Nehammer bei Putin: "Generell keine positiven Eindrücke"
75 Minuten hat die Unterredung zwischen Österreichs Kanzler Karl Nehammer und Russlands Präsident Wladimir Putin in dessen Residenz in Nowo-Ogarjewo gedauert - Freundschaftsbesuch sei das keiner gewesen, sagte Nehammer danach. Schließlich komme er gerade aus der Ukraine und habe "das unermessliche Leid mit eigenen Augen gesehen, das durch den russischen Angriffskrieg entstanden ist".
Fotos oder Medienstatements mit Putin gab es nicht, und das auf Wunsch Österreichs. Auch Journalisten waren bei diesem Besuch, anders als in Kiew, nicht dabei. "Es geht nicht um die Inszenierung", sagte Nehammer danach. Ihm sei es wichtig gewesen, zuerst in das betroffene Land zu reisen und danach ins Land des Aggressors - und Putin dabei direkt in die Augen zu sehen.
"Direkt, offen und hart"
Was dabei herausgekommen ist? Nicht viel Hoffnungsvolles. Das Gespräch - das an einem ähnlich langen Tisch geführt wurde wie die vielen anderen Treffen mit Staats- und Regierungschefs - sei zwar "sehr direkt, offen und hart" gewesen, so Nehammer. Putins Reaktion - man hat sich übrigens in der jeweiligen Landessprache mit Dolmetscher unterhalten - sei dementsprechend abwehrend gewesen, sagte Nehammer. Er sprach von "generell keinen positiven Eindrücken" und "keinen zukunftsfrohen Aussichten". Putin sei "massiv in der Kriegslogik angekommen" und handle auch dementsprechend.
Das Wort Krieg habe Putin - in Russland darf die Attacke ja nur "Spezialoperation" genannt werden - nur einmal und nur indirekt in den Mund genommen. Darauf angesprochen, dass der Krieg bald enden solle, habe Putin laut Nehammer erwidert: "Es wäre besser". Das könne aber freilich eine Eskalation genauso wie eine diplomatische Lösung bedeuten.
Butscha als Thema
Das wichtigste Thema der letzten Tage, die Kriegsverbrechen in Butscha und anderen Orten, habe er "mit aller Deutlichkeit" angesprochen, sagte Nehammer. Die Gräuel dort und in anderen Orten habe Putin allerdings wie gewohnt kommentiert - und sie als Inszenierung der ukrainischen Seite dargestellt.
Putin habe auf das Thema ohnehin ablehnend reagiert. Eine Aufklärung, wie von Nehammer gefordert, parierte der russische Präsident mit "Misstrauen gegenüber der internationalen Staatengemeinschaft". Er unterstellte den Gremien, die die Kriegsverbrechen unabhängig aufklären könnten, Parteilichkeit. Russlands Machthaber setze stattdessen auf die Verhandlungen in Istanbul, so Nehammer - das werte er immerhin als positives Zeichen.
Offensive im Osten geplant
Nehammer beschäftigte sichtlich, dass Russland offenbar eine Offensive in der Ostukraine - also in den Separatistengebieten - vorbereitet. "Diese Schlacht wird mit Vehemenz geführt werden", sagte er. Zivilisten müssten deshalb aus den umkämpften Gebieten über humanitäre Korridore in Sicherheit gebracht werden, das habe er auch Putin mit Nachdruck gesagt. Sein Eindruck sei aber nicht optimistisch.
Die Reise nach Moskau und das Gespräch mit Präsident Putin seien für ihn "eine Pflicht" gewesen, sagte Nehammer. Er wolle "nichts unversucht zu lassen, um eine Einstellung der Kampfhandlungen oder zumindest humanitäre Fortschritte für die notleidende Zivilbevölkerung in der Ukraine zu bewirken. "Mir war es wichtig, ihn in seine Augen sehend mit den Schrecken des Krieges zu konfrontieren."
Zudem habe er Putin auch gesagt, dass die Sanktionen gegen Russland aufrecht bleiben und weiter verschärft würden, so lange Menschen in der Ukraine sterben. "Die EU ist in dieser Frage so geeint wie noch nie", sagte Nehammer.
Nehammer forderte auch die sofortige Einstellung der Kampfhandlungen, humanitäre Korridoren zur Evakuierung von Verwundeten und vulnerablen Gruppen, zum Beispiel aus Mariupol und anderen belagerten Städten, und den Zugang für das IKRK und andere humanitäre Organisationen. "Es braucht dringend humanitäre Korridore, um Trinkwasser und Lebensmittel in die belagerten Städte zu bringen und Frauen, Kinder und Verwundete herauszubringen." Da müsse man sehen, was dies gebracht habe.
"Es gibt nur Verlierer"
Nehammer hat danach seine europäischen Partner über das Gespräch informiert und über weitere Schritte beraten. "Meine wichtigste Botschaft an Putin war aber, dass dieser Krieg endlich enden muss, denn in einem Krieg gibt es auf beiden Seiten nur Verlierer.“
Zur Begrüßung soll es keinen Handshake gegeben haben. Nehammer ist der erste Regierungschef eines EU-Landes, der von Putin seit Russlands Einmarsch in die Ukraine vor gut sechs Wochen empfangen wurde.
Am Wochenende in Kiew
Erst am Wochenende war Nehammer mit einem Journalistentross nach Kiew gereist, um unter anderem dem ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenskij seine Solidarität zu versichern. Nach seiner Rückkehr kündigte er am Sonntagnachmittag vor Journalisten an, auch Aggressor Putin zu treffen.
Die Initiative zur Moskau-Reise sei von ihm ausgegangen, sagte Nehammer, und sie sei schon während die Reise in die Ukraine geplant worden.
Seit Kriegsausbruch war kein Regierungschef aus der EU bei Putin in Moskau, es gab nur telefonischen Kontakt etwa mit dem französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron und dem deutschen Kanzler Olaf Scholz.
Kritik aus der EU und Russland
An Nehammers Initiative gab es auch Kritik. „Ich glaube nicht, dass Putin ansprechbar ist“, sagte der litauische Außenminister Gabrielius Landsbergis; der finnische Außenminister Pekka Haavisto sagte, dass es "natürlich wichtig ist, dass die Kontakte aufrecht bleiben, aber sehr hohe Erwartungen scheint Österreich nicht zu haben.“
Der russische Ex-Schachweltmeister Garri Kasparow nannte das Gespräch auch entbehrlich. Er ist eine der prominentesten Figuren der außerparlamentarischen Opposition in Russland. "Was für ein Witz", schrieb er auf Twitter und nannte das Treffen "eine weitere österreichische Rettungsleine".
Die Ukraine verhielt sich still. Aus Kiew selbst kam am Montag kein Kommentar. Der ukrainische Botschafter in Österreich, Wassyl Chymynez, sagte nur, er hoffe auf Resultate. Derzeit sei Putin aber sehr stark auf die russische Offensive in der Ostukraine fokussiert.
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