In den ersten sieben Monaten des aktuellen Jahres hat sich die Zahl der betroffenen Babys im Vergleich zu den Vorjahren vervierfacht, schildern Experten im New England Journal of Medicine. Für ihren Bericht haben sie Aufzeichnungen von zwei großen Geburtskliniken in Shanghai und Changsha von 2014 bis Mitte 2023 analysiert.
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Mysteriöse Fallzahlen werden mit Covid-19 erklärt
Bis 2022 lag die jährliche Gesamtzahl der per Ultraschall im Mutterleib entdeckten Situs-inversus-Fälle bei fünf bis sechs pro 10.000 Föten. Ab 2023 stieg die Rate sprunghaft auf fast 24 Fälle pro 10.000 Untersuchungen an. Die Zunahme erreichte im April ihren Höhepunkt, bevor die Zahlen im Juli auf das Ausgangsniveau zurückgingen.
Wie lässt sich das erklären? Veränderungen bei Diagnoseverfahren, etwa präzisere Ultraschalltechnologien, kommen als Ursache nicht infrage, betonen die Forschenden. Sie spekulieren vielmehr über einen Zusammenhang mit der Pandemie.
Anders als in anderen Ländern wurde in China mit Ende 2022 die bis dahin strenge Null-Covid-Strategie abrupt aufgehoben. Infolge sah sich das Land mit einer extremen Infektionswelle konfrontiert. In Summe steckten sich 82 Prozent der chinesischen Bevölkerung mit dem Virus an. Vier Monate später begann die Zahl der Föten mit spiegelverkehrten Organen zu steigen. Es sei denkbar, dass das Virus die physische Besonderheit direkt ausgelöst habe. Etwa indem die Föten im Mutterleib direkt infiziert wurden – oder indirekt über eine Entzündungsreaktion im Körper der Mutter.
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Belege für diese These gibt es nicht. In den Auswertungen fehlen Angaben darüber, ob die untersuchten Frauen während der Schwangerschaft überhaupt mit SARS-CoV-2 infiziert waren. Daten über genetische Faktoren, von denen bekannt ist, dass sie mit Situs inversus in Verbindung stehen, fehlen ebenso. Und: Bei anderen Infektionswellen wurden keine derartigen Spitzenwerte gemeldet, auch nicht direkt nach Ausbruch der Pandemie.
In Österreich wird kein Anstieg beobachtet
Für Julia Binder, Spezialistin für Fetalmedizin am AKH/MedUni Wien, ist der Bericht "interessant". Derartige Auffälligkeiten habe man am AKH aber derzeit noch "nicht bemerkt". Inwieweit Covid-19 auf den Fötus übertragen werden kann, werde nach wie vor kontrovers diskutiert, gibt sie zu bedenken. "Dazu, dass es gesichert ist, dass die Infektion Fehlbildungen beim Fötus auslöst, wären mir keine einheitlichen Daten bekannt." Über die Ursachen des Situs inversus sei allgemein wenig bekannt. "Es gibt sehr seltene genetische Erkrankungen, die damit verbunden sein können." Beim Großteil der Fälle handle es sich um eine Anlagestörung, die früh in der fetalen Entwicklung ihren Ursprung nimmt.
Auch Katharina Schuchter, Leiterin des Pränatalzentrums an der Wien, sieht den Bericht kritisch. Auf Basis der vorliegenden Daten "derartige Zusammenhänge herzustellen, finde ich höchst problematisch". Würde Sars-CoV-2 tatsächlich Fehlbildungen begünstigen, "würden wir das auch in anderen Ländern der Welt sehen, und das tun wir aktuell nicht".
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Im Pränatalzentrum PreCare mit Standorten in Wien und dem Burgenland beobachtet man ebenfalls "keine Veränderungen, was die Zahl der Fälle von Situs inversus oder anderen Fehlbildungen betrifft", sagt Gynäkologe Hubertus Gregor. Dass eine Corona-Infektion der Mutter die Entwicklung des Kindes beeinflusst, sei nicht auszuschließen. "Inwieweit es hier einen Zusammenhang mit Situs inversus gibt, lässt sich aktuell schlicht nicht beantworten."
Dass es für finale Schlussfolgerungen zu früh ist, betonen auch die chinesischen Experten. Allerdings würden die "Beobachtungen weitere Untersuchungen rechtfertigen".
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