Ein Heimskandal wird zum Bumerang

16 traumatisierte Heimkinder aus ganz Österreich – hauptsächlich aber aus Wien, NÖ und dem Burgenland – verloren über Nacht ihre Bleibe, 80 Mitarbeiter ihren Job. Die Schlagzeilen dazu: „Das Kindeswohl ist gefährdet“, „Es gibt untragbare Missstände“, „Jugendliche sind psychischer und physischer Gewalt ausgesetzt“.
Das waren 2018 – zusammengefasst – die schwerwiegenden Vorwürfe über die angeblich „skandalösen Zustände“ in drei Jugendheimen der Therapeutischen Gemeinschaften (TG) in Niederösterreich, konkret in Jaidhof (Bezirk Krems), Ebenfurth (Bezirk Wiener Neustadt) und Sitzendorf an der Schmida (Bezirk Hollabrunn). Eine Sonderkommission unter der Leitung der Wiener Familienanwältin Simone Metz wurde eingerichtet. Aufgrund dieser Erkenntnisse ließ der damals zuständige Landesrat und heutige Landeshauptfrau-Stellvertreter, Franz Schnabl (SPÖ), die Einrichtungen im März 2018 über Nacht schließen und die Kinder von der Polizei abholen. Scharfe Proteste waren die Folge. Ein Großteil der Jugendlichen selbst wollte in die Unterbringung zurück.
150 Verdachtsmomente
Vier Jahre später holt dieser Heimskandal die Politik und die Sonderkommission wieder ein, weil von den Vorwürfen der Beirates nichts übrig geblieben ist. Von ursprünglich 150 eingebrachten Verdachtsmomenten wurden überhaupt nur vier von der Staatsanwaltschaft als überprüfungswürdig angesehen.
Vier Jahre nach dem Skandal hat die Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt die Verfahren gegen die ehemaligen Betreiber betreffend diverser Vorwürfe der Körperverletzung, des Quälens und Vernachlässigens wehrloser Personen, der Untreue, des Betrugs und anderer Delikte eingestellt, bestätigt der Sprecher Erich Habitzl. Übrig geblieben ist nur ein möglicher Tatbestand, von dem die Sonderkommission gar nichts wusste und der auch nicht die Heime betrifft. Der Strafantrag richtet sich gegen den früheren TG-Chef Hermann R. wegen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses. Die Angelegenheit liegt zwölf Jahre zurück. Es geht um einen angeblich sexuellen Übergriff auf einen damals knapp 17-Jährigen. Bei seiner Einvernahme 2010 dementierte das angebliche Opfer die Vorwürfe gegenüber der Polizei. 2018 revidierte er seine Meinung. Der Fall wird demnächst am Landesgericht Wiener Neustadt verhandelt.
Klage gegen Kommission
Auch auf der anderen Seite sind die Gerichte beschäftigt. Die Arbeit der Sonderkommission und Schnabls Vorgehen könnte sich für alle Beteiligten noch zum Bumerang entwickeln. Denn die Betreiber sind durch die Schließung finanziell ruiniert. Die drei betroffenen Vereine, die mit den TG-Heimen bankrott gingen, haben bereits beim Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien Schadenersatzklagen in der Höhe von 700.000 Euro gegen die vier Mitglieder der Sonderkommission eingebracht.
Stellt sich heraus, dass die rechtliche Grundlage für die Heimschließungen fehlte, könnten auch Schnabl und das Land Niederösterreich zur Kasse gebeten werden.
Zweifel
Jemand, der die erhobenen Vorwürfe von Anfang an in Zweifel gezogen hat, ist Silke Brigitta Gahleitner. Die Professorin für klinische Psychologie und Sozialarbeit hat von 2014 bis 2016 mit ihrem Team eine Studie über die Therapeutische Gemeinschaft durchgeführt und sich intensiv mit den Heimen, den Betreuern und Klienten beschäftigt. Gahleitner kam in der 92 Seiten dicken Studie zu einem ganz anderen Ergebnis als die Sonderkommission: „Die Auswertung der Interviews weisen auf eine sogar überdurchschnittliche Qualität der Einrichtung hin.“ Anzeichen auf Misshandlungen oder Vernachlässigung der Kinder habe es über den gesamten Zeitraum in den Heimen keine gegeben.
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