Heimskandal: 150 Vorwürfe und nur eine Anklage
80 Mitarbeiter verloren ihren Job und 16 traumatisierte Heimkinder ihre Bleibe. 2018 hat das Land drei Jugendheime für verhaltensgestörte Kinder in Niederösterreich zwangsschließen lassen. Basis dafür waren 150 skandalöse Verdachtsmomente aus dem Bericht der eingesetzten Sonderkommission. Angeklagt wurde kein einziger davon.
Jene Vorwürfe, die am Donnerstag am Landesgericht Wiener Neustadt zum Prozess gegen den ehemaligen Leiter der Therapeutischen Gemeinschaften (TG) führten, waren der Kommission fremd. Hermann R. muss sich wegen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses verantworten. Mit einem der Klienten soll es zu geschlechtlichen Handlungen gekommen sein.
Ein ehemaliger Mitarbeiter, von dem man sich im Streit getrennt hatte, hatte 2017 Anschuldigungen gegen die TG-Heime erhoben. Der politisch zuständige SPÖ-Landesrat und jetzige Landeshauptfrau-Stellvertreter, Franz Schnabl, setze eine Sonderkommission ein. Die Leiterin geriet wegen Befangenheit in Kritik, weil sie den Ex-Mitarbeiter zuvor anwaltlich vertreten hatte. Aufgrund von 150 Verdachtsmomenten der Kommission ließ Schnabl die Heime in Jaidhof (Bezirk Krems), Ebenfurth (Bezirk Wiener Neustadt) und Sitzendorf an der Schmida (Bezirk Hollabrunn) im März 2018 über Nacht schließen und die Kinder von der Polizei abholen.
Scharfe Proteste der Belegschaft waren die Folge. Von den Vorwürfen der Kommission ist strafrechtlich nichts übrig geblieben. Der Prozess von Donnerstag (siehe oben) war nicht Gegenstand des Berichts.
Alle anderen Ermittlungen wegen des Verdachts der Körperverletzung, des Quälens und Vernachlässigens wehrloser Personen, der Untreue, des Finanzbetrugs und anderer Delikte hat die Staatsanwaltschaft geprüft und eingestellt. Die drei betroffenen Trägervereine, die durch die Zwangsschließung der TG-Heime bankrott gingen, haben bereits beim Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien Schadenersatzklagen in der Höhe von 700.000 Euro gegen die vier Mitglieder der Sonderkommission eingebracht. Offen ist, ob es für den Mandatsbescheid zur Schließung eine rechtliche Grundlage gab. Die Sonderkommission erhielt 200.000 Euro für ihre Arbeit.
Gewalt und Drohungen
Der Prozess spiegelte das wieder, was die Führung und die Mitarbeiter der bankrotten TG-Heime immer beteuerten. Die Häuser in Jaidhof (Bezirk Krems), Ebenfurth (Bezirk Wiener Neustadt) und Sitzendorf an der Schmida (Bezirk Hollabrunn) waren kein „Mädchenpensionat“. „Wir hatten die Klienten, die keine andere Einrichtung mehr betreuen konnte. Es waren teils schwer verhaltensauffällige und psychisch kranke Jugendliche“, sagt Hermann R.
Polizeieinsätze gab es ständig, Gewalt und Drohungen gegen Betreuer auch. In diesem Spannungsfeld behauptete 2009 ein damals knapp 16-jähriger Schützling, er hätte mit dem Heimchef einvernehmlichen Sex gehabt. Dies vertraute er einem anderen Therapeuten an. Der Fall wurde geprüft, der Bursche revidierte jedoch später seine Aussage. Neun Jahre später keimte die Sache erneut auf, nachdem sich die TG-Heime im Streit von einem Betreuer getrennt hatten. Medienwirksam wurde öffentlich viel Schmutzwäsche gewaschen, vor TV-Kameras erhoben Jugendliche Anschuldigungen um sie kurz darauf wieder zurückzuziehen. Sie seien dazu angestiftet worden.
„Das vermeintliche Opfer hat zu der Zeit um Heimopfer-Rente angesucht. Die Anschuldigungen waren eine Erfindung, um diese auch zu bekommen“, behauptet der Anwalt des Angeklagten, Dieter Elsinger. Außerdem habe er jeden in seinem Umfeld des Missbrauchs bezichtigt, ergänzte der Angeklagte.
Glaubwürdigkeit
Zur Sprache kam ein Gutachten, welches dem jungen Mann eine kombinierte Persönlichkeitsstörung mit narzisstischen Zügen attestiert. Um seine Glaubwürdigkeit besser beurteilen zu können, soll nun die Gutachterin befragt werden. Der Prozess wurde auf unbestimmte Zeit vertagt.
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