Fall Kührer: "Es wird Überraschungen geben"

APA10532248-2 - 06122012 - PULKAU - ÖSTERREICH: ZU APA 112 CI - Die jahrelang vermisst gewesene und Mitte 2011 tot aufgefundene Julia Kührer wurde am 04. Februar 2012 in der Gemeinde Pulkau im niederösterreichischen Bezirk Hollabrunn beigesetzt. Im Bild: Gestecke für Julia auf dem Grab am Friedhof der Pfarrkirche St. Michael (ARCHIVBILD). Nach Angaben des Bundeskriminalamts ist der bereits 2011 Verdächtigte neuerlich festgenommen worden. Die Ermittlungen ergaben, dass eine Verbindung zwischen dem 51-Jährigen und dem Opfer bestanden haben muss. An einem verkohlten Deckenfragment, das sich bei der Leiche der fünf Jahre vermissten 16-Jährigen befand, wurde die DNA des Beschuldigten gesichert. APA-FOTO: HERBERT PFARRHOFER
Angeklagter Michael Kollitsch wird sich beim Prozess kommende Woche „nicht schuldig“ bekennen

32 Bände sind es, die Rechtsanwalt Farid Rifaat über den Fall Julia Kührer in seiner Kanzlei stehen hat. Er vertritt Michael Kollitsch – jenen Mann, der sich ab kommenden Dienstag wegen Mordes im Landesgericht Korneuburg verantworten muss. Er soll laut Anklage im Jahr 2006 die 16-jährige Schülerin in Pulkau getötet haben.

Doch mit dem Begriff „Mord“ hat Rifaat in diesem Fall schon seit jeher ein Problem. „Warum Mord? Die Todesursache ist unklar.“ Und die Indizien, die Ermittler und Staatsanwalt zusammengesammelt haben, etwa die DNA-Spuren auf einer Decke, tut er als „No-Na-Erkenntnisse“ ab. „Mein Mandant hat nichts mit dem Tod von Julia Kührer zu tun. Er wird sich nicht schuldig bekennen.“

Zweifel an Zeugen

Sieben Tage lang soll der Prozess dauern. „Das wird sich nicht ausgehen“, zweifelt Rifaat. Denn er hat ein Problem mit der „Qualität einiger Zeugen“. „Da gibt es viele Auffälligkeiten. Das wird für Spannungen sorgen.“

So bestätigt laut Rifaat nur eine Zeugin, dass Kollitsch mit der Droge Crystal Meth gedealt haben soll. „Er hat nie Drogen konsumiert oder verkauft.“ Nur Kührers damaliger Freund soll auf dem Grundstück des Angeklagten Hanf angebaut haben. „Was aber nicht funktioniert hat.“ Und auch die Erinnerungsunterschiede einiger Zeugen vor und nach Auffinden der sterblichen Überreste Julias auf Kollitschs Grundstück, hält er für bemerkenswert.

Für Rifaat tun sich außerdem einige Fragen beim angeblichen Tathergang auf. „Wenn jemandem mitten auf dem Hauptplatz in Pulkau die Zähne ausgeschlagen werden (laut Gutachten bekam Kührer einen Faustschlag ins Gesicht. Der Übergriff soll in Kollitschs Videothek in Pulkau passiert sein, Anm.) muss ja ein Schrei zu hören sein.“

Lokalaugenschein

Deshalb will der Anwalt auch einen Lokalaugenschein mit den Geschworenen beantragen. „Um zu klären, ob das überhaupt alles so möglich ist, wie es der Staatsanwalt schildert.“

Auch in Dietmannsdorf soll es nach Rifaats Wunsch einen solchen Lokalaugenschein geben. „Der Keller, in dem die Überreste von Julia Kührer gefunden wurden, war einsturzgefährdet und L-förmig. Auch beim Hineinschauen hat man nichts gesehen.“ Der 51-jährige Angeklagte habe demnach gar nicht gewusst, was sich drinnen befindet.

Die Polizei war im Jahr 2010 auf dem Grundstück und hielt Nachschau. Auch die Beamten stellten nichts Verdächtiges fest.

Das angeblich gesprengte Alibi zur Tatzeit hält Rifaat ohnehin für „kühn“. „Wir wissen ja nicht einmal den genauen Zeitpunkt des Todes. Und mein Mandant wurde erst vier Jahre nach dem Verschwinden Kührers dazu befragt“, meint Rifaat. „Es wird sicher noch Überraschungen geben.“

In einem Monat beginnt der Prozess rund um den Tod von Julia Kührer aus Pulkau, NÖ. Sechs Sachverständige und rund 100 Zeugen werden in dem mehrtägigen Prozess im Landesgericht Korneuburg zu Wort kommen. Der Vorwurf lautet: Mord. Der mutmaßliche Täter: Michael Kollitsch, ehemaliger Videotheken-Besitzer in Pulkau. Dem KURIER liegt die Anklageschrift vor. Und die beinhaltet bisher unbekannte Details.

