SPÖ straft Faymann ab

Werner Faymann appellierte am Parteitag der SPÖ in Wien an die Genossen.
Doch keine Geschlossenheit. Werner Faymann erhielt nur 83,9 Prozent als Parteichef.

Schwere Niederlage für Werner Faymann auf dem SPÖ-Parteitag. Nur 83,6 Prozent der 605 Delegierten geben ihm bei der Parteivorstandswahl die Stimme. Als Parteichef bestätigen ihn 83,9 Prozent (siehe dazu auch unten). Dieses Ergebnis ist besonders bitter, weil der gesamte Parteitag von Geschlossenheitsappellen geprägt war, die aber offenkundig nicht fruchteten. Peinlich auch, dass alle anderen Vorstands- und Präsidiumsmitglieder mehr als 90 Prozent bekommen. Lediglich Bildungsministerin Gabriele Heinisch-Hosek hat mit 87,1 Prozent auch einen Achter vorne.

Nach dem Parteitag vor zwei Jahren in Niederösterreich wurde Faymann am Freitag in Wien zum zweiten Mal von der SPÖ abgestraft. Damals erhielt er 88 Prozent bei der Vorstandswahl, 83 Prozent bei der Parteichef-Wahl.

Dabei hatte sich der Parteitag bis zu den Wahlgängen aus der Sicht Faymanns gut entwickelt. Es hagelte Pro-Faymann-Wahlaufrufe und Geschlossenheitsappelle. "Warum soll ich diesen Werner Faymann nicht wählen? Der sich für Vermögenssteuern einsetzt? Der sich für eine Lohnsteuersenkung einsetzt?" fragte der streitbare Gewerkschafter Josef Muchitsch vom Rednerpult herab. "Gescheit wählen – dann werden wir es schaffen, die Lohnsteuern zu senken." "Geschlossen für Werner Faymann", rief Gesundheitsministerin Sabine Oberhauser den Delegierten zu.

Auffallend war allerdings, dass Bürgermeister Michael Häupl in seinem Begrüßungsstatement keinen Wahlaufruf abgab. Er sagte lediglich: "Wir haben viel Arbeit auf diesem Parteitag, aber genießt auch Wien!"

Holperndes Referat

Faymann hielt ein holperndes Referat ohne politische Höhepunkte. Dennoch bekam er Standing Ovations, denn der Inhalt der Rede traf den Geschmack der SPÖ-Delegierten. "Wir brauchen in Europa Haftungsschirme, nicht nur Bankenschirme. Denn die Menschen sind mehr wert als Banken", sagte Faymann. Er legte ein Bekenntnis ab, gegen Steuer- und Sozialdumping in Europa zu kämpfen. In der Bundesregierung werde er sich für die Lohnsteuersenkung einsetzen, versprach Faymann. Er erwarte jedoch Widerstand von der ÖVP: "Nur weil Mitterlehner ÖVP-Chef ist, ist die ÖVP nicht anders geworden. Die sind die gleichen geblieben. Sie werden es uns nicht leicht machen." Gemeinsam mit Andreas Schieder, Michael Häupl und Peter Kaiser hofft Faymann, sich in der Steuerreform-Gruppe gegen die ÖVP durchzusetzen. Faymann: "Es gibt eine Million, die für eine Steuersenkung unterschrieben haben. Wir wissen, dass wir diese Million Menschen nicht enttäuschen dürfen. "

SPÖ straft Faymann ab
ABD0062_20141128 - WIEN - ÖSTERREICH: Die Ex-Kanzler Franz Vranitzky (l.) und Viktor Klima am Freitag, 28. November 2014, anl. des 43. SPÖ-Bundesparteitages in Wien. - FOTO: APA/HERBERT NEUBAUER
Die früheren Bundeskanzler Franz Vranitzky und Viktor Klima wohnten dem Parteitag bei.

In der Diskussion wurde eindringlich an die Delegierten appelliert, Faymann zu wählen. Faymann gebe sein Bestes, die SPÖ solle sich mit einem schlechten Wahlergebnis für ihren Vorsitzenden nicht selbst schaden.

SPÖ straft Faymann ab
ABD0072_20141128 - WIEN - ÖSTERREICH: SJ-Vorsitzende Julia Herr am Freitag, 28. November 2014, anl. des 43. SPÖ-Bundesparteitages in Wien. - FOTO: APA/HERBERT NEUBAUER
Julia Herr von der Sozialistischen Jugend hielt dagegen: "Die Sozialdemokratie wird es aushalten, wenn die Jugend kritisch ist." Sympathisierender Applaus.

Klubchef Andreas Schieder rieb sich in seiner Wortmeldung an der FPÖ. "Die FPÖ soll offenlegen, was sie in Moskau immer so treibt." Mit Verweis auf Berichte, wonach Russland rechtsextreme Parteien finanziert, sagte Schieder: "Wir brauchen im österreichischen Parlament keine Putin-Partei."

Parteikassier Christoph Matznetter gab bekannt, dass die SPÖ in den Jahren 2012 und 2013 insgesamt 2,5 Millionen Euro neue Schulden gemacht hat. Wegen der angespannten Finanzlage wären vorzeitige Nationalratswahlen nicht empfehlenswert, sagt Matznetter.

Von den Mitgliedern sind auch immer weniger Einnahmen zu erwarten. Die SPÖ hat nur noch 205.000 Mitglieder, 7600 sind allein seit dem letzten Parteitag vor zwei Jahren weggestorben.

Offenbar unter der Devise "Aufrunden, bitte" hat die SPÖ ihrem Vorsitzenden Werner Faymann ein etwas besseres Ergebnis zugeschrieben, als es ihm die Delegierten beim Parteitag in Wien Freitagabend zugedacht haben. Nicht wie öffentlich erklärt 84 Prozent holte der Kanzler bei seiner Wahl zum Parteichef sondern bloß knapp 83,9 Prozent, wie sich aus den Detailergebnissen ergibt.

Faymanns vom Wiener Landtagspräsidenten Harry Kopietz am Parteitag verkündetes Ergebnis bei der Wahl zum Präsidium war das einzige, bei dem eine runde Zahl, nämlich genau 84 Prozent herauskam. Sieht man sich allerdings die Detail-Zahlen an, hat man es mit Faymann da wohl zu gut gemeint. Denn gültig waren die Stimmen von 590 Abgeordneten, 495 davon entfielen auf Faymann. Diese 95 Streichungen ergeben ein Ergebnis von 83,898 Prozent. Immerhin: auch dieses ist besser als die 83,43 Prozent, die Faymann im Oktober 2012 beim Parteitag in St. Pölten errungen hatte.

(APA)

Der 9er muss davor stehen – und das wird auch so sein", proklamierte Rudolf Hundstorfer noch vor dem SPÖ-Parteitag. Mit postsowjetischen 99,1 Prozent bei seiner Wahl zum VP-Chef hatte Reinhold Mitterlehner auch für Werner Faymann die Latte neu gelegt. In der Binnenwelt ist ein Parteitag ein profanes Hochamt für den Chef, jedes Votum unter 90 Prozent eine Ketzerei. Die schwache Zustimmung von nur 84 Prozent im Jahr 2012 grämte Faymann bis heute. Er ordnete sein Agieren in den vergangenen Monaten nur einem Ziel unter: Die Schmach müsse getilgt werden.

Das ist ihm gründlich misslungen: Einmal mehr magere 84 Prozent. Fast jeder fünfte Delegierte sprach ihm das Misstrauen aus. Faymann geht mit einem schweren Handicap ins Vierfach-Wahljahr 2015. Die Partei zeigt ihrem Chef die rote Karte für mangelnde Performance. In Umfragen liegt der SPÖ-Chef mit bestenfalls 20 Prozent schlechter als die eigene Partei (derzeit rund 25 Prozent Zustimmung). Faymann stößt offenbar immer mehr an seine persönlichen Grenzen. Nach seinem Aufstieg zum Kanzler und SPÖ-Chef 2008 suchte er erst als Moderator ("Genug gestritten") zu punkten. Als der Druck aus der Partei zunahm, schwang er sich zum Verfechter von Vermögens- und Millionärssteuern auf. Als die Gewerkschaft auf Steuersenkungs-Kurs ging, katapultierte er sich selber an die Spitze der Lohnsteuern-runter-Bewegung. Nicht mehr als "Same game, same horse" bot Faymann auch in seiner programmatischen Rede am Parteitag (sieheBericht rechts).

