Nehammer bei Selenskij: Freundschaft trotz Nein zu Gasembargo
Rund 45 Minuten dauerte das Gespräch zwischen dem ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenskij und Bundeskanzler Karl Nehammer im Präsidentenpalast in Kiew. Danach bedankte er sich mit einem etwas müden, aber dennoch sehr entschlossenen Blick bei dem österreichischen Gast für sein Kommen. Für ihn war es auch nicht dadurch getrübt, dass man sich in Wien weiter gegen ein Gasembargo gegen Russland wehrt.
Während Selenskij das Thema gar nicht ansprach, wollten ukrainische Journalisten von Kanzler Nehammer sehr wohl wissen, wie er es mit den Forderungen nach einem Embargo hält. Die Antwort: „Wenn weiter Leute sterben, ist keine Sanktion ausreichend genug. Sanktionen entfalten dann Wirksamkeit, wenn sie den treffen, gegen den sie gerichtet sind.“ Und nur zu den österreichischen Journalisten sagte er im Vorfeld des Treffens: „Es bleibt widerlich, dass wir vom russischem Gas abhängig sind, aber es geht derzeit nicht anders.“
Konfrontiert wurde der Kanzler bei der Pressekonferenz auch mit der Rolle von Raiffeisen International in Russland. Da verwies er sofort darauf, dass die Bank auch in der Ukraine engagiert ist. Und: „Ich weiß, dass Raiffeisen alles dazu beiträgt, dass die Sanktionen eingehalten werden.“ Der Bundeskanzler war nicht mit leeren Händen gekommen. Er versprach weitere humanitäre Hilfe, dazu Rettungs- und Feuerwehrfahrzeuge.
Kein Alleingang
Außerdem ließ er sich eine Liste geben, was in der Ukraine noch benötigt wird. Waffen zählen wegen der Neutralität nicht dazu. Wofür Selenskij auch Verständnis hatte: „Wer nicht mit Waffen helfen kann, der kann anders helfen.“ Das Wichtigste wäre gewesen, dass der österreichische Regierungschef überhaupt nach Kiew gekommen sei. „So viele Staatschefs waren noch nicht da“, so Selenskij.
Seine Reise hatte Nehammer als Zeichen für die staatliche Autorität, die Unabhängigkeit und die Anerkennung der derzeitigen ukrainischen Regierung gesehen. Die Fahrt nach Kiew sei auch kein Alleingang, sondern mit den Partnern, von der EU-Spitze bis zu Deutschlands Kanzler Olaf Scholz, abgesprochen.
Als Kanzler Karl Nehammer mit Präsident Selenskij nach ihrer Unterredung vor die Öffentlichkeit getreten war, merkte man ihm ein wenig Betroffenheit an. Es war auch für ihn ein ganz besonderes Treffen, wie er schon im Vorfeld gesagt hatte: „Das ist das Prägendste in meinem bisherigen politischen Leben.“ Es spiele auch Emotion mit, weil etwa Kiews Bürgermeister Vitali Klitschko ein guter Freund sei. Dennoch müsse man alles sachlich sehen und analysieren. Aber immer mit dem Augenmerk, dass die Ukraine der überfallene Staat ist. Das sei auch mit Österreichs Neutralität vereinbar, auch wenn diese von russischer Seite anders interpretiert werde.
„Moralisch nicht neutral“
Nehammer: „Russland hat von Anfang an unsere Position gekannt.“ An der militärischen Neutralität werde nicht gerüttelt, moralisch sei man nicht neutral. Ob sein Besuch in Kiew zu Gegenreaktionen aus Moskau führen wird, könne er nicht sagen. Von der russischen Diplomatie sei jedenfalls kein Versuch unternommen worden, die Reise zu verhindern. Allerdings rechnet der Kanzler damit, dass die Ausweisung der vier russischen Diplomaten aus Österreich mit Gegenausweisungen beantwortet wird. Aber: „Wer kann Putin derzeit einschätzen.“ Trotz dieser Zerreißprobe seien jedoch noch immer Gesprächskanäle mit Moskau offen.
Nehammer ist am Freitag in ein Kiew gekommen, das ein wenig aufatmet, weil sich der Krieg von der Hauptstadt weg verlagert hat (siehe Seite 5 unten). Dennoch spürt man überall, dass man dieser Sicherheit nicht traut. Straßensperren, Checkpoints, Sandsäcke und ein total überwachter Präsidentenpalast unterstreichen diese Nervosität.
Nach Kiew besuchte Nehammer auch mit Butscha jenen Ort, wo schwere Kriegsverbrechen der Russen an der Zivilbevölkerung stattgefunden haben sollen. Der ukrainischen Führung war dieser Programmpunkt besonders wichtig. Nehammer erklärte gegenüber Selenskij, es sei „notwendig, dass die UNO und die internationale Strafjustiz die Verbrechen untersuchen: „Das ist das Gebot der Stunde.“
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