Heimskandal: 150 Vorwürfe und nur eine Anklage

Heimskandal: 150 Vorwürfe und nur eine Anklage
Prozess gegen Ex-Chef von drei Kinderheimen der Therapeutischen Gemeinschaften wegen sexueller Übergriffe.

80 Mitarbeiter verloren ihren Job und 16 traumatisierte Heimkinder ihre Bleibe. 2018 hat das Land drei Jugendheime für verhaltensgestörte Kinder in Niederösterreich zwangsschließen lassen. Basis dafür waren 150 skandalöse Verdachtsmomente aus dem Bericht der eingesetzten Sonderkommission. Angeklagt wurde kein einziger davon.

Jene Vorwürfe, die am Donnerstag am Landesgericht Wiener Neustadt zum Prozess gegen den ehemaligen Leiter der Therapeutischen Gemeinschaften (TG) führten, waren der Kommission fremd. Hermann R. muss sich wegen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses verantworten. Mit einem der Klienten soll es zu geschlechtlichen Handlungen gekommen sein.

Gewalt und Drohungen

Der Prozess spiegelte das wieder, was die Führung und die Mitarbeiter der bankrotten TG-Heime immer beteuerten. Die Häuser in Jaidhof (Bezirk Krems), Ebenfurth (Bezirk Wiener Neustadt) und Sitzendorf an der Schmida (Bezirk Hollabrunn) waren kein „Mädchenpensionat“. „Wir hatten die Klienten, die keine andere Einrichtung mehr betreuen konnte. Es waren teils schwer verhaltensauffällige und psychisch kranke Jugendliche“, sagt Hermann R.

Polizeieinsätze gab es ständig, Gewalt und Drohungen gegen Betreuer auch. In diesem Spannungsfeld behauptete 2009 ein damals knapp 16-jähriger Schützling, er hätte mit dem Heimchef einvernehmlichen Sex gehabt. Dies vertraute er einem anderen Therapeuten an. Der Fall wurde geprüft, der Bursche revidierte jedoch später seine Aussage. Neun Jahre später keimte die Sache erneut auf, nachdem sich die TG-Heime im Streit von einem Betreuer getrennt hatten. Medienwirksam wurde öffentlich viel Schmutzwäsche gewaschen, vor TV-Kameras erhoben Jugendliche Anschuldigungen um sie kurz darauf wieder zurückzuziehen. Sie seien dazu angestiftet worden.

„Das vermeintliche Opfer hat zu der Zeit um Heimopfer-Rente angesucht. Die Anschuldigungen waren eine Erfindung, um diese auch zu bekommen“, behauptet der Anwalt des Angeklagten, Dieter Elsinger. Außerdem habe er jeden in seinem Umfeld des Missbrauchs bezichtigt, ergänzte der Angeklagte.

Glaubwürdigkeit

Zur Sprache kam ein Gutachten, welches dem jungen Mann eine kombinierte Persönlichkeitsstörung mit narzisstischen Zügen attestiert. Um seine Glaubwürdigkeit besser beurteilen zu können, soll nun die Gutachterin befragt werden. Der Prozess wurde auf unbestimmte Zeit vertagt.

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