Zur Klärung der Ursache hat die Ermittlungsbehörde einen Sachverständigen für Bahnunfälle eingesetzt. Mit ihm wurde die Fahrt nachgeholt und die Geschehnisse rekonstruiert. Dabei hat sich folgendes Bild ergeben: Der REX 7657 der Raaberbahn mit knapp 70 Passagieren war am 9. Mai gegen 18.20 Uhr in Fahrtrichtung Wien unterwegs. Im Bahnhofsbereich von Münchendorf hatte der Lokführer die Geschwindigkeit vorschriftsmäßig auf 60 km/h gedrosselt. Dieses Tempo hat die „Ventus“-Garnitur auch auf der folgenden, 650 Meter langen „Schutzstrecke“ eingehalten, heißt es in den Unterlagen.
Fahrtenschreiber
Das Ausfahrsignal an der Stelle zeigte dem Unfallbericht nach zweimal „Grün“, also Strecke „frei mit 60 km/h“ an. Bis zum nächsten Hauptsignal hätte sich also am Tempo des Zuges nichts ändern dürfen. Laut der Aufzeichnung des Fahrtenschreibers wechselte der Lokführer jedoch in den Vollgas-Modus. Auf dem knapp einen Kilometer langen Abschnitt am Streckengleis 2 erreichte der Zug noch vor dem nächsten Hauptsignal fast 160 km/h. Dies war der Moment, an dem der Triebwagenführer den Fehler bemerkt haben dürfte. „Es wurde eine Schnellbremsung eingeleitet“, heißt es dazu in den Protokollen. Doch diese kam viel zu spät. „Der Zug hatte immer noch knapp 140 km/h, als er durch die Weiche 2 fuhr. Ein Gleiswechsel ist allerdings nur mit maximal 60 km/h möglich“, heißt es in den Papieren.
Alle sechs Wagen der Raaberbahn entgleisten. Der Triebwagen kippte zur Seite. Es dauerte über eine Stunde, bis der schwer verletzte Zugführer von den Einsatzkräften aus dem Wrack befreit werden konnte. Nach Operationen und Krankenstand wird der 52-Jährige erst im August von den Ermittlern des Landeskriminalamtes zu dem Unglück einvernommen.
Sicherheitsmängel ?
Obwohl der zweigleisige Ausbau der Pottendorfer Linie in dem Abschnitt erst im November 2019 eröffnet wurde, entspricht die Strecke nicht den allerneuesten Sicherheitsstandards.
Wie das Fachmagazin Schienenverkehr aktuell berichtet, wurde die Linie zwar als Hochgeschwindigkeitsstrecke für bis zu 200 km/h gebaut. Als Sicherheitseinrichtung ist aktuell jedoch immer noch das ältere Zugbeeinflussungssystem PZB (Punktförmige Zugbeeinflussung) auf dem Abschnitt verbaut. Das weit sichere „European Train Control System Level 2“ (ETCS L2 ) lässt hingegen auf sich warten. „Eine Implementierung ist aus betriebstechnischen Gründen erst nach Fertigstellung der Ausbauarbeiten ab dem Jahr 2024 vorgesehen“, heißt es dazu vonseiten der ÖBB auf Anfrage.
Für das Unglück in Münchendorf kommt das ETCS-Sicherheitssystem damit zu spät. Die Kontrolleinrichtungen hätten bei einer zu hohen Fahrgeschwindigkeit eingegriffen und den Zug automatisch auf 60 km/h eingebremst.
Die Züge werden in diesem Fall zwischen Hauptsignalen elektronisch auf ihre Geschwindigkeit überwacht. Laut Auskunft der Bundesbahnen kommt das aktuelle Zugbeeinflussungssystem PZB noch in weiten Bereichen des Bahnnetzes zur Anwendung. „Es erfüllt alle eisenbahnrechtlichen Anforderungen“, erklärt die ÖBB. Insgesamt werden 542 Millionen Euro in den gesamten zweigleisigen Ausbau der Pottendorfer Linie investiert.
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