So etwa massive Verletzungen im Mundbereich von Julia Kührer. Der Staatsanwalt ist sich sicher: Durch einen heftigen Faustschlag brach ein Schneidezahn der 16-Jährigen ab und auch das Zahnfach (eine Vertiefung in den Kieferknochen, in der der Zahn mit seiner Wurzel steckt, Anm.) wurde dabei eingedrückt. „Im Anschluss daran tötete Kollitsch Julia Kührer auf nicht mehr feststellbare, jedoch jedenfalls gewaltsame Art“, heißt es in der Anklageschrift. Verteidiger Farid Rifaat wehrt sich gegen dieses Bild: „Es gibt gar keinen Anhaltspunkt, dass Julia Kührer getötet wurde.“ Und auch beim Zeitablauf, den die Staatsanwaltschaft zeichnet, sieht er Fehler. „Die Rechnung geht nicht auf.“

Laut Staatsanwalt soll sich der Übergriff in der Videothek in Pulkau ereignet haben. Dorthin soll Julia gegangen sein, als sie am 27. Juni 2006 von der Schule heimkehrte. Vermutlich, um die Droge Crystal Meth zu kaufen. Kollitsch soll, das bestätigen Zeugen, damit gehandelt haben. Pro Gramm verlangte er 100 Euro. Dann, ist der Staatsanwalt überzeugt, gab es sexuelle Übergriffe. Als Julia sich wehrte, soll Kollitsch zugeschlagen haben.

Molotow-Cocktail

„Aus Angst vor Entdeckung versteckte er den Leichnam vorerst im Bereich der Videothek und wartete bis in die Abendstunden, um ihn im Schutze der einfallenden Dämmerung mit dem von ihm genutzten Pkw auf sein Grundstück in Dietmannsdorf zu bringen“, heißt es in der Anklage weiter. Mit Hilfe einer Scheibtruhe dürfte der 51-Jährige Julias Körper in den Keller gebracht, in Jutesäcke und eine blaue Decke gewickelt und mit Brandbeschleuniger übergossen haben. Dann soll er einen Molotow-Cocktail auf den Leichnam des Mädchens geworfen haben. Nicht nur der Keller weist starke Brandspuren auf. Auch die Griffe der Scheibtruhe.

Verwesungsgeruch

In diesem Zusammenhang gibt es auch eine schaurige Zeugenwahrnehmung. Das „Cold Case“-Ermittlungsteam um Chefinspektor Kurt Linzer hat Hunderte Zeugen befragt. Einer davon ist Rudolf T., der sich noch an „grauenvollen Verwesungsgeruch“ an den Tagen nach Julias Verschwinden in der Nähe von Kollitschs Haus erinnern kann. Der Gestank hat laut Staatsanwaltschaft auch die Hunde des Angeklagten angelockt, sodass er den Erdkeller mit Holzbrettern verbarrikadieren musste.

Einen wesentlichen Anteil hat auch das Gutachten von DNA-Spezialistin Christa Nussbaumer. Es wurden nicht nur Kollitschs Hautschuppen auf der blauen Decke, in die die Leiche eingewickelt war, sichergestellt. Faserreste der Decke fanden sich auch auf einem Sessel von Michael Kollitsch in dessen Wiener Wohnung.

Fall Kührer: "Es wird Überraschungen geben"

Kollitsch bestreitete bis zuletzt, etwas mit dem Tod der 16-jährigen Schülerin im Juni 2006 zu tun zu haben. Doch die Staatsanwaltschaft ist sich sicher: Der 51-Jährige hat die Schülerin getötet, als sie sich gegen sexuelle Übergriffe wehrte.

Und sie beleuchtete auch intime Details aus dem Leben des Verdächtigen. So soll er sich zu jungen, zierlichen, schwarzhaarigen Frauen hingezogen gefühlt haben – diese Beschreibung trifft auch auf Julia Kührer zu. Auch soll er eine Praktikantin in der Videothek sexuell belästigt haben.

Internet-Suche

Die Ermittler zeichnen aber auch ein fragwürdiges Verhältnis Kollitschs zu Frauen. So wurden auf dem PC des Angeklagten einschlägige Internet-Abfragen nachgewiesen: „Sex mit toten Frauen“, „K.-o.-Tropfen und Vergewaltigung“ und „Sex mit Kindern“.

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