62-Jähriger seit eineinhalb Jahren im eigenen Bett eingesperrt
Der 62-jährige Niederösterreicher Günter Wagner würde gerne einmal wieder die Sonne spüren. Vielleicht sogar einen kleinen Urlaub machen oder einen Heurigen besuchen.
Patienten können dies heutzutage trotz künstlicher Beatmung, manche arbeiten sogar Vollzeit und führen ein einigermaßen normales Leben.
ALS-Patienten wie Wagner hatten früher eine Lebenserwartung von drei Jahren, mittlerweile sind es sieben. Mit guter Pflege sind sogar zwanzig Jahre realistisch, ergab kürzlich eine Untersuchung der Berliner Charite. Doch der Niederösterreicher wird von dieser Zeit wenig haben. Derzeit kann er nicht einmal sein Bett verlassen. Seit eineinhalb Jahren wartet der Waidhofener darauf, dass er von der Krankenkasse einen Rollstuhl zur Verfügung gestellt bekommt. Oder dass ihm das Land die ihm zustehenden, professionellen Pfleger bezahlt.
"Wir haben momentan nur mehr eine Pflegerin, das heißt ich muss mir in 14 Tagen wieder mal Urlaub nehmen und meinen Mann selber betreuen. Ich kann keine Sekunde raus", berichtet seine Frau Marion. "Ich mache jetzt seit eineinhalb Jahren Nachtdienst bei meinem Mann, arbeite Vollzeit, muss mich fast täglich mit Behörden auseinandersetzen und weiß nicht mehr, woher ich das Geld nehmen soll. Und dann lese ich, dass sie sich streiten, wer wieviel zahlt. Und keiner der Herren kommt auf die Idee, mir irgendwann, irgendetwas, mitzuteilen. Wahrscheinlich hat mein Mann recht, der sagte, sie ziehen das so in die Länge, in der Hoffnung das er stirbt."
Der Familie geht das Geld aus
Aktuell hat die Familie bereits 60.000 Euro selbst aufbringen müssen. Volksanwalt Bernhard Achitz hat sich eingeschaltet und sagt: "Es handelt sich leider um keinen Einzelfall. An sich ist die ÖGK für die Krankenbehandlung zuständig,
Land und Kommunen für die Pflege. Immer wieder wenden sich Menschen an die Volksanwaltschaft, bei denen es bei der Kostenübernahme für die Behandlung zuhause bzw. die Intensivpflege zu Problemen kommt. Es müsste so ablaufen, dass die notwendige Betreuung sofort funktioniert, ohne dass die Betroffenen auf den Kosten sitzenbleiben.
Länder und Krankenkassen können sich dann im Hintergrund ausmachen, wie sie sich die Kosten aufteilen. Und statt dem derzeit bestehenden Bundesländer-Fleckerlteppich erwarte ich mir, dass Länder und Kassen in ganz Österreich einheitlich vorgehen.“
Dazu muss man wissen, dass die Betreuung derartiger Intensivpatienten teuer ist und bis zu 50.000 Euro monatlich ausmachen kann. Allerdings sind die Betreuungskosten in Pflegeheimen oder auf Überwachungsstationen doppelt bis dreimal so teuer. In Summe ist eine Betreuung zuhause für die Staatskasse also günstiger.
Der Fonds Soziales Wien übernimmt deshalb die Kosten schon nach kurzer Prüfung. Anders sieht es die niederösterreichische Landesregierung: Wagner solle in ein Heim gehen, heißt es in einer Stellungnahme an KURIER und Volksanwaltschaft.
Wäre er Beamter oder Selbstständiger, dann würde die entsprechende Kasse die Betreuung daheim bezahlen, so aber habe er schlichtweg Pech. Der niederösterreichische Gesundheits- und Sozialfonds (NÖGUS) sieht sich jedenfalls nicht dafür zuständig.
Für Günter Wagner heißt es damit vorerst weiterhin, im Bett auf bessere Zeiten hoffen. Da er seit sechs Jahren ALS hat, wird ihm nicht mehr viel Zeit bleiben, um noch einmal die Sonne zu sehen.
OGH-Urteile werden missachtet
Die Wahrscheinlichkeit für eine lebensbedrohlichen Infektion liegt in einem Pflegeheim „zwischen 20 % und 40 %“, in der häuslichen Pflege bei praktisch Null. Dazu kommt: „Die Kosten der Anstaltspflege würden jene der häuslichen Pflege übersteigen.“
Und es kommt „zu einer Minderung des Sozial- und Familienlebens, welche aber für die psychische Situation des Klägers besonders wichtig sind.“ So steht es in einem von mittlerweile mehreren OGH-Urteilen, die Kassen und Länder zur Kostenübernahme zwingt.
Zumindest in der Theorie, denn die Praxis schaut anders aus, wie Michael Tesar, Geschäftsführer des größten Anbieters für Heimbeatmung (CuraPlus), berichtet. Je nach Sozialversicherung gebe es unterschiedliche Entscheidungen,
Keine Sicherheit bei Wartezeiten
Wartezeiten bis zu eineinhalb Jahren seien jedenfalls keine Seltenheit, wie zuletzt auch ein Fall in der Steiermark gezeigt habe.
„In Wien gibt es Einzelfallentscheidungen, in Salzburg gibt es gar keine Lösung. In Kärnten und OÖ gibt es zwar einen Anspruch, jedoch ist das Ausmaß nicht immer ausreichend“, berichtet Tesar.
Vorarlberg versucht laut Insidern, in Eigenregie Personal aus der deutschen Heimbeatmung abzuwerben, bisher allerdings vergeblich. Dadurch fehlt auch eine Kontrolle der betroffenen Firmen. Vier Anbieter gibt es derzeit in Österreich. Nicht alle halten sich aber an die gesetzlichen Regeln, meint Tesar.
Der Markt wäre jedenfalls vorhanden, in Österreich sind rund 500 Menschen künstlich beatmet. Bei den Pflegefirmen gibt es sogar Wartelisten für Patienten.
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