Achtung Baustelle

London wächst in den Himmel.
Die große Herausforderung für Städte von morgen. MICHAEL HOROWITZ über die Herrschaft der Hochhäuser, Wohnungen in der Wüste und die Renaissance der Dachkammerln.

Mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung lebt bereits in Städten. In ein paar Jahrzehnten werden es fast 70 Prozent sein. Um in den urbanen Ballungsräumen der Zukunft überleben zu können, setzen Architekten, Politiker und Stadtplaner auf totale digitale Technologie. In der hyperrationalen Smart City von morgen ist alles vernetzt. Sensoren auf Schritt und Tritt beobachten das urbane Leben und die Menschen, die sich wie Ameisen in den überwachten Städten bewegen. Die ausgewerteten Daten landen dann in einem gigantischen Zentralrechner – die gesamte städtische Infrastruktur wird so effizient wie möglich gesteuert. Um die Lebensqualität zu steigern, will man vertikale Stadtparks und Gemüsegärten auf den Dächern der Mega-Wolkenkratzer errichten. Und um das Leben in den städtischen Hitzeinseln erträglicher zu machen, wird es kühlende Straßenbeläge, grüne Hügellandschaften zwischen den Häuserschluchten und hydrodynamische Antismog-Towers – die wie eine Bioklimaanlage funktionieren – geben.

Das akute Problem der Wohnungsnot in den Mega-Metropolen wird auch die Zukunft beherrschen. Weltweit beschäftigen sich Städteplaner damit, Lösungen in den immer enger werdenden urbanen Lebensräumen mit steigenden Einwohnerzahlen zu finden. Mit verschiedensten Modellen: Die London Housing Commission rechnet damit, dass die Neun-Millionen-Stadt an der Themse jedes Jahr mindestens 50.000 neue Wohnungen braucht. Eine Folge der Wohnungsnot ist, dass sich Londons Silhouette während der nächsten Jahre radikal ändern, die Stadt in den Himmel wachsen wird. Bereits heute sind 263 Wolkenkratzer geplant oder bereits in Bau. Vier von fünf dieser Türme sind nicht für Büros, sondern für Wohnungen vorgesehen.

In Paris geht man einen charmanteren Weg. In der schon heute am dichtesten besiedelten Metropole Europas mit mehr als 21.000 Bewohnern pro Quadratkilometer, sollen Eigentümer leerstehender Appartements mit hohen Zuschüssen animiert werden, veraltete Wohnungen zu renovieren und günstig zu vermieten – vor allem die kleinen Zimmer unter dem Dach in den Bourgeoisie-Palästen aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, die früheren Dienstmädchen-Zimmer, die Chambres de Bonne. Mehr als 110.000 solcher Dachkammerln gibt es, davon sind momentan nur 15 Prozent bewohnt.

Um dem unkontrollierten und scheinbar planlosen baulichen Wildwuchs im größten Ballungsraum der Welt mit 38 Millionen Menschen Herr zu werden, werden in der Bucht von Tokio immer mehr Inseln aufgeschüttet. Und um in Kairo den Wohn-Wahnsinn mit zumeist illegal errichteten Häusern zu stoppen, gibt es auch hier – seit kurzem – Stadtplaner. In Zukunft soll die Wüste, die bis an die Peripherie des 22-Millionen-Molochs reicht, erschlossen werden. Mit gigantischen Satellitenstädten wie der Stadt des 6. Oktober, die schon bald mehrere Hunderttausend Einwohner haben werden. Bis 2050 wird fast 50 Kilometer östlich der Stadt ein Verwaltungszentrum errichtet – mit einer Bevölkerung von fünf Millionen Menschen. So soll der Zusammenbruch des täglichen Lebens im Zentrum Kairos verhindert werden.

Laut einer Schätzung der deutschen Denkfabrik DB Research werden in der Welt der totalen Urbanisierung – aber vor allem auch der Dauermigration – während der nächsten Jahre zwischen 800 Millionen und einer Milliarde Wohneinheiten zusätzlich benötigt. Diese Herausforderung wird zu einem zentralen Thema der Zukunft. Damit Menschen menschenwürdig leben können.

michael.horowitz@kurier.at

Die nächste Folge dieser Serie lesen Sie in der freizeit vom 9. April

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