Gastkommentar: Vorbilder, an denen sie sich reiben können

Erziehung muss Unrechtbewusstsein erzeugen, schreibt NMS-Direktorin Doris Pfingster.

Jugendliche überschreiten Grenzen – das haben sie immer getan und das werden sie auch in Zukunft tun. Für die persönliche Entwicklung ist es jedoch wichtig, dass sie Grenzen kennenlernen. Der Unterschied zu früher: Erwachsene kommen nicht mehr mit purer Machtausübung ans Ziel. Erziehung bedeutet heute, dass es uns gelingen muss, ein Unrechtsbewusstsein beim Jugendlichen zu erzeugen, wenn er Grenzen überschreitet.

Gastkommentar: Vorbilder, an denen sie sich reiben können

Doris Pfingstner.

Nur wenn wir es schaffen, dass der Jugendliche einsichtig ist, haben wir die Voraussetzung geschaffen, dass er aus vergangenen Fehlern lernt und sein Verhalten ändert. Denn: Kinder und Jugendliche sind auch heute nicht jene Anarchisten, als die sie oft hingestellt werden. Ja, sie loten Grenzen aus, schauen, wie weit sie gehen können. Wir Erwachsene – Lehrkräfte und Eltern – müssen einschreiten und Nein sagen, wenn sie zu weit gehen. Und ihnen klar machen, was an ihrem Verhalten nicht in Ordnung war.

Meine Erfahrung ist, dass Jugendliche das schätzen. Die beliebtesten Lehrer und Eltern sind nicht jene, die alles erlauben. Im Gegenteil: Jugendliche schätzen Erwachsene, die ihnen Grenzen aufzeigen und diese konsequent einfordern. Sie wollen starke Vorbilder, an denen sie sich reiben können.

Fair behandeln

Jugendliche akzeptieren persönliche Autoritäten also sehr wohl. Aber sie erwarten eine respektvolle, faire Behandlung und Kommunikation auf Augenhöhe. Als geschulte Pädagogen müssen wir in der Lage sein, uns in einer eskalierenden Situation herauszunehmen und damit eine aufkommende Gewaltspirale zu unterbinden. Dies funktioniert nur, wenn alle an einem Strang ziehen: Direktor, Lehrer, Eltern, Schulpsychologen. Sie müssen bei Fehlverhalten geschlossen auftreten, Grenzen aufzeigen und konsequent sein.

Ich maße mir nicht an zu sagen, was im Fall der HTL schiