Zugunglück Münchendorf: Lokführer wegen Gemeingefährdung vor Gericht

Zugunglück Münchendorf: Lokführer wegen Gemeingefährdung vor Gericht
Raaberbahn fuhr mit 145 statt 60 km/h durch eine Weiche in Münchendorf. Für die Staatsanwaltschaft "menschliches Versagen".

Im Eisenstädter Dom erklangen Sonaten von Felix Mendelssohn Bartholdy und das Requiem von W.A. Mozart. Es waren Stücke, bei denen der begnadete Violinist Daniel Guillén mit vollem Enthusiasmus sein Können zum Besten gegeben hätte – als eines der größten musikalischen Talente im Burgenland.

Die Feier im Martinsdom fand im Oktober im Gedenken an den 25-Jährigen statt. Der junge Musiker starb am 9. Mai beim Zugsunglück der Raaberbahn in Münchendorf im Bezirk Mödling.

Nachspiel

Das Unglück mit einem Toten, zwei schwer und 24 leicht Verletzten hat nun ein gerichtliches Nachspiel. Die Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt macht nach monatelangen Ermittlungen den 52-jährigen ungarischen Zugsführer für die Tragödie verantwortlich. Ihm wird menschliches Versagen vorgeworfen, weshalb vor wenigen Tagen gegen den Mann ein Strafantrag wegen fahrlässiger Gemeingefährdung (§ 177 Abs. 1 und 2 StGB) eingebracht wurde.

Wie der Sprecher der Staatsanwaltschaft, Erich Habitzl, gegenüber dem KURIER bestätigt, geht es „im Wesentlichen um einen Sorgfaltsverstoß“. „Und zwar um die Missachtung der Geschwindigkeitsbegrenzung von 60 km/h durch Beschleunigung des Zuges auf zumindest 145 km/h. Dadurch ist es im Weichenbereich zu einer Entgleisung gekommen“, erklärt Habitzl. Das Strafmaß im Falle einer Verurteilung beträgt bis zu einem Jahr Haft.

Wie Gerichtssachverständige und die Ermittler des nö. Landeskriminalamtes rekonstruieren konnten, war der REX 7657 der Raaberbahn mit knapp 70 Passagieren am 9. Mai gegen 18.20 Uhr vom Burgenland in Fahrtrichtung Wien unterwegs, als dem 52-jährigen Lokführer ein fataler Fehler unterlaufen sein dürfte.

Zugunglück Münchendorf: Lokführer wegen Gemeingefährdung vor Gericht

Zweimal Grün

Das Ausfahrsignal beim Bahnhof Münchendorf zeigte dem Unfallbericht zufolge zweimal „Grün“, also Strecke „frei mit 60 km/h“. Am Tempo des Zuges hätte sich also nichts ändern dürfen. Laut den ausgewerteten Aufzeichnungen des Fahrtenschreiber beschleunigte der Lokführer die „Ventus“-Garnitur im Vollgas-Modus jedoch auf fast 160 Sachen. Als er den Fehler bemerkte, war es bereits zu spät. Nach einer Schnellbremsung donnerte die tonnenschwere Bahn mit sechs Garnituren immer noch mit den besagten 145 km/h durch die Weiche.

„Ein Gleiswechsel ist allerdings nur mit maximal 60 km/h möglich“, heißt es in dem Untersuchungsbericht. Viel mehr verträgt die Weiche nicht.

Zugunglück Münchendorf: Lokführer wegen Gemeingefährdung vor Gericht

Das Zugsunglück bei Münchendorf ereignete sich auf der kürzlich ausgebauten Pottendorfer Linie. Obwohl der Abschnitt erst im November 2019 eröffnet wurde, entspricht die Strecke nicht den allerneuesten Sicherheitsstandards. Die Linie ist zwar als Hochgeschwindigkeitsstrecke für bis zu 200 km/h ausgerichtet. Als Sicherheitseinrichtung ist jedoch immer noch das ältere Zugbeeinflussungssystem PZB (Punktförmige Zugbeeinflussung) verbaut.

542 Millionen Euro

Das weit sichere „European Train Control System Level 2“ lässt hingegen auf sich warten. Damit werden die Züge zwischen Hauptsignalen elektronisch auf ihre Geschwindigkeit überwacht. Die Einrichtung greift bei einer zu hohen Fahrgeschwindigkeit ein und bremst Züge automatisch ab. „Eine Implementierung ist aus betriebstechnischen Gründen erst nach Fertigstellung der Ausbauarbeiten ab dem Jahr 2024 vorgesehen“, heißt es dazu bei den ÖBB. Das ältere Zugbeeinflussungssystem PZB „erfülle alle eisenbahnrechtlichen Anforderungen“. 542 Millionen Euro werden in den Ausbau der Pottendorfer Linie investiert.

Der Triebwagen und ein Waggon wurden wegen der weit überhöhten Geschwindigkeit in die Luft katapultiert und in ein angrenzendes Feld geschleudert, wo sie sich überschlugen. Die vier weiteren Waggons sprangen ebenfalls aus den Schienen, blieben aber am Gleiskörper beschädigt stehen.

Es dauerte über eine Stunde, bis der schwer verletzte Zugführer von den Einsatzkräften aus dem demolierten Führerhaus des Wracks befreit werden konnte. Er hatte selbst Knochenbrüche und andere schwere Verletzungen erlitten. Nach mehreren Operationen konnte der 52-Jährige erst im Sommer zu den Vorgängen bei der Todesfahrt von den Kriminalisten vernommen werden.

Einen Termin für den Prozess gegen den Lokführer am Landesgericht Wiener Neustadt gibt es noch nicht.

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