Virusrückstände im Darm lassen Serotoninspiegel absinken
In einer zu Wochenbeginn in der Fachzeitschrift Cell veröffentlichten Arbeit beschreiben sie, dass Long-Covid-Symptome zumindest teilweise auf einen verminderten Serotoninspiegel zurückzuführen sein könnten. Konkret soll der Mangel des als Glückshormon bekannten Neurotransmitters die Ursache für die eingangs genannten kognitiven Probleme sein. Die neuen Beobachtungen "können ein breites Spektrum von Symptomen erklären, die unsere Patienten mit Long Covid erleben und weisen uns auf jeden Fall in die Richtung der zugrunde liegenden Ursachen", wird Benjamin Abramoff, Mitautor der Studie, von Stat News dazu zitiert.
Verantwortlich für den Serotoninmangel sollen Virusrückstände im Darm der Betroffenen sein. Was viele nicht wissen: Im menschlichen Darm entsteht der Großteil – über 90 Prozent – des Glückshormons Serotonin (das neben der Stimmung auch viele andere Prozesse im Körper mitreguliert). Es wird dort aus der Aminosäure Tryptophan gebildet.
Aber alles von Anfang an: Um zu den Erkenntnissen zu gelangen, analysierte das Forschungsteam der University of Pennsylvania das Blut von Patientinnen und Patienten mit Long Covid. Und verglich es mit dem von Menschen ohne anhaltende Beschwerden nach einer Corona-Infektion sowie mit Blutproben von Personen, die sich erst kürzlich mit dem Virus angesteckt hatten.
Es zeigte sich: Sowohl Personen mit akuter Infektion als auch mit Long Covid wiesen weniger zirkulierendes Serotonin im Körper auf. Je nachdem, ob bei den Probandinnen und Probanden ein hoher oder niedriger Serotoninspiegel gemessen wurde, konnte auch zuverlässig vorausgesetzt werden, ob sie langfristige Symptome entwickeln würden, oder nicht.
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Entzündliche Prozesse behindern Aufnahme von Tryptophan
Man sah sich auch an, welcher Mechanismus hinter dem Absinken des Serotoninspiegels stehen könnte. In Maus-Experimenten wurden Entzündungsreaktionen infolge von Virusinfektionen als Verursacher ausgemacht. Blockierte man bei den Tieren ein an Entzündungsreaktionen beteiligtes Protein (Interferon) medikamentös, blieb das Absacken des Serotoninspiegels aus.
Auch bei den menschlichen Probandinnen und Probanden fand man im Blut erhöhte Werte des Entzündungsproteins Interferon. Virusrückstände im Stuhl wiesen außerdem darauf hin, dass sich das Virus noch im Magen-Darm-Trakt der Untersuchten befand.
Patientinnen und Patienten mit Covid-19 wiesen auch niedrigere Tryptophanwerte auf. Zur Erinnerung: Aus der Aminosäure Tryptophan wird im Darm das Serotonin gebildet. Eine Erklärung dafür lieferte wiederum der Blick auf die Maus: Bei Corona-kranken Mäusen schien das Virus die Aufnahme der Aminosäure im Darm zu hemmen.
In Summe destillierten die Forschenden daraus folgende Theorie: Entzündliche Prozesse im Körper behindern die Aufnahme von Tryptophan, was wiederum den Serotoninspiegel im ganzen Organismus senkt.
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Kommunikation zwischen Darm und Hirn gestört
Und was hat das nun mit Gedächtnisstörungen bei Long-Covid-Betroffenen zu tun?
Zwar kann das Serotonin aus dem Bauch nicht direkt ins Hirn gelangen, weil es aus dem Blut nicht ins Hirngewebe übertreten kann. Dennoch kann es unseren Kopf – und im Fall von Long-Covid-Betroffenen die Gedächtnisleistung – beeinflussen. Denn über die Darm-Hirn-Achse sind Darm und Gehirn verknüpft und kommunizieren mithilfe verschiedener Botenstoffe, etwa – hier schließt sich der Kreis – dem Serotonin.
Bei den untersuchten Mäusen war genau diese Signalübertragung aufgrund des verringerten Serotoninspiegels gestört. Was – so folgern die Forschenden – auch für deren schlechteres Abschneiden bei Gedächtnistests verantwortlich sein müsste.
Dass das durchaus plausibel ist, zeigen Reaktionen aus Fachkreisen. "Das sind sehr wichtige Erkenntnisse, die erklären, warum der Serotoninspiegel bei bestimmten Patienten mit Long Covid nach einer SARS-CoV-2-Infektion niedrig bleibt", kommentierte etwa Liam O'Mahony, Immunologe am University College Cork, die Untersuchung gegenüber dem National Geographic.
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