Keine bionische Roboterhand für Böller-Opfer aus Niederösterreich

Tobias Messerer mit Handchirurg Konstantin Bergmeister. Der Mediziner spricht sich für eine bionische Prothese aus
Eine Ersatzhand, mit der er wieder den Computer und eine Maus bedienen, sich die Schuhe binden, oder einfach nur die Cola-Dose öffnen kann – das wäre der größte Wunsch von Tobias Messerer. Der 17-jährige Niederösterreicher hat, wie berichtet, vergangenes Silvester bei einem schlimmen Böllerunfall in Lichtenau bei Krems seinen rechten Unterarm und sein rechtes Auge verloren. Die Druckwelle der Detonation riss ein Zentimeter großes Loch in sein Herz. Er überlebte nur knapp durch die Kunst der Ärzte.
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Sein unfassbares Schicksal hat der 17-Jährige zum Anlass genommen, um speziell Jugendliche vor den Gefahren von Pyrotechnik und illegalen Böllern zu warnen. Nach rund 30 Operationen ist er selbst durch das Unglück noch deutlich gehandicapt. Eine bionische Armprothese, die sich über Nervenimpulse und Muskeln im Armstumpf steuern lässt, wäre eine wahnsinnige Erleichterung für seinen Alltag.

Ein Selfie von Tobias, als es ihm wieder besser ging
Hohe Kosten
Eine solche Roboterhand ist dem Jugendlichen bisher allerdings verwehrt geblieben. Vermutlich aus Kostengründen sind die Pensionsversicherungsanstalt und Österreichische Gesundheitskasse bislang zurückhaltend, was die hochmoderne „bionische Hand“ anbelangt. Stattdessen trägt Tobias eine gewöhnliche „Kassen“-Prothese.
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Für Konstantin Bergmeister, Facharzt für Plastische, Rekonstruktive und Ästhetische Chirurgie, eine falsche Einschätzung. Der Oberarzt am Uniklinikum St. Pölten war einer der behandelnden Ärzte. „Bei Tobias war es auf Grund der massiven Verletzungen durch die Sprengung nicht möglich, die Hand wieder herzustellen“, sagt Bergmeister. Deshalb entschied sich das Team dazu, Nervenstränge in seinen Stumpf zu transferieren, damit er damit auch eine Prothese steuern kann.
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Jene Ersatzhand, die Tobias aktuell trägt, könne man mit einer Machete vergleichen, die bionische Prothese hingegen sei wie ein „Schweizer Messer“, meint Bergmeister.

Tobias mit dem medizinischen Team, das sein Leben rettete
Bei einer Aktion scharf am Grenzübergang Laa an der Thaya (Bezirk Mistelbach) hat die Polizei über die Weihnachtsfeiertage in einem Pkw 198 Kilo an illegaler Pyrotechnik sichergestellt. Jährlich erleiden in Österreich rund 200 Menschen Unfälle beim Böllerschießen. Zwei Drittel aller Verletzten sind jünger als 24 Jahre.
Die Österreichische Gesellschaft für Plastische, Ästhetische und Rekonstruktive Chirurgie warnt gerade zu Silvester vor der verheerenden Wirkung illegaler Pyrotechnik. „Aufgrund der großen Sprengwirkung erleiden jedes Jahr viele junge Menschen kriegsähnliche Verletzungen, die bis zum Tod führen“, erklärt Primar Klaus F. Schrögendorfer von der Uniklinik St. Pölten. Als besonders gefährdet gelten bei Unfällen das Gesicht, Augen und die Hände. Gerade bei Gesichtsverletzungen sei es wesentlich, das Gesichtsgewebe zu reparieren. "Schnitte oder traumatische Verletzungen erfordern von der Plastischen Chirurgie die Versorgung von Knochen, Muskeln, Nerven und Haut. Bei schwersten Verbrennungen kann es erforderlich sein, geschädigtes Gewebe zu entfernen und mikrochirurgische Rekonstruktionen durchzuführen. Die Wiederherstellungschirurgie trägt dazu bei, die Funktion und das Aussehen der betroffenen Bereiche zu verbessern", erklärt Schrögendorfer, der Leiter der Klinischen Abteilung für Plastische, Ästhetische und Rekonstruktive Chirurgie in St. Pölten ist.
Sehr häufig kommt es auch zu schweren Handverletzungen durch Pyrotechnik. "Diese erfordern in der Regel mehrere präzise chirurgische Eingriffe, um die Funktionsfähigkeit unter Einsatz mikrochirurgischer Techniken wiederherzustellen“, sagt Oberarzt Konstantin Bergmeister.
Der Fall von Tobias Messerer nach dem Unglück am Silvesterabend 2022 sei beispielhaft für die enorme Gefahr, die von Pyrotechnik ausgeht. Trotz mehrfacher Reanimationen, einem offenen Brustkorb mit schwerer Herzverletzung, Verbrennungen dritten Grades und der kompletten Amputation des rechten Unterarmes konnte der Patient nicht nur gerettet, sondern auch in sein Leben rehabilitiert werden, heißt es vonseiten der Ärzte. Durch die plastisch-rekonstruktive Chirurgie konnte der offene Thorax mit freiliegendem Herzen durch Lappenplastiken gedeckt werden, der Arm mit mikrochirurgischen Nerventransfers für eine optimierte Prothesenversorgung vorbereitet und das Gesicht trotz Verlustes des rechtes Auges weitgehendst rekonstruiert werden, erklären Bergmeister und Schrögendorfer. "Dieser Fall zeigt besonders, zu welchen schweren Folgen Böllerverletzungen führen können und wie unentbehrlich und wichtig die Plastische Chirurgie in der interdisziplinären Versorgung dieser Schwerstverletzten ist", so das Team für Plastische-, Rekonstruktive und Ästhetische Chirurgie am Universitätsklinikum St. Pölten.
Feinmotorik
Selbst feinmotorische Bewegungsabläufe ließen sich damit ganz leicht bewerkstelligen. Auch wenn die Kosten für ein Bionic-Modell deutlich höher sind, sieht der Mediziner es bei dem 17-Jährigen als „gut investiertes Geld“. Tobias habe seine ganze Zukunft noch vor sich. „Er profitiert enorm, wenn er eine Prothese hat, die seine körperliche Einschränkung kompensiert“, sagt Bergmeister. Außerdem wäre der Fall auch zur klinischen Forschung auf dem Sektor bestens geeignet.
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Herzchirurg Peter Bergmann und sein Team retteten das Leben von Tobias Messerer
Schwarzmarkt
Dass er den Böllerunfall selbst verschuldet hat, ist Tobias bewusst. Er sieht sich deshalb auch dazu verpflichtet, einen gesellschaftlichen Beitrag zu leisten, um andere vor einem ähnlichen Schicksal zu bewahren. Mit seiner berührenden Geschichte will er speziell vor Silvester dazu beitragen, dass die gefährlichen Feuerwerkskörper nicht noch mehr Opfer und Leid verursachen.
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Tobias macht deshalb in Sozialen Netzwerken bewusst auf die Gefahr von illegaler Pyrotechnik aufmerksam. „Was geschehen ist, kann ich nicht mehr ändern. Aber ich kann andere davor warnen“, erklärt der 17-Jährige. Gekauft hat er die Böller damals am Schwarzmarkt auf dem berüchtigten „Asia Bazar“ in Kleinhaugsdorf am niederösterreichischen Grenzübergang zu Tschechien.
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