Die Partei zeigt dem Kanzler die rote Karte

Hinter der neuerlichen schweren Schlappe für Faymann steht der Frust über die gähnende Leere in der SPÖ.
Josef Votzi

Josef Votzi

Hinter der Schlappe für Faymann steht der Frust über die gähnende Leere in der SPÖ

von Josef Votzi

über den SPÖ-Parteitag

Der 9er muss davor stehen – und das wird auch so sein", proklamierte Rudolf Hundstorfer noch vor dem SPÖ-Parteitag. Mit postsowjetischen 99,1 Prozent bei seiner Wahl zum VP-Chef hatte Reinhold Mitterlehner auch für Werner Faymann die Latte neu gelegt. In der Binnenwelt ist ein Parteitag ein profanes Hochamt für den Chef, jedes Votum unter 90 Prozent eine Ketzerei. Die schwache Zustimmung von nur 84 Prozent im Jahr 2012 grämte Faymann bis heute. Er ordnete sein Agieren in den vergangenen Monaten nur einem Ziel unter: Die Schmach müsse getilgt werden.

Das ist ihm gründlich misslungen: Einmal mehr magere 84 Prozent. Fast jeder fünfte Delegierte sprach ihm das Misstrauen aus. Faymann geht mit einem schweren Handicap ins Vierfach-Wahljahr 2015. Die Partei zeigt ihrem Chef die rote Karte für mangelnde Performance. In Umfragen liegt der SPÖ-Chef mit bestenfalls 20 Prozent schlechter als die eigene Partei (derzeit rund 25 Prozent Zustimmung). Faymann stößt offenbar immer mehr an seine persönlichen Grenzen. Nach seinem Aufstieg zum Kanzler und SPÖ-Chef 2008 suchte er erst als Moderator ("Genug gestritten") zu punkten. Als der Druck aus der Partei zunahm, schwang er sich zum Verfechter von Vermögens- und Millionärssteuern auf. Als die Gewerkschaft auf Steuersenkungs-Kurs ging, katapultierte er sich selber an die Spitze der Lohnsteuern-runter-Bewegung. Nicht mehr als "Same game, same horse" bot Faymann auch in seiner programmatischen Rede am Parteitag (sieheBericht rechts).

Avantgarde-Partei heute uncool und out

Oben wegnehmen und nach unten verteilen: Mit der klassenkämpferischen Pose von gestern ist eine Partei im 21. Jahrhundert nicht in bessere Zeiten zu führen. Die SPÖ ist personell und programmatisch ausgeblutet. Am Parteitag wurden nun Fragebögen verteilt, die Antworten sollen ins neue Parteiprogramm einfließen: Wen soll die SPÖ eigentlich künftig vertreten?

Mit über 300.000 Mitgliedern ist der Pensionistenverband die größte und – nach der Gewerkschaft – einflussreichste Vorfeldorganisation. Bei der Jugend ist die einstige Avantgarde-Partei uncool und out. Bei den unter 30-Jährigen kam die SPÖ zuletzt nur noch auf Platz 4.

Die SPÖ müsse sich endlich um das "neue Proletariat" (Ex-SPÖ-Geschäftsführer und PR-Unternehmer Josef Kalina) kümmern, monieren immer mehr in- und außerhalb der Partei: Die wachsende Zahl junger Menschen, die sich von unbezahltem Praktikum zu Praktikum oder befristeten Projekt-Jobs hanteln müssen. Die SPÖ macht dieser Tage lieber einmal mehr gegen den "kalten Pensionsautomatismus" mobil. Die Kampagne zielt gleich doppelt daneben: Die rote Kernschicht der Pensionisten hat davon nichts mehr zu befürchten und kann sich daher auch nicht betroffen fühlen. Die Jungen rechnen längst damit, dass sie nicht nur länger arbeiten, sondern auch um ein ausreichendes Pensionseinkommen fürchten müssen. Das Fuchteln mit Schreckgespenstern wie diesen lässt sie kalt. Sie warten weiter auf Antworten auf die Fragen von heute: Wie sie hier und jetzt – von Job bis Wohnen – mit ihrem Leben besser zurechtkommen.

Der einst stolzen Arbeiterpartei fällt dazu nicht mehr ein als die ewig gleichen alten Parolen: Die Bewegung am Weg zur Erstarrung. Der zunehmende Frust darüber hat sich gestern unerwartet heftig entladen.

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