Ötzi war einer von uns
Um die neuen Erkenntnisse einordnen zu können, muss man wissen: Der moderne Europäer ist genetisch ein Potpourri. Heißt: Das Erbgut der allermeisten Bewohner Europas ist ein Mix aus dem genetischen Material dreier Ahnengruppen. So schlossen sich Jäger und Sammler aus Westeuropa nach und nach mit frühen anatolischen Bauern (heute wird der gesamte asiatische Teil der Türkei, etwa 97 Prozent der Landesfläche, als Anatolien bezeichnet) zusammen, die vor rund 8.000 Jahren einwanderten. Zu ihnen gesellten sich etwa 3.000 Jahre später Steppenhirten aus Osteuropa.
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Die ersten Analysen des Ötzi-Genoms vor über zehn Jahren konnten genetische Spuren dieser Steppenhirten in seiner DNA nachweisen. Allerdings: Die neuesten Erkenntnisse des Max-Planck-Instituts, die im renommierten Fachblatt Cell Genomics veröffentlicht wurden, sprechen eine andere Sprache. Demnach hat Ötzis Genom wohl deutlich mehr Gemeinsamkeiten mit dem der frühen anatolischen Bauern.
Proben neu ausgewertet
Doch warum deuteten ursprüngliche Untersuchungen in eine andere Richtung? Die Originalproben seien wohl mit moderner DNA kontaminiert gewesen, heißt es vonseiten der Forschenden. Mit präzisesten Technologien sei es in jüngster Vergangenheit nach und nach gelungen, anhand von Skelettfunden viele weitere Genome prähistorischer Europäer vollständig zu entschlüsseln. So wurde es möglich, Ötzis genetischen Code mit dem seiner Zeitgenossen zu vergleichen.
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Was sich dabei offenbarte, hat selbst die Ötzi-Kenner vom Max-Planck-Institut verblüfft: "Wir waren sehr überrascht, in der jüngsten Analyse des Eismann-Genoms keine Spuren osteuropäischer Steppenhirten zu finden", wird Johannes Krause, Leiter der Abteilung Archäogenetik und Mitautor der Studie, in einer Aussendung zitiert. Auch der Anteil der westeuropäischen Jäger-Sammler-Gene in Ötzis Erbgut sei sehr gering. "Genetisch scheinen seine Vorfahren direkt aus Anatolien eingereist zu sein, ohne sich mit Jäger-Sammler-Gruppen zu vermischen", so Krause.
Dunkler Hauttyp, kaum Haare
Die Forschungen enthüllen noch mehr: Ötzis Hauttyp, bereits in ersten Genomanalysen (der KURIER berichtete) als mediterran-europäisch eingestuft, war dunkler als bisher angenommen. "Es ist der dunkelste Hautton, der bei heutigen europäischen Individuen aufgezeichnet wurde", erklärt Anthropologe Albert Zink, der ebenfalls an der Studie mitwirkte und das Institut für Mumienforschung in Bozen leitet.
Bisher war man davon ausgegangen, dass sich die Haut der Mumie während seiner Konservierung im Eis verdunkelt hatte. "Aber vermutlich handelt es sich bei dem, was wir jetzt sehen, größtenteils um Ötzis ursprüngliche Hautfarbe", erläutert Zink. Das stehe im "krassen Gegensatz zu bisherigen Rekonstruktionen, die einen hellhäutigen, helläugigen und ziemlich behaarten Mann zeigen", präzisiert Krause.
Auch in puncto Haupthaar ist unser bisheriges Bild von Ötzi also falsch: Als erwachsener Mann – Ötzi wurde rund 50 Jahre alt, steinalt für damalige Verhältnisse – hatte er keine langen, dichten Haare mehr auf dem Kopf, sondern höchstens einen spärlichen Haarkranz. Die Veranlagung zur Kahlheit sei zweifelsfrei aus seinen Genen ablesbar: "Das ist ein relativ eindeutiges Ergebnis und könnte auch erklären, warum bei der Mumie fast keine Haare gefunden wurden", sagt Zink.
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Gene für Fettleibigkeit und Diabetes wurden ebenfalls im Genom gefunden. Wegen seiner gesunden Ernährung – er aß großteils vegetarisch, Früchte, Beeren, Getreide und etwas Wild – dürften sie aber nicht zum Tragen gekommen sein.
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