Pressestimmen: "Mit eingezogenem Schwanz wieder aus Moskau abgefahren"
Kein Handschlag, keine Kameras, kein Pressetermin - und nach nicht einmal eineinhalb Stunden war das Gespräch zwischen Bundeskanzler Karl Nehammer und dem russischen Präsidenten Wladimir Putin am Montag auch schon wieder vorbei. Bei anderen Staatsbesuchen hat Putin seinem Gegenüber in dieser Zeit gerademal seine Sicht der Dinge präsentiert.
"Direkt, offen und hart" war das Gespräch laut Kanzler Nehammer. Rausgekommen ist nicht allzuviel. Er sprach von "generell keinen positiven Eindrücken" und "keinen zukunftsfrohen Aussichten".
"Jede Chance, Putins Wahn zu stoppen, ist doch jeden Versuch wert", schreibt KURIER-Chefredakteurin Martina Salomon in ihrem Leitartikel.
"Genau in dieser verfahrenen Situation war Österreich vermutlich ein ideales Land, um einen kleinen Vermittlungsversuch zu starten."
"Eingezogener Schwanz"
"Nehammer ist mit einer viel zu ehrgeizigen Liste von Zielen in Moskau eingetroffen: Eröffnung humanitärer Korridore, eine Waffenruhe und Ermittlungen über die Kriegsverbrechen russischer Truppen in der Ukraine", heißt es in der italienischen Zeitung La Repubblica. Vernichtend das Fazit: "Der österreichische Bundeskanzler ist mit eingezogenem Schwanz wieder aus Moskau abgefahren."
"Die Initiative des österreichischen Bundeskanzlers überrascht und löste einige Kritik aus. Sie muss vor dem Hintergrund der österreichischen Neutralität und der Rolle Österreichs als Brücke zwischen Osten und Westen verstanden werden. Wegen seiner starken Energieabhängigkeit von Russland zählt Österreich zu den EU-Ländern, die sich am meisten gegen ein Embargo gegen Russland wehren. Die guten Beziehungen zum Kreml haben die österreichische Regierung nicht daran gehindert, alle EU-Sanktionen gegen Russland mitzutragen", heißt es in der auflagenstärksten italienischen Tageszeitung Corriere della Sera.
"Die gescheiterte Mission Nehammers im Kreml: Sein Besuch hat zu keinen Resultaten geführt. Viele haben im Ausland und in der Heimat Nehammers Besuch kritisiert, die Ukrainer in erster Linie. Doch (der deutsche Kanzler Olaf) Scholz und andere europäische Regierungschefs loben den diplomatischen Versuch", tönt es aus der La Stampa.
Im Il Messaggero wird der Besuch wie folgt kommentiert: "Das erste Gespräch des Regierungschefs eines EU-Landes hilft nicht, eine einzige der Gewissheiten Putins gegenüber dem, was Moskau weiterhin als 'Militäroperation' bezeichnet, zu sprengen. Einziger positiver Faktor ist, dass Putin weiterhin die Istanbuler Friedensgespräche als mögliches Format für einen Dialog zwischen Russen und Ukrainern betrachtet."
"Brückenbauer-Image"
Süddeutsche Zeitung: "Die kleine Republik Österreich gefällt sich schon lange in dem vor allem von heimischen Politikern gepflegten Image, eine 'Brückenbauerin', eine diplomatische Größe im Konzert der Großen zu sein. Was immer Bundeskanzler Karl Nehammer beflügelt haben mag, sich auf eine mission impossible nach Moskau zu begeben, könnte mit diesem Selbstbild zu tun haben. Und doch wäre der ÖVP-Politiker besser beraten gewesen, es nicht zu tun.
(...) Moralisch sein, aufklären - beides ist sehr löblich und doch vor allem sehr naiv. Die Kriegsverbrechen sind gewollt. Die Realität ist bekannt. Wer immer noch glaubt, Putin sei nur schlecht informiert oder von seinen Hofschranzen in die Irre geführt, der leugnet bis heute, dass genau das die Strategie des Kreml ist: die Ukraine und die Ukrainer zu zerstören. Und danach alle, die sich Putin und seinen irren Ideologen in den Weg stellen. Moral ist eine Kategorie, die man im Kreml nicht akzeptiert."
'Nutzt's nix, schad's nix.'
Frankfurter Allgemeine Zeitung: "Der österreichische Bundeskanzler auf Friedensmission in Moskau: Da mögen bei manchen in Wien nostalgische Erinnerungen wach werden an Begegnungen wie einst zwischen (dem sowjetischen Staats- und Parteichef Nikita) Chruschtschow und (US-Präsident John F.) Kennedy. Das neutrale Österreich als 'ehrlicher Makler' und 'Brückenbauer', wenn auch keineswegs neutral gegenüber Völkerrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen: So hat Karl Nehammer vor der Reise seine Grundhaltung beschrieben. (...) Nach eigenen Angaben war es Nehammers Idee, danach auch nach Moskau zu reisen. Sie sei ihm gekommen, als er - ebenfalls spontan - beim Telefonieren mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj die Fahrt nach Kiew verabredet hatte. Das ist nicht unglaubwürdig. Nehammer neigt zu impulsiven Auftritten."
