Kein Wunder, dass sie statische Probleme auslöste. 700 Kilo wiegt die mechanische Räderuhr, die einst den Südturm des Stephansdomes zierte. 1861 wurde sie demontiert, jetzt ist sie im Wiener Uhrenmuseum ausgestellt. Zum behäbig tickenden Einsatz kommt sie, wenn Tabea Rude Besucher hier im Palais Obizzi herumführt, wo seit 1917 das Uhrenmuseum untergebracht ist.
Tabea Rude ist seit zwei Jahren die Herrin über diese auf drei Stockwerken versammelten 700 Uhren – samt der dazugehörigen Schlüssel: Etliche Zeitmesser gehören regelmäßig aufgezogen und zwei Mal im Jahr umgestellt. Nicht dazu gehören Sand- und Sonnenuhren, hier ebenso ausgestellt wie Taschenuhren, Wiener Spezialitäten wie Laterndluhren, biedermeierliche Tischuhren, Armbanduhren und deren Vorgänger, die Oberschenkeluhren sowie Volkstümliches und allerhand Spielereien: Ein Hund mit rollenden Augen – im linken Auge der Sekunden-, im rechten der Minutenzeiger, weshalb die arme Kreatur meist schielt. Und ja, Kuckucksuhren gibt’s auch. Ein besonderes Exemplar hält sich eine Wachtel als Assistentin, die schon 15 Minuten vor dem oberbeauftragten Kuckuck die Stunde ankündigt.
So klingt die Kuckucksuhr:
So klingt die Kuckucksuhr
Tabea Rude, gelernte Uhrmacherin und studierte Restauratorin, sieht die Sache mit der Zeit pragmatisch. Wer ihr mit Philosophie über das Ticken der Uhren kommt, an dem man das Verrinnen der Zeit höre, den weist sie trocken darauf hin, dass es ja schließlich einen Grund dafür gebe, warum auf vielen Standuhren Chronos gleichsam mahnend thront: Chronos, in der griechischen Mythologie Sinnbild für den Ablauf der Zeit – und der Lebenszeit. An deren Ende einem die Stunde schlägt. Tempus fugit, die Zeit eilt, lautet so manche Uhreninschrift.
Frau Rude bestätigt auf Nachfrage übrigens auch, dass sie ein pünktlicher Mensch ist, und das ganz ohne Armbanduhr. Der Liebe zur Uhrmacherei verleiht sie nicht am eigenen Handgelenk Ausdruck. Die Zeit wird am Handy abgelesen. Mit am Arm zur Schau gestellten Vermögenswerten kann sie nichts anfangen. Man zahle bei Rolex und Co. doch meist für Name, Werbung und Prestige, mit Uhrmacherkunst habe das nur nebenbei zu tun.
Ihre Liebe gilt, und das ist das Besondere an der Kunst der Uhrmacher, den inneren Werten. Jetzt wird es als doch philosophisch. Denn wahre Schönheit ist auf den ersten Blick nicht sichtbar– sie liegt im Inneren, dem Uhrwerk.
Und hier, beim Innenleben, gerät Rude ins Schwärmen. Wahre Schätze liegen hier in den Vitrinen, Wunderwerke im Miniaturformat. „Feinste Gravuren, kostbare Details – das sehen nur die, die hineinschauen.“ Manchmal ist es allerdings besser, wenn man nicht weiß, was dahinter steckt. Dass sie gesehen hat, dass hinter der Musik in der prächtigen Ankeruhr am Hohen Markt bloß ein MP3-Player steckt, erzählt Rude so gut wie niemandem.
Der Kenner hält sich nicht mit Äußerlichkeiten auf. Und so war Marie von Ebner-Eschenbach, Schriftstellerin und gelernte Uhrmacherin, einst ob ihrer ansehnlichen Uhrensammlung in den Fachkreisen der Uhrmacher und Kunsthändler berühmt, aber auch belächelt – weil sie auf den Außenauftritt Wert legte. In ihrer hier ausgestellten Sammlung aus drei Jahrhunderten beeindrucken farbenprächtiges Email, zarte Perlen und glitzernde Diamanten. Dem Kollegen-Argwohn zum Trotz: All das wusste die Dichterin selbst zu reparieren.
Der Gedanke, dass tausend Jahre ein Tag sein könnten, überkommt einen unwillkürlich. Ob tatsächlich jede Minute zählt? Achja, die Zeitumstellung. Auch hier ist Frau Rude pragmatisch. „Mir ist das eigentlich egal. Es stellt sich eh alles von selbst um.“ Außer hier, im Uhrenmuseum. Sagt Tabea Rude und dreht sorgfältig am Zeiger der kostbaren Standuhr, denn ja, es ist wirklich schon so spät.
Wer die Geschichte der Uhrmacherei kennt, weiß, was das Wort „relativ“ bedeutet. Unser Zeitverhältnis hat sich im Laufe der Jahre verändert. Minutenzeiger waren bis Ende des 17. Jahrhunderts unüblich. Als die 700-Kilo Uhr vom Stephansdom noch im Einsatz war, haben „15 Minuten mehr oder weniger niemanden gejuckt.“ Wer nach Präzision verlangte, der musste sich auf Sonnen- oder Sanduhren verlassen. Der Pfarrer auf der Kanzel pflegte die Länge seiner Predigt mittels Sanduhr zu überwachen.
Der Gedanke, dass tausend Jahre ein Tag sein könnten, überkommt einen unwillkürlich. Ob tatsächlich jede Minute zählt? Ach ja, die Zeitumstellung. Auch hier ist Frau Rude pragmatisch. „Mir ist das eigentlich egal. Es stellt sich eh alles von selbst um.“ Außer hier, im Uhrenmuseum. Sagt Tabea Rude und dreht sorgfältig am Zeiger der kostbaren Standuhr, denn ja, es ist wirklich schon so spät.
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