichts, keine Sicherheit, keine Arbeit. Geh weg!“, befahlen ihm seine Eltern. Er gehorchte.
Von Innsbruck schlug sich der 15-Jährige ins Erstaufnahmezentrum nach Traiskirchen, NÖ, durch, kam später in eine Unterkunft für Jugendliche.
Im Vorjahr waren die in Traiskirchen untergebrachten UMF in den Schlagzeilen: Bis zu 570, darunter auch mehr als 30 Kinder, saßen dort im Herbst fest. Für sie gab es damals keine Schule, kaum Betreuung und zu wenig Quartiere in den meisten Bundesländern. Und es gab und gibt sehr eigentümliche Auswahlkriterien der Länderverwaltungen: Männliche Jugendliche wurden ausgemustert und blieben in der Erstaufnahme hängen.
Der Quartier-Notstand dürfte bald behoben sein. Aktuell warten rund hundert Jugendliche und Kinder auf einen Platz. Bis Ende März sollen für sie neue Unterkünfte bereitstehen.
Scheindebatte
Im Vorjahr machte der umstrittene Begriff „Ankerkinder“ prominent die Runde. Sie würden geschickt, um dann ihre Eltern nachzuholen. Seitdem hält er sich hartnäckig im Diskurs, obwohl es dafür keinen Anlass gibt: Der Verein „asylkoordination österreich“ erhob für das Jahr 2011, dass von rund 1100 Jugendlichen nur 17 eine Familienzusammenführung beantragt hatten. „Es ist oft gar nicht intendiert“, sagt Herbert Langthaler von der „asylkoordination“. Oder aber die Verfahren würden so lange dauern, bis die Jugendlichen volljährig sind.
Fadi hatte nie Zeit, sich diese Frage überhaupt zu stellen. Der Alltag für junge Flüchtlinge ist hart. Sie werden zwar besser versorgt als Erwachsene. Was der Staat den Jugendlichen nicht bieten kann, sind soziale Kontakte. Hier setzt das Patenschaftsprojekt „connecting people“ der „asylkoordination“ an. UMF bekommen eine Patin oder einen Paten zur Seite gestellt. „Wir wollen den Jugendlichen helfen, hier anzukommen“, sagt Projektleiter Klaus Hofstätter (siehe Zusatzbericht).
Eine von ihnen ist Renate Schwarz*, eine leitende Angestellte, 40. „Wenn ich meine Jugend mit jener der Flüchtlinge vergleiche, dann weiß ich, dass ich eine Privilegierte bin.“ Sie erinnert sich noch, als sie vor drei Jahren mit einem Bildwörterbuch und „Afghanisch für Anfänger“ in einem zehn Quadratmeter großen Zimmer einem Jungen gegenübersaß – es war Fadi. Seitdem halten die beiden Kontakt, sie unterstützt ihn und beide lernen voneinander.
Schwarz* hat erlebt, wie ihr Schützling volljährig geworden ist. Inzwischen hat er die Hauptschule absolviert. Vor drei Jahren erhielt er erstinstanzlich einen negativen Asylbescheid. Es gebe keine persönlichen Fluchtgründe, stand darin. Dennoch träumt er wie viele Gleichaltrige von einer Handwerker-Lehre. Oder aber er wird abgeschoben, weil Afghanistan nach dem Abzug der Alliierten offiziell kein Kriegsschauplatz mehr ist. Erst am Mittwoch starben dort 16 Menschen durch einen Anschlag. (*Name geändert)
Das war kein Test.“ Cornelia Mayrbäurl, 44, Beraterin, hatte soeben ihr Patenkind Said (Name geändert) kennengelernt. Der Besuch war kurz. In der U-Bahn ging ihr dann ihre Geldbörse ab, die sie unabsichtlich liegen gelassen hatte. Sie rief in der Unterkunft an, und erfuhr dort, dass ihr Patenkind das Portemonnaie schon bei den Betreuern abgegeben hatte. Das habe sie beeindruckt, erzählt sie. Aber nicht nur das: Ihr Patenkind, 18, schloss die Hauptschule mit zwei Zweiern im Zeugnis ab. Sie steht ihm mit Rat und Tat zur Seite: beim Lernen, mit Ratschlägen, bei Behördenwegen.
Zusammengebracht wurden die beiden durch „connecting people“, einem Projekt der asylkoordination. Es wurde aus der Einsicht heraus gegründet, dass der Staat zwar die Grundbedürfnisse unbegleiteter, junger Flüchtlinge befriedigen, eine Familie und soziale Kontakte aber nicht ersetzen kann. Projektleiter Klaus Hofstätter: „Die Idee dahinter ist es, den Jugendlichen, die ohne Familie hierhergekommen sind, eine vertraute und konstante Person zur Seite zu stellen.“ Zwei Mal jährlich werden Patinnen in Schulungsabenden ausgebildet. Derzeit gibt es rund 200. Die Erfahrung, so Hofstätter, habe gezeigt, dass beide Seiten profitieren würden. Oft sind die Paten die einzigen Österreicher, zu denen ihre Schützlinge intensiven Kontakt haben.
Bei Said ist das anders. Er sitzt mit mehreren Österreichern in einer HAK-Abendschule. Das war eine Notlösung, denn Said darf hier nicht arbeiten. „Er würde jeden erdenklichen Job machen, darf aber nicht.“
Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge (UMF) landen wie Erwachsene in der Erstaufnahme. Häufig folgt eine Altersfeststellung, die Flüchtlingsbetreuer als sehr fragwürdig kritisieren. Sobald sie zum Asylverfahren zugelassen sind, werden sie in eigene Betreuungseinrichtungen für Jugendliche umgesiedelt. Oft kann es Monate dauern, bis ein Platz frei ist. Die Dublin-II-Regel, die Abschiebung in das Erstankunftsland in der EU, gilt für sie nicht.
BetreuungDie Betreuung ist besser als bei Erwachsenen. Für die Kinder undJugendlichen übernehmen die Jugendämter die Obsorge. Sie können Deutschkurse unddie Schule besuchen, erhalten Basisbildung und wohnen in kleinen Einheiten, die im Gegensatz zu Pensionen für erwachsene Flüchtlinge nicht in abgelegenen Gegenden liegen dürfen. Seit dem Vorjahr besteht die Möglichkeit, eine Lehre in einem Mangelberuf zu machen. Davon konnten allerdings bisher nur sehr wenige profitieren.
FamilienzusammenführungWenn ein Jugendlicher einen positiven Asylbescheid oder bereits ein Jahr subsidiären Schutz hat, hat er das Recht, eine Familienzusammenführung zu beantragen. Das passiert eher selten, obwohl es im Interesse des Kindes und der vermutlichebenfalls verfolgten Eltern wäre. Mit der Volljährigkeit erlischt dasRecht. Von den mehr als 1100 UMF im Jahr 2011 stellten nur 17 einen solchen Antrag.
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