Im Oktober 2024 steht Martina Tuschek-Dimas am Balkon der Pension ihrer Mutter und blickt über den Traunsee auf das nebelverhangene Altmünster gegenüber.
"Wenn ich hier bin, ist es immer schwer", sagt sie wehmütig. Sie ist längst ausgezogen, das Haus steht leer, es soll jetzt endgültig verkauft werden.
Die Natur hat sich Eingänge, Balkone, Terrassen zurückgeholt. Eine Sanierung erscheint beim Lokalaugenschein völlig unrealistisch. Zu sehr ist das Gebäude in die Jahre gekommen. 2019 mag die Pension - vor allem für langjährige Stammgäste - ein vertrauter, heimeliger Urlaubsort gewesen sein.
Auch für Tuschek-Dimas waren das Hotel und ihr als "Villa" bezeichnetes Wohnhaus Heimat über viele Jahrzehnte. "Nur die letzten fünf Jahre waren eine schwere Zeit", sagt sie, "aber ich bin froh, dass es so gekommen ist."
So gekommen heißt für sie: Dass die Angeklagten auch verurteilt wurden. "Das hat meinen Glauben an die Justiz wieder gestärkt."
Dieser Prozess hat kaum jemanden kalt gelassen. Zwei Immobilien-Entwickler, zwei Rechtsanwälte, eine Immobilienmaklerin und ein Notar saßen - vertreten von einer Armada aus Anwälten - auf der Anklagebank im Welser Landesgericht. Für alle außer den Notar setzte es verschiedene - nicht rechtskräftige - Schuldsprüche samt teilbedingter Haft.
Ende 2019 wollte Gertrude Neuwirth ihre Pension schließen - und gleichzeitig das Haus zu einem Teil verkaufen, um den anderen Teil zu sanieren und für ihre Nachkommen im Zuge eines dauerhaften Miteigentums nutzbar zu machen. Der Verkauf um 750.000 Euro wurde am 14. Oktober 2019 vereinbart.
Die Unterzeichnung sollte später im Strafprozess immer wieder zur Sprache kommen. Im Zuge des Zivilprozesses gab es das Vergleichsangebot, das gesamte Areal - ohne Miteigentum für die Familie - um rund 2,3 Millionen Euro zu kaufen. Dieser Vergleich kam durch das Ableben von Gertrude Neuwirth nicht mehr zustande.
Erben gewinnen Zivilprozess
Im Zivilprozess wurde entschieden, dass die Pension Neuwirth den Erben zurückzugeben sei. "Der Familie sind dadurch keine Kosten entstanden", betonte einer der später - nicht rechtskräftig - verurteilten Immobilienentwickler vor Gericht.
Während die Erbin den Glauben an die Justiz gewonnen hat, haben ihn andere faste verloren. Etwa die beiden Immobilienentwickler, eben, weil es im Strafprozess so gekommen ist.
Gegen die Urteile haben sie Nichtigkeitsbeschwerde eingelegt und Berufung erhoben. Und sie können nicht fassen, wie es zu diesem Urteil kommen konnte.
Neuwirth wollte rasch verkaufen
Ihre Erinnerung an den Kauf der Liegenschaft: "Frau Neuwirth wollte die Pension im Jahr 2019 verkaufen und zwar so, dass der Verkauf abgewickelt ist, bevor sie Ende des Jahres die Pension schließt."
Das belegen Zitate aus diversen Gutachten und Protokollen, die dem KURIER vorliegen. Rund einen Monat nach der Vertragsunterzeichnung sagte Neuwirth, ihr sei bewusst gewesen, dass sie man mehr Erlös erzielen hätte können, sie habe den Kauf aber rasch über die Bühne bringen wollen.
Pensionistin war geschäftsfähig
Diese Gutachten stellen auch außer Streit, dass die rüstige Pensionsbetreiberin zu dem Zeitpunkt noch geschäftsfähig war - was der Richter im mündlichen Urteil ebenfalls anerkannt hatte.
Dreh- und Angelpunkt war für das Gericht und ist auch für die Immobilienentwickler das gerichtliche Sachverständigengutachten über den Wert der Liegenschaft.
Drei Gutachter beauftragt
Denn die drei Gutachter, die um über 80.000 Euro in mehr als 300 Arbeitsstunden den Wert der Liegenschaft berechnet und mit knapp 1,7 Millionen Euro bewertet haben, lieferten letztlich eine - wenn nicht die - wesentliche Grundlage für das Urteil wegen schweren Betrugs, das einen - wenn auch fiktiven - Schaden voraussetzt. Denn einen tatsächlichen Schaden gibt es ja nicht.
Und für die Immobilienentwickler ist klar: Angesichts der schwierigen Ausgangslage war der Kaufpreis von 750.000 Euro angemessen.
Die schwierige Ausgangslage:
Auf dem Areal liegt eine Tourismus-Widmung, demnach ist nur ein Hotelbetrieb dort möglich, eine Umwidmung in Bauland sei quasi nicht möglich, kein anderer Interessent war bereit, das Gebäude zu kaufen.
Die Verkäuferin wollte ein Miteigentum, das den Kaufpreis schmälert.
Der Seegrund ist klein und schmal, das Bootshaus war zum Zeitpunkt des Kaufes ein "Schwarzbau" samt nur noch kurzer Laufzeit des Pachtvertrags bei den Bundesforsten.
Der Wald ist ein Schutz- und Bannwald, der mehr Arbeit erfordere als er Nutzen bringen könne, erläutern die beiden.
Die Sachverständigen, auf deren Gutachten sich der Richter im Urteil gestützt hat, beziehen sich darin immer wieder auf Franz Josef Seiser, eine anerkannte Koryphäe in Sachen Liegenschaftsbewertung aus Graz.
Experte überprüfte Gutachten
Der hat das Sachverständigen-Gutachten im Auftrag der Immobilienentwickler auf Plausibilität geprüft. Und er kommt zu einem vernichtenden Urteil - von dem die beiden Immobilienentwickler hoffen, dass dieses in der nächsten Instanz entsprechend gewürdigt wird.
Seiser kommt gleich auf den Punkt und stellt fest, dass dieses Gutachten "nach Form und Inhalt nicht schlüssig und nachvollziehbar ist, sowie ein im Hinblick auf den Verwendungszweck nicht brauchbares Ergebnis erbracht hat".
Gesetz nicht entsprechend angewendet
Seine Kritik am Gutachten, das zur Verurteilung geführt hat: Entgegen den Bestimmungen des Liegenschaftsbewertungsgesetzes (LBG) wurde für einen Teil des Areals die Widmung "Bauerwartung" angenommen, obwohl es Grünland ist und keine Umwidmung zu erwarten war.
Auch der Preis für den Wald sei "frei nach dem Gutdünken der Sachverständigen" - viel zu hoch - angesetzt worden. Im Gegensatz zu den drei Gerichtssachverständigen hält Seiser die Pension jedenfalls für ein Abbruchobjekt.
Demnach seien Abbruchkosten (270.000 Euro) und der von den Sachverständigen festgestellte Restgebäudewert (220.000 Euro) vom Verkehrswert abzuziehen. Dieser wurde von den Sachverständigen mit knapp 1,7 Millionen Euro berechnet - bliebe ein "Wert" von 1,2 Millionen Euro.
Umstrittener Wert einer Bootshütte
Für Steg und Bootshütte, die zum damaligen Zeitpunkt als Schwarzbau gelten mussten, und für den nur noch kurzen, jährlich kündbaren Pachtvertrag, berechneten die Sachverständigen knapp 600.000 Euro Wert als "Ablöse". Der unter anderem deshalb zustande kam, weil für den Pachtvertrag eine 100-jährige Laufzeit - offenbar willkürlich - angenommen wurde.
Vergleichsobjekte mit Bootshütten, die am Traunsee verkauft wurden, haben die Sachverständigen nicht herangezogen. Allerdings sind in den Grundbüchern zahlreiche derartige Verkäufe zu finden.
Allesamt ohne Ablöse, allesamt wurden sie zwischen 24.000 Euro und 250.000 Euro verkauft. Bei letzterem war der halben Bootshütte allerdings ein ganzes Einfamilienhaus angeschlossen. Demnach müsste auch ein großer Teil der 600.000 Euro noch vom Verkehrswert in Abzug gebracht werden, weil dieser Wert - laut Seiser - nicht besteht.
Fazit: Laut dem Plausibilisierungsgutachten Seisers hätten die 2019 bezahlten 750.000 Euro einen realistischen Kaufpreis dargestellt. Dennoch hat das Gericht das in erster Instanz anders gesehen. Was die nächste Instanz sagt, ist offen.
Nach dem Urteil
Und wie geht es den beiden Immobilienentwicklern nach dem Urteil? "Das letzte Jahr ist es uns persönlich sehr schlecht gegangen. In unserer Firma hat immer Handschlagqualität gezählt, es gibt keinen einzigen anderen strittigen Fall", versichern sie, deshalb sei die Sache für sie umso unverständlicher. "Es war eine harte Zeit, aber viele von denen, die mit uns gearbeitet haben, sind uns geblieben. Deshalb war der Betrieb auch wirtschaftlich stabil. Auch die meisten Mitarbeiter konnten wir halten", schildern die Immobilienentwickler.
Und dass auch die Immobilienbranche wieder ein wenig Fahrt aufnimmt, ist ein zusätzlicher Aspekt, der ihnen aktuell ein wenig Positives abgewinnen lässt. Denn die Sache mit der Pension Neuwirth wird sie zumindest so lange beschäftigen, bis der Instanzenzug erledigt ist. Und bis das durch ist, wird noch viel Wasser aus der Traun in den Traunsee fließen.
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