Die Welt: "Ein österreichisches Sprichwort lautet: 'Nutzt's nix, schad's nix.' Als Österreichs Kanzler Karl Nehammer als erster europäischer Staatschef seit Beginn des Krieges an diesem Montag den russischen Präsidenten Wladimir Putin in Moskau traf, dürfte dies das Motto der Mission gewesen sein. Denn die Erwartungen waren niedrig. (...)
Vor seiner Abreise nannte der Kanzler seine Reise eine 'Risikomission'. Risiken birgt dieser Besuch in der Tat, zum Beispiel, sich lächerlich zu machen und propagandistisch missbraucht zu werden."
"Aufwartung in Moskau"
Neue Zürcher Zeitung:
"Es gibt derzeit keinerlei Signale eines russischen Entgegenkommens, im Gegenteil. Moskau bereitet gerade den Großangriff auf den ukrainischen Osten vor, der noch brutaler werden dürfte als das bisher Geschehene. Vor diesem Hintergrund können Gespräche allenfalls dann aussichtsreich sein, wenn Putin ein ganz konkretes Angebot gemacht werden kann - sei es im Auftrag der Ukraine oder der Europäischen Union. Über ein solches Verhandlungsmandat verfügt Nehammer jedoch nicht, er handelte vielmehr aus eigenem Antrieb. (...)
Der Gefahr, dass Russland das Treffen propagandistisch ausschlachtet, beugte die österreichische Seite immerhin vor, indem sie Bilder, Filmaufnahmen und auch eine Pressekonferenz untersagte. Das ändert aber nichts an dem Signal, das Wien aussendet und das auch die russischen Medien verbreiten werden: Ein westlicher Regierungschef macht seine Aufwartung in Moskau, Putin ist nicht isoliert, die Einheit der EU könnte bröckeln."
Dolomiten (Bozen):
"Aber vielleicht kommt Nehammer ja gerade die Rolle des Underdogs zupass. Ein französischer Staatschef Emmanuel Macron kann mit Putin allenfalls telefonieren, aber dem Mann mit dem Blut an den Händen keinen Besuch abstatten, um Frieden oder was auch immer zu verhandeln. Der Kanzler Österreichs kann als Neutraler zumindest eine Dialogbasis aufrechterhalten - so möglicherweise die Überlegung auch der EU, die sehr zurückhaltend, aber nicht ablehnend der Reise gegenüber reagierte."
"Absurdes Beispiel westlicher Fehleinschätzungen"
St. Galler Tagblatt/CH Media:
"Der Besuch von Österreichs Kanzler Karl Nehammer bei Wladimir Putin in Moskau war nicht nur sinnlos. Er ist auch ein absurdes Beispiel westlicher Fehleinschätzungen gegenüber dem Kriegstreiber im Kreml. Denn während für viele Konflikte gilt: Reden ist besser als Nichtreden, liegt der Fall bei Putin anders. Er will die Ukraine in die Knie zwingen, koste es, was es wolle. Der Westen sollte sich nichts vormachen: Der Herrscher im Kreml wird den Krieg gegen sein Nachbarland nicht durch gutes Zureden beenden. (...)
Nun zieht Putin seine Truppen in der Ostukraine zusammen. Sobald seine Armee bereit ist, dürfte ein Grossangriff folgen. Bis dahin braucht Putin Zeit. Vorstösse wie jener des österreichischen Kanzlers dürften ihm da gerade recht kommen."
"Kölner Stadt-Anzeiger":
"Auch wenn man nicht davon ausgehen kann, dass Putin sich vom militärisch neutralen Österreich mit seinen knapp zehn Millionen Einwohnern beeindrucken lässt, so reiht sich Nehammers Besuch dennoch ein in eine Reihe von Versuchen, den Kreml zum Einlenken zu bewegen. Diesen Kurs weiter zu verfolgen, kann - neben der allseitigen Hilfe für die Ukraine - nicht falsch sein."
"Praktisch ein Nichtresultat"
Hamburger Abendblatt:
"Das Ergebnis des Gesprächs ist praktisch ein Nichtresultat. Mehr war aber auch kaum zu erwarten. Denn Russland hatte in den vergangenen Wochen keinerlei Gesprächsbereitschaft erkennen lassen. Und Österreich pflegt zwar gute Beziehungen zu Moskau - Putin hat Wien seit 2014 zwei Mal offiziell besucht -, hat aber keinesfalls das politische und auch wirtschaftliche Gewicht, das nötig wäre, um Russland zu einem Einlenken zu bringen.
Die Sinnhaftigkeit der Reise stand demnach schon vorab infrage. Vor allem, weil kaum zu erahnen war, was es konkret zu besprechen gäbe. Alle bisher von Russland angebotenen Auswege enthalten eklatante Völkerrechtsbrüche. So blieb schließlich das heikle Thema Gas. Wie ein russischer Diplomat mutmaßte, wird es letztlich wohl vor allem um den fossilen Brennstoff gegangen sein."