So angezählt ist Werner Faymann

Keine Wahlerfolge, zu wenig Profil in der Regierung, abgewirtschaftete Partei: Faymann steht vor dem Aus.
Nach der Blamage auf dem Parteitag ist Werner Faymann angezählt. Offen ist der Zeitpunkt der Ablöse.

Peinlicher geht’s nicht. Zuerst betteln die Parteioberen die Delegierten an, den eigenen Bundeskanzler doch bitte auch dann nicht zu streichen, wenn sie ihn eigentlich loswerden wollen. Und dann wird auch noch das Wahlergebnis aufgerundet, um den Kanzler noch etwas aufzuschminken.

Der dermaßen hergerichtete österreichische Regierungschef soll nun in der EU die steuervermeidenden Großkonzerne bezwingen und zu Hause dem Großkapital eine Vermögenssteuer abtrotzen. Viel Erfolg.

95 von 590 Parteitagsdelegierten haben Werner Faymann als SPÖ-Chef gestrichen, 50 Delegierte nahmen an der Wahl gar nicht teil. Die anderen Spitzenfunktionäre – mit Ausnahme der schwachen Unterrichtsministerin Gabriele Heinisch-Hosek – wurden mit deutlich mehr als 90 Prozent in ihren Funktionen bestätigt.

Die Szenerie am Freitag Abend nach der Blamage (mehr dazu lesen Sie hier) war gespenstisch. Hundertschaften von SPÖ-Funktionären standen plaudernd an Stehtischen in der Wiener Messe und taten so, als wäre nichts geschehen.

Nur Faymann zog sich mit seinen Getreuen zur Krisenbesprechung zurück. Von den Parteigranden hielt ihm dabei keiner das Händchen. Die waren längst mit Überlegungen beschäftigt, wie sie sich aus der misslichen Lage – in die sie sich aus Eigenverschulden manövriert haben – befreien sollen.

Das Eigenverschulden der SPÖ-Granden: Obwohl sie wussten, dass Faymann kaum mehr Rückhalt hatte, lösten sie ihn nicht ab. Stattdessen wollten sie Faymann über den Parteitag hieven, indem sie die Delegierten disziplinierten.

Heraus kam das Schlechteste, was sich die SPÖ wünschen kann. 83,9 Prozent sind zu viel für einen sofortigen Rücktritt, aber zu wenig, um darüber hinwegzugehen. "60 Prozent wären okay gewesen, dann wäre er weg. 90 Prozent wären auch okay gewesen, dann wäre er bestätigt. So ist er nur angeschlagen, und mit ihm die Partei", analysierte Freitagnacht ein SPÖ-Stratege verzweifelt.

Wie wird es weitergehen?

Die Parteigranden werden das Problem vorerst einmal wegreden. Michael Häupl hat schon damit begonnen (mehr dazu lesen Sie hier). Zweck der Schönredeübung: Zeitgewinn. "Sie werden versuchen, sich in die Weihnachtspause zu retten, um Zeit zum Nachdenken zu bekommen", sagt ein SPÖ-Politiker, der die handelnden Personen seit Jahrzehnten kennt.

Nachgedacht wird folgendermaßen: Jene Bundesländer, die 2015 wählen, werden überlegen, womit ihnen am besten gedient ist. Es gibt zwei Denkschulen: Man kürt einen neuen Kanzler und verschafft sich somit Rückenwind und Aufbruchstimmung vom Bund. Oder man belässt den angeschlagenen Kanzler, um ihn als Sündenbock für die eigene Wahlniederlage parat zu haben.

Die Gewerkschaft wiederum wird überlegen, ob sie Faymann einen Verhandlungserfolg bei der Steuerreform zutraut. Sie hat immerhin 882.000 Unterschriften gesammelt, denen sie verpflichtet ist. Wenn die Gewerkschafter ihre eigenen Parteitags-Aussagen vom Freitagnachmittag glauben – "Man muss Faymann wählen, denn nur ein starker Kanzler kann die Steuerreform durchsetzen" – müsste sie ihn eigentlich ablösen. Aber in der Politik gelten ja selten die Aussagen vom Vortag.

Zusammengefasst lässt sich sagen: Die Überlegungen, Faymann auszutauschen, sind SPÖ-intern voll in Gang. Offen ist das Szenario für seine Ablöse.

So angezählt ist Werner Faymann
Bundeskanzler Christian Kern.
Als Nachfolger kursieren ÖBB-GeneraldirektorChristian Kern(Bild); KlubobmannAndreas Schiederund – als Übergangslösung – SozialministerRudolf Hundstorfer. Von den Landeshauptleuten kommtPeter Kaiserin Frage, die anderen (Häupl,Hans Niessl,Franz Voves) sind wegen anstehender Landtagswahlen derzeit unabkömmlich. Manche überlegen eine Doppelführung: Kern Kanzler, Schieder Parteichef.

Im Regierungsteam gibt es jedenfalls keine Zukunftshoffnung. Dafür, dass es keinen Nachfolger gibt, hat Faymann schon gesorgt.

Das ist übrigens ein Kernvorwurf, weswegen Faymann in der SPÖ so unpopulär ist: Es gehe ihm allzu offenkundig nur um persönlichen Machterhalt und nicht um die Sache oder um die Partei. "Die SPÖ hat sich auf eine Nomenklatura verengt, die sich gegenseitig stützt", kritisiert ein Parteikenner.

Diese Nomenklatura hat die SPÖ in eine gefährliche Lage manövriert. Bei Neuwahlen muss sie fürchten, das Kanzleramt an das ÖVP-Powerduo Reinhold Mitterlehner/ Sebastian Kurz zu verlieren.

Am Freitagabend tauchten in der SPÖ auch Befürchtungen auf, die ÖVP könnte einen Kanzlerwechsel für Neuwahlen nutzen. Die ÖVP hat intern die Parole ausgegeben, die Vorgänge in der SPÖ nicht zu kommentieren, und Mitterlehner schließt Neuwahlen aus ("Es reicht mir nicht"). Dennoch: Ein Scheitern der Koalition an der Steuerreform ist nicht auszuschließen. Und das muss die SPÖ mit einem Faymann an der Spitze jedenfalls mehr fürchten als die ÖVP.

Dass der SP-Chef keinen Neuner am Ergebniszettel haben würde, war im Vorfeld erwartet worden - lediglich knappe 84 Prozent Zustimmung für Werner Faymann als Parteichef tat dann aber doch recht weh (den ausführlichen Bericht lesen Sie hier).

Die Gründe dafür? "Hinter der neuerlichen schweren Schlappe für Faymann steht der Frust über die gähnende Leere in der SPÖ", schreibt KURIER-Politikchef Josef Votzi in seinem Kommentar. "Der einst stolzen Arbeiterpartei fällt dazu nicht mehr ein als die ewig gleichen alten Parolen: Die Bewegung am Weg zur Erstarrung. Der zunehmende Frust darüber hat sich gestern unerwartet heftig entladen."

Waidwunder Kanzler

Die Branchenkollegen sehen das ähnlich: Standard-Chefredakteurin Alexandra Föderl-Schmidt nannte das Ergebnis einen "Denkzettel", der seine Begründung in Faymanns falscher Strategie habe: „Anbiederung statt Angriffe, die Partei als Partie: Der Kuschelkurs, den Faymann bereits in Wien als Stadtrat praktiziert hat, scheint selbst seinen Genossen nicht mehr geheuer“, kommentiert sie. „Die Frage, wofür Faymann steht, ist auch nach sechs Jahren Kanzlerschaft und SPÖ-Führung nicht zu beantworten.“

Thomas Götz, stellvertretender Chefredakteur der Kleinen Zeitung, fand zwar positive Worte für den angriffigen Auftritt der streitbaren SJ-Chefin Julia Herr, er leitet aus der Wahlschlappe aber konkrete Probleme für die Regierung ab: „Die Arbeit in der Koalition wird mit einem waidwunden SPÖ-Chef nicht gerade leichter werden.“

Die Presse ist in ihrer Einschätzung etwas härter: „Der Anfang vom Ende des W. Faymann“, titelt das Blatt. Innenpolitik-Chef Dietmar Neuwirth schreibt in seinem Kommentar, dass sich Faymann verspekuliert habe – die Aufrufe zur Geschlossenheit hätten rein gar nichts gebracht. „Partei als geschlossene Gesellschaft funktioniert nicht (mehr)“, schreibt er.

Das System Österreich

Andreas Koller, stellvertretender Chefredakteur der Salzburger Nachrichten, wundert sich über Faymanns politische Langlebigkeit: „Jeder andere Politiker mit dieser Bilanz wäre bereits in Pension oder in Diensten russischer Oligarchen.“ Allerdings, so Koller, habe dies auch viel mit der ähnlich starr agierenden ÖVP zu tun: „ Zum System Faymann gehören zwei, nämlich auch ein Koalitionspartner, der alles willig mitträgt. Das System Faymann würde auch ohne Werner Faymann prächtig funktionieren. Bis zur Staatspleite. Und zwar deshalb, weil es das System Österreich ist.“

Selbst im Ausland wird die Schlappe diskutiert. Die Schweizer NZZ schreibt, Faymann sei nun ernsthaft „angezählt“. Die Steuerreform sei jenes Projekt, das ihn den Job kosten könne, meint Korrespondentin Meret Baumann: „Scheitert er mit dem sozialdemokratischen Lieblingsprojekt einer Reichensteuer, sind seine Tage als Bundeskanzler und SPÖ-Chef gezählt.“

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