Zeitzonen: Wie die Eisenbahn die neue Zeit brachte

Zeitzonen: Wie die Eisenbahn die neue Zeit brachte
Als die Welt globaler und schneller wurde, brauchte es einheitlichere Uhrzeiten. Der Weg dorthin war lang.

Die Bombe ging eine Stunde zu früh hoch – und tötete drei palästinensische Terroristen. Was die Männer nicht bedacht hatten: Ihre Sprengkörper wurden in Palästina programmiert, wo noch die Sommerzeit galt, während Israel schon auf Winterzeit umgestellt hatte. Die drei Männer töteten sich selbst, weil sie sich um eine Stunde verrechnet hatten.

Vor 150 Jahren wäre die Sache noch weitaus komplizierter gewesen. Damals hatte jeder größere Ort seine eigene Zeit – abhängig davon, wann die Sonne dort ihren Höchststand hatte. 12 Uhr Mittag war in Wien 10 Minuten früher als in Prag. Auf die Idee, Zeiten für ein ganzes Land oder eine Region zu vereinheitlichen, kam man erst später: Als die Eisenbahnen aufkamen, hatte man ein veritables Problem, weil von Bahnhof zu Bahnhof eine andere Zeit galt. Erst die Schaffung von Zeitzonen löste das Problem.

Konstantin Bikos, der sich hauptberuflich mit Zeitzonen beschäftigt (timeanddate.de), weiß, wie langwierig der Prozess war: „1840 kamen Angestellte einer britischen Eisenbahngesellschaft auf die Idee, den Dienstplan nach Londoner Zeit auszurichten. Allerdings gab es parallel einen zweiten Standard für die Passagiere, der sich an den jeweiligen Ortszeiten ausrichtete. Die Bahnhofsuhren zeigten dann zwei Zeiger an.“ Was für ein Chaos.

Züge kollidieren

Europäische Unzeit
Seit zwei Jahren liegt der Vorschlag Brüssels auf dem Tisch: die halbjährliche Zeitumstellung soll weg. Aber dafür müssen sich alle 27 EU-Staaten erst einigen: Ewige Normalzeit (Winterzeit) oder ewige Sommerzeit? Eine gemeinsame Antwort gibt   es noch nicht  – und derzeit sind andere Probleme wichtiger

4–14Tage
kann der Prozess der Umstellung auf die neue Zeit dauern. Es wird die individuelle „innere Uhr“ durcheinander gebracht. Sie regelt Herzschlag, Hormonausschüttung sowie Schlaf- und Wachrhythmus. 50 Gene sind daran beteiligt. Laut Experten entspricht die Winterzeit eher der „inneren Uhr“ des Menschen

Organ-Uhren
Zudem arbeiten alle Zellen und Organe des Körpers nach eigenen inneren Uhren – sie müssen laufend synchronisiert werden. Zentral gesteuert werden all diese unterschiedlichen Uhren vom suprachiasmatischen Nukleus im Gehirn. Manche funktionieren  durch Hell-Dunkel-Impulse über die Augen

Noch schlimmer war es in den USA, wo die Züge Hunderte Kilometer zurücklegten. Dort führte ein schweres Zugunglück, bei dem 14 Menschen starben, zum Umdenken. Nach und nach einigte man sich im Land auf vier Hauptzeitzonen.

In der k. und k. Monarchie wurden die Uhren übrigens seit Mitte des 19. Jahrhundert nach der Prager Zeit ausgerichtet, berichtet Andreas Schlüter, der an Uhrmacher-Schule HTL Karlstein (NÖ) unterrichtet. „Erst 1872 wurde die Wiener Zeit zum Maßstab – auf Basis der Berechnungen der Sternwarte. Per Telegraf wurden die genauen Daten an die Bahnhöfe weitergeleitet.“

Doch die Welt wurde globaler. In Washington setzten sich 1884 Experten aus 25 Nationen zusammen und diskutierten, wie die Zeit zukünftig kategorisiert wird. Man einigte sich auf Greenwich (GB) als Meridian – das daraus resultierende Koordinatensystem gilt bis heute. Die Idee: Innerhalb von 15 Längengraden soll ein und dieselbe Zeit gelten. 1891 wurde in Österreich die Mitteleuropäische Zeit (MEZ) eingeführt, Deutschland und die Schweiz folgten zwei bzw. drei Jahre später.

Madrid und Paris

Paris und Madrid hatten ursprünglich die Londoner Uhrzeit. Doch der Zweite Weltkrieg veränderte die Landkarte nicht nur politisch. Diktator Franco orientierte sich freiwillig an Berlin und Rom. In Frankreich drehten die Deutschen an der Uhr.

Frankreich ist übrigens das Land, das sich über die meisten Zeitzonen erstreckt – wegen der Überseegebiete sind es zwölf, während Russland nur elf zählt. Dort bezieht man sich allerdings nicht auf die Greenwich-Zeit, sondern rechnet immer von der Moskauer Zeit weg. Im Riesenreich China gilt hingegen nur eine Uhrzeit. Deswegen geht in Peking die Sonne um 7.35 auf, und an der Westgrenze erst um 10.16. Und noch ein Kuriosum: In Indien verstellt man die Uhren um 30 Minuten, in Teilen Australiens nur um 15 Minuten.

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