Vor 15 Jahren: "Die Frau sagt, sie sei Natascha Kampusch"
Wie jener 23. August 2006 verlief, an dem einem jungen Mädchen nach acht Jahren die Flucht aus einem Kellerverlies gelang und sich ihr Peiniger vor seiner Festnahme das Leben nahm.
Der Anruf kommt am frühen Nachmittag des 23. August 2006, einem Mittwoch. Ein Informant erzählt hektisch am Telefon, dass auf der Polizeidienststelle Deutsch-Wagram eine junge Frau sitze. „Sie behauptet, Natascha Kampusch zu sein, aber so richtig glauben will das angeblich niemand.“
Ich war damals Chefredakteur im ORF Niederösterreich. Roland Weißmann, also jener Mann, der vor zwei Wochen zum neuen Generaldirektor gewählt wurde, ist an diesem Tag der verantwortliche Chef vom Dienst. Er schickt TV-Redakteur Werner Fetz und Kameramann Helmut Stamberg nach Deutsch-Wagram. „Alles, was in der Gegend ein Blaulicht hatte, fuhr damals in Richtung der Gemeinde am nordöstlichen Stadtrand Wiens“, so Fetz. Eine junge Polizeibeamtin hat sich zwischenzeitlich um das Mädchen gekümmert, und immer klarer wird, dass es sich tatsächlich um Kampusch handelt.
3.096 Tage
Mehr als acht Jahre zuvor – genau 3.096 Tage zuvor – war sie von ihrem Peiniger Wolfgang Priklopil entführt worden, auf dem Schulweg in einen Kastenwagen gezogen, zunächst in ein Waldstück und in ein fünf Mal knapp zwei Meter kleines Kellerverlies in Strasshof an der Nordbahn gebracht worden. Als Priklopil seinen ersten Fehler macht, gelingt ihr die Flucht. Beim Reinigen seines Autos nimmt er einen Anruf auf seinem Mobiltelefon an und entfernt sich ein paar Schritte, weil der Staubsauger zu laut ist. Kampusch läuft zu den nächsten Gärten, sucht Hilfe. Die ersten Passanten helfen nicht, erst eine ältere Dame, an deren Tür sie klopft, bringt sie zur Polizei.
Sie gibt Hinweise auf Priklopils Haus, die Cobra rückt an, weil man Sprengfallen vermutet. Ein späterer DNA-Test liefert den endgültigen Beweis, dass es sich um das entführte Mädchen handelt, nach dem jahrelang gesucht wurde. Hätte es nicht Ermittlungspannen gegeben, wäre sie wohl früher entdeckt worden, denn es gab konkrete Hinweise auf den Entführer.
Priklopil wirft sich um 21 Uhr des gleichen Tages vor eine S-Bahn und stirbt. Vorerst gibt es von Kampusch nur ein Bild: Jenes, auf dem sie unter einer Decke aus der Polizeistation geführt wird, aufgenommen auch von KURIER-Fotograf Gerhard Deutsch. Wenige Tage später gibt sie ihr erstes Interview im ORF vor mehr als zwei Millionen Zusehern in Österreich und einem Vielfachen davon weltweit.
"Kampusch hoch zehn"
Eineinhalb Jahre später läutet mein Handy wieder, an einem Sonntag. „Heute haben wir Kampusch hoch zehn.“ Josef Fritzl war in Amstetten gefasst worden. Er hatte seine Tochter
24 Jahre im Keller eingesperrt, samt ihrer insgesamt sieben Kinder.
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