40 Jahre lang drehte sich das Leben von Ewald Schneider um den Tod. Als Mordermittler war er auf Tatorten, überbrachte Todesnachrichten und befragte die Täter. Fälle wie die Favoritner Mädchenmorde, Pumpgun-Ronnie oder Frauenmörder Ott(siehe unten) hat er bearbeitet. Ab September ist damit Schluss. Der Wiener Mordermittler mit dem ausgeprägten nö. Dialekt geht in Pension. Sein Büro in der Berggasse hat er bereits ausgeräumt. Für das Abschiedsinterview muss er ins Büro seines Vorgesetzten ausweichen. Sein Abschied geschieht ohne große Wehmut. „Das soll bitte keine Heldengeschichte werden“, sagt er.
KURIER: Herr Chefinspektor, 40 Jahre Mordermittler – das ist eine Nummer. Erinnern Sie sich an Ihren ersten Fall?
Ewald Schneider: Eine der ersten größeren Geschichten war ein Versicherungsvertreter, der in seiner Wohnung im 2. Bezirk umgebracht worden ist. Es hat ewig gedauert, bis wir das aufgeklärt haben, aber damals war ich noch der Lehrbub, der zugeschaut hat.
Wer war der Täter?
Der Freund jener Frau, die sich per Inserat angeboten hat und zum Opfer gekommen ist. Er hat das nicht ausgehalten.
Warum will man überhaupt Mordermittler werden?
Weil es interessant ist! Und wenn man einmal dabei war, tut man sich schwer, irgendwo anders hinzugehen.
Aber in dem Job ist man mit sehr vielen Emotion, Elend, Trauer und Wut konfrontiert.
Das muss man ausblenden. Wenn so etwas im eigenen Familienkreis passiert, könnte ich das nicht. Aber so bleibt das im Büro.
Das funktioniert?
Sicher. Irgendwann wird das Routine und man arbeitet ja nie allein, immer in der Gruppe.
Die erste Leiche war kein Schock?
Die hat man schon als Wachmann. Nur wenige Todesfälle sind Mordfälle.
Als wir angefangen haben, gab es noch keine Tatortgruppe, das haben wir alles selbst gemacht. Wir haben geschaut, von wann die letzte Zeitung ist, die herumliegt, und das Telefonregister war wichtig. So was machst du heute mit Datenträgern. Und die DNA-Analyse war ein Meilenstein für uns. Die Motive sind gleich geblieben, meistens sind es Beziehungstaten. Vielleicht ist die Gewalt auf der Straße stärker, wenn ein Streit unter Ethnien eskaliert und dann zugestochen wird. Serien gibt es zum Glück weniger – wobei wir ja aktuell eine haben (gemeint sind zwei Morde und ein Mordversuch an Obdachlosen). Früher hatten wir Serien, bei denen alte Frauen in ihrer Wohnung ausgeraubt und umgebracht worden sind. Da sind einige Fälle bis heute nicht geklärt. Prinzipiell gesehen wird aber heute weniger gemordet. Früher waren es 45 bis 50 Morde pro Jahr, jetzt sind es um die 20.
Im Bildarchiv habe ich Sie mit Natascha Kampusch gefunden, die wenige Stunden zuvor geflohen war.
Ich habe sie raus begleitet, das war es aber auch schon. Der Kollege, der sie befragt hat, hat nach fünf Minuten gewusst, dass sie es ist. Er hat sie einen Nachmittag befragt, das Protokoll ist sofort in den Safe der Staatsanwaltschaft gekommen. Schön wäre es gewesen, wenn sich der Entführer nicht gleich umgebracht hätte.
„Anton 1“: Der Niederösterreicher Ewald Schneider kam 1976 zur Polizei. Er begann als Wachmann in der Wiener Innenstadt und war dort unter der Bezeichnung „Anton 1“ unterwegs.
Kriminalisten-Laufbahn: Im Oktober 1983 wechselte Schneider schließlich ins damalige Sicherheitsbüro und bearbeitete hier anfangs Betrugsdelikte, ehe er zu den Mordermittlern ging. 2008 wurde er Leiter einer Mordgruppe. Nach 40 Jahren ist Schluss. Mit 65 Jahren geht Schneider im September in den Ruhestand.
Wie bringt man einen mutmaßlichen Mörder zum Reden?
Mein Standardsatz war: ,Wir sind dir nicht böse für das, was du getan hast. Aber wir sind dir böse, wenn du uns anlügst. Und du bist nicht der Erste, der hier sitzt.’
Man braucht also eine gewisse Empathie für den Täter?
Auf alle Fälle. Und man darf ihm nicht böse sein.
Wird Sie ein Fall noch in der Pension beschäftigen?
Nein, dann bin ich Privatier. Im ersten Monat im Urlaub habe ich noch ständig aufs Handy geschaut. Im zweiten nicht mehr. Gestern war ich sogar eine Stunde ohne unterwegs. Das ist mir seit Jahren nicht passiert. Nicht erreichbar sein war das Einzige, was mich nervös gemacht hat. Information ist alles.
Und die aktuellen Fälle können Sie sich aus der Entfernung anschauen, ohne nervös zu werden?
Kollegen von der Gruppe, die das bearbeitet, haben mir von der aktuellen Mordserie erzählt. Ich wäre fast wieder reingekippt. (lacht) Aber ich nehme das jetzt so wahr wie jeder andere. Ich höre mir die Nachrichten an, rufe nicht die Kollegen an – da würde ich mich wichtig machen.
Wissen Sie, wie viele Mordfälle Sie bearbeitet haben?
Nein. Aber dreistellig waren wir schon in den ersten Jahren. Ich habe viel erlebt.
War es für Sie ein Unterschied, wenn ein Kind involviert war?
Wenn so etwas ungeklärt bleibt – das will man wirklich nicht. Man muss sagen können: Wir haben alles getan.
Wird Ihnen wirklich nichts abgehen?
Nein.
(Dietmar Berger, der Vorgesetzte, meldet sich erstmals zu Wort: „Andere haben gesagt, das blöde Reden.“)
Das hab ich eh noch immer. Jetzt halt in der Frühschoppen-Runde.
Letzte Frage: Kottan oder Columbo?
Bumm. Kottan ist zwar Sicherheitsbüro-bezogen, aber eher der Columbo. Lieber das Hinterfragen und nicht der blöde Schmäh.
***
Zum Abschluss setzt Schneider noch einmal einen ernsten Blick auf: „Kurz, bündig. Nicht übertrieben. Ich bin kein Superkieberer. Ich bin keine Legende.“
Prominente Bilder aus der Kriminalgeschichte und ihr Hintergrund
Es sind nur zwei der Fotos von spektakulären Kriminalfällen, auf denen auch Mordermittler Ewald Schneider zu sehen ist: Das Bild der Frau mit den verbundenen Augen im Schlauchboot zeigt eine Tatrekonstruktion in Großreifling in der Steiermark im Jahr 1995. Bei dem Mann mit dem lila Kapuzenpullover handelt es sich um den Filmemacher und Serientäter Wolfgang Ott. Er führt den Ermittlern, darunter auch Schneider, vor, wie er eine Frau in der Salza ermordete. Im Mai 1995 hatte er eine 23-jährige Bankangestellte entführt. Nach einem dreitätigen Martyrium versenkte er die – noch lebende – Frau nackt in der Salza. Zum Beschweren verwendete er einen Betonring.
Nur wenige Tage später entführte er eine 19-Jährige in Wien. Auch sie vergewaltigte er mehrmals und misshandelte sie. Und auch mit ihr fuhr er zur Salza. Dort erwürgte er sie und vergrub sie in einem Waldstück. Zwei Tage später lauerte er einer Geschäftsfrau in Perchtoldsdorf auf und hielt sie in seinem Haus gefangen. Ihr gelang die Flucht.
Die Polizei leitete sofort eine Großfahndung ein, Ott flüchtete – und entführte und vergewaltigte auch zu diesem Zeitpunkt Frauen. Ein Opfer konnte fliehen, eines ließ er laufen. Ott sitzt noch immer in Haft.
Der Fall Kampusch
Die junge, dürre Frau unter der blauen Decke ist Natascha Kampusch. Es ist der 23. August 2006, das Foto zeigt sie nur Stunden nach ihrer Flucht.
1998 war sie als zehnjähriges Kind in Wien entführt und in einem Haus in Strasshof (NÖ) gefangen gehalten worden. Acht Jahre später gab es einen legendären Funkspruch: „Hier behauptet eine Frau, dass sie Natascha Kampusch ist.“ Nach kurzer Befragung stand fest: Sie ist es tatsächlich.
Ihr Entführer, Wolfgang Priklopil, warf sich vor einen Zug. Kampusch hat eine Autobiografie über ihre Gefangenschaft geschrieben.
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