Avantgarde-Partei heute uncool und out

Oben wegnehmen und nach unten verteilen: Mit der klassenkämpferischen Pose von gestern ist eine Partei im 21. Jahrhundert nicht in bessere Zeiten zu führen. Die SPÖ ist personell und programmatisch ausgeblutet. Am Parteitag wurden nun Fragebögen verteilt, die Antworten sollen ins neue Parteiprogramm einfließen: Wen soll die SPÖ eigentlich künftig vertreten?

Mit über 300.000 Mitgliedern ist der Pensionistenverband die größte und – nach der Gewerkschaft – einflussreichste Vorfeldorganisation. Bei der Jugend ist die einstige Avantgarde-Partei uncool und out. Bei den unter 30-Jährigen kam die SPÖ zuletzt nur noch auf Platz 4.

Die SPÖ müsse sich endlich um das "neue Proletariat" (Ex-SPÖ-Geschäftsführer und PR-Unternehmer Josef Kalina) kümmern, monieren immer mehr in- und außerhalb der Partei: Die wachsende Zahl junger Menschen, die sich von unbezahltem Praktikum zu Praktikum oder befristeten Projekt-Jobs hanteln müssen. Die SPÖ macht dieser Tage lieber einmal mehr gegen den "kalten Pensionsautomatismus" mobil. Die Kampagne zielt gleich doppelt daneben: Die rote Kernschicht der Pensionisten hat davon nichts mehr zu befürchten und kann sich daher auch nicht betroffen fühlen. Die Jungen rechnen längst damit, dass sie nicht nur länger arbeiten, sondern auch um ein ausreichendes Pensionseinkommen fürchten müssen. Das Fuchteln mit Schreckgespenstern wie diesen lässt sie kalt. Sie warten weiter auf Antworten auf die Fragen von heute: Wie sie hier und jetzt – von Job bis Wohnen – mit ihrem Leben besser zurechtkommen.

Der einst stolzen Arbeiterpartei fällt dazu nicht mehr ein als die ewig gleichen alten Parolen: Die Bewegung am Weg zur Erstarrung. Der zunehmende Frust darüber hat sich gestern unerwartet heftig entladen.

Bei der Bundesfrauenkonferenz im Vorfeld des SPÖ-Bundesparteitages bekam Gabriele Heinisch-Hosek den Frust der Frauen zu spüren. Sie wurde mit nur 85,67 Prozent der Delegiertenstimmen als Frauen-Vorsitzende wiedergewählt. 2012 war sie auf 97,8 Prozent gekommen.

Der wichtigste Grund für die Abmahnung durch die Genossinnen war wohl der Streit über die Frauenquote in der Partei. Anlass dafür war das Nachrücken des Gewerkschafters Walter Schopf auf das Mandat der verstorbenen Nationalratspräsidentin Barbara Prammer. Die damalige Frauenchefin Oberösterreichs, Sonja Ablinger, beanspruchte das Mandat, bekam es aber wegen des in der Partei verankerten Reißverschluss-Prinzips (Mann-Frau-Reihenfolge auf Kandidatenlisten) nicht. SPÖ-Frauen und Jugend-Organisationen argumentierten, dass die selbst auferlegte Frauenquote von 40 Prozent nicht erreicht sei, Schopf also zugunsten einer weiblichen Kandidatin verzichten müsste; was dieser nicht tat, weil er auf der Liste auf Prammer folgte.

Am Freitag wurden die Statuten geändert, um zu garantieren, dass die Partei künftig ihre selbst auferlegte Frauenquote von 40 Prozent erfüllt. "Wir halten Konflikte aus und tragen sie aus", sagte Heinisch-Hosek. Jetzt können Listen mit zu wenig Frauen zurückgewiesen werden.

In der Debatte meldete sich als Erste Ablinger, die mittlerweile als oberösterreichische Frauenchefin zurückgetreten ist, zu Wort: Die Quotenregelung sei "keine mathematische Frage", sie sei "ein Instrument zur Durchsetzung einer progressiven feministischen Frauenpolitik".

Kommentare