Schulleiter: Die Möglichmacher
Die Krise hat die Stärken und Schwächen der Schulen offenbart: Das Lernen auf Distanz hat in einigen schneller und besser geklappt. Wie wichtig nicht nur dabei die Aufgabe der Direktoren ist, weiß Michael Sörös von der Wiener Bildungsdirektion: „Von ihnen hängt maßgeblich die Stimmung an den Schulen ab. Diese nimmt man oft sofort beim Betreten eines Schulhauses wahr, ohne auch noch mit jemandem geredet zu haben.“ Der KURIER spricht mit Sörös und den Direktorinnen Isabella Zins und Doris Pfingstner über
- Die Coronakrise und was sie jetzt für die Schulen bedeutet
- Was Schulentwicklung heißt und warum sie so zentral für die Qualität der Schule ist
- Wie die Zentralmatura den Unterricht verändert hat
- Warum immer weniger Lehrer Direktoren werden wollen
Aus der Praxis
Vor zwei Jahren wurde der KURIER-Bildungsbeirat gegründet. Das Ziel: Experten beurteilen die Probleme im Schulsystem
Michael Sörös
Ex-Direktor der AHS Wasagasse, Leiter Bildungsregion Wien West
Doris Pfingstner
hat in der NMS Eibengasse in Wien-Donaustadt die Modulare Mittelstufe Aspern entwickelt
Isabella Zins
leitet das BORG Mistelbach (NÖ) und ist Sprecherin der österreichischen AHS-Direktoren
KURIER: In der Krise waren und sind Schulleiter besonders gefragt. Wo sind die größten Herausforderungen?
Doris Pfingstner: Die größte Herausforderung ist, ein positives Schulklima zu erhalten. Auch wenn wir viel kommunizieren, ist es oft schwierig, durch die große Distanz zu allen Schulpartnern das Gespür für aktuelle Stimmungen und Unsicherheiten zu behalten. Die beste Videokonferenz ersetzt ja nicht den persönlichen Austausch.
Isabella Zins: Teilweise fehlen Schüler, Kollegen oder ganze Klassen zehn Tage. Dennoch den Unterricht sicherzustellen und alle durch klare Kommunikation mitzunehmen, ist höchstes Ziel.
Distance Learning hat an manchen Standorten gut funktioniert, an anderen weniger. Was können Direktoren zum Gelingen beitragen?
Pfingstner: Die Vorgabe, dass wir EINE Lernplattform brauchen, gab ich an unserer Schule schon in der ersten Woche des Lockdowns aus – für welche wir uns entschieden, oblag dem Lehrerteam. Dabei mussten wir auf die technischen Rahmenbedingungen in den Haushalten unserer Schüler Rücksicht nehmen. Viel Arbeit wurde von unserer Digi-Arbeitsgruppe geleistet, die eine Vordenkerfunktion hatte und jene Lehrkräfte unterstützte, die sich im virtuellen Unterricht noch nicht so fit fühlten.
Zins: Das gilt auch für meine Schule. Und wir Direktoren müssen für die bestmögliche und leistbare technische Ausstattung sorgen und gleichzeitig mit unseren Teams vieles völlig neu aufsetzen, viele „Rituale“ neu erfinden: vom virtuellen Elternabend über die Schulpräsentation bis zum Sprechtag. Das ist ein Entwicklungsschub für Lehrer und Direktoren – der durch viel Fortbildung begleitet werden muss.
Was wünschen Sie sich in der momentanen Situation von Minister Faßmann?
Michael Sörös: Nicht tausend neue Reformen – es läuft derzeit genug. Weniger ist oft mehr. Schole, die griechische Wurzel des Wortes Schule, bedeutet nun einmal „Ruhe, Muße, Langsamkeit“. Schule ist kein Tempowettbewerb.
Pfingstner: Ja, die Reformen gehen weiter, als ob es kein Corona gäbe.
Zins: Vom Minister wünsche ich mir, dass er weiterhin die Praktiker einbezieht. Und dass er schnelle Testungen für die Schulen erreicht und der Öffentlichkeit signalisiert: Grundbedingung für das von allen gewünschte Offenhalten der Schulen ist die Achtsamkeit aller, von der Einhaltung der Regeln bis zur Ehrlichkeit beim Contact Tracing.
Was macht einen guten Direktor aus?
Zins: Die Schüler merken, wie Lehrer miteinander umgehen. Sie müssen den Eindruck haben, dass das Team an einem Strang zieht, und die Schule als Ort der Gemeinschaft erleben, die sie mitgestalten. Da muss meine Türe immer offen sein, damit alle Lehrer – ebenso wie Eltern und Schüler – zu mir kommen können.
Pfingstner: Bildungsforscher Michael Schratz, der in der Jury für den deutschen Schulpreis ist, beantworte die Frage, was erfolgreiche Schulen gemeinsam haben, so: Der Direktor braucht eine Vision und überträgt sie in die Organisation. Ohne eine Vision gerät Schulleitung zur reinen Verwaltung. Zweitens: Der Direktor ist nah dran – nah an Forschungsergebnissen, nah am Schüler, nah an Eltern und Lehrern. Und er hinterlässt überall seine Spuren.
Keine leichte Aufgabe: Ist es schwierig, Bewerber für Direktorenposten zu finden?
Sörös: Ja – in allen Schultypen, in den AHS besonders, doch auch in Pflichtschulen, wird es schwieriger. Wegen des Geldes macht das jedenfalls niemand. Jeder Lehrer, der um zwei Gehaltsstufen älter ist als der Direktor, verdient mehr. Auf dem Land kommt die Geografie dazu. Wenn man in Mistelbach wohnt, bewirbt man sich nicht im Süden Niederösterreichs.
Was hat Sie denn bewogen, Direktor zu werden?
Sörös: Man hat viele Gestaltungsmöglichkeiten. Das mittlere Management würde auch Eltern und Schülern etwas bringen, wenn Direktoren mehr Zeit für sie hätten. (Zins und Pfingstner nicken zustimmend).
Eine Ihrer wesentlichen Aufgaben ist die Schulentwicklung. Sie macht die Qualität eines Standorts aus. Was versteht man darunter?
Pfingstner: Die drei Säulen sind Unterrichts-, Organisations- und Personalentwicklung – jede für sich extrem anspruchsvoll. Etwa das Personal: Bei mir sind das 60 Mitarbeiter (Lehrer und Hauspersonal), deren Stärken und Entwicklungspotenzial ich gut kennen sollte: Ich muss wissen, in welchem Entwicklungsstand jeder ist, wie ich ihn einsetze, dass er motiviert und nicht nach zwanzig Jahren ausgebrannt ist.
Zins: Für die Personal- und Unterrichtsentwicklung hat in den letzten Jahren die Zentralmatura so viel bewirkt wie jetzt die Digitalisierung des Unterrichts. Fachteams arbeiten viel enger zusammen. Die Lehrkräfte wollen die Schüler so weit bringen, dass sie bei der Matura gut abschneiden. Das erzeugt einerseits Druck, stärkt aber andererseits auch die Beziehung zu den Schülern. Jede AHS und jedes ORG muss sich dem Vergleich mit allen anderen stellen – es ist eine wichtige Aufgabe von Direktoren, den Qualitätsprozess am Laufen zu halten.
Sörös: Ja, die Zentralmatura erfordert viel Koordination: In immer mehr Schulen gibt es etwa Jahrgangsschularbeiten. Dass eine solche Koordination eine Erleichterung ist, verstehen immer mehr Lehrer. Das gilt auch für Lehrerteams: Ein Direktor schaut, dass er unterschiedliche Charaktere in einem Team zusammenbringt. Rückblickend kann ich sagen, dass Direktor der schönste und gestaltungsreichste, aber ohne das erwähnte mittlere Management auch der am schwersten zu bewältigende Job ist. In keiner anderen Phase meiner Berufslaufbahn habe ich so viel aufwenden müssen.
Apropos Zentralmatura: Wenn ein Lehrer den Stoff vorher nicht gut ermittelt hat, hat das für Schüler dramatische Auswirkungen. Wie kann die Schulleitung da eingreifen?
Sörös: Viele Direktoren bemängeln, dass sie zwar die Lehrer bekommen, die sie wollen, aber die, die sich nicht wollen, nicht loswerden.
Zins: Auch Lehrer sind Lernende und als Direktorin muss ich den Austausch und das Voneinander-Lernen anstoßen, damit das fachliche Niveau möglichst ausgewogen ist. Die Zentralmatura macht den Lehrern da Druck. Für uns Direktoren ist es belastend, dass wir mittlerweile das ganze Jahr „maturieren“.
Was meinen Sie damit?
Sörös: Weil etliche Schüler die Matura splitten, treten mehr zu den Nebenterminen an. Beispiel: Viele Schüler geben ihre Vorwissenschaftliche Arbeit erst im Herbst ab.
Zins: Es wurde ja schon die Frage gestellt, ob die Direktion bei der Matura an der eigenen Schule anwesend sein muss. Ich finde: Ja, auf jeden Fall, das ist ja Qualitätssicherung.
Sörös: Das sehe ich auch so und bin zudem der Meinung, dass man keinesfalls auf externe Vorsitzende verzichten sollte. Gerade das Ergebnis der Qualitätsentwicklung zu sehen, ist auch ein ganz wichtiger Bestandteil der Arbeit des Schulqualitätsmanagements, wie jetzt die Schulaufsicht bezeichnet wird.
Was sind die besonderen Herausforderungen, mit denen ein Schulleiter konfrontiert ist?
Pfingstner: Besonders belastend empfinde ich, dass es aus vielen Kanälen gleichzeitig auf mich einstürmt. Es gibt kein Lehrer- oder Elterngespräch, wo ich nicht zwischendurch ans Telefon gehen muss. Das ist peinlich unprofessionell. Es wäre aber auch unprofessionell, das Telefon läuten zu lassen. Zum Glück habe ich jetzt eine Sekretärin – an Pflichtschulen die Ausnahme. In der Krise zeigt sich: Schulen ab einer gewissen Größe brauchen dringend ein mittleres Management und administrative Unterstützung.
Zins: Die Verwaltung ist zum Teil überbordend. Ich habe fürs Ministerium einmal eine Aufstellung gemacht, wie viele „Portale“ und Datenbanken wir befüllen müssen. Eine Vereinfachung ist geplant, aber noch nicht spürbar: Jedes Gerät, das angeschafft wird, geht genauso über meinen Schreibtisch, wie der Bericht des Schularztes.
Sörös: Als Direktor habe ich es gerade einmal geschafft, jeden Lehrer alle zwei Jahre im Unterricht zu besuchen – das ist zu wenig. Schulleiter sollten mehr freigespielt werden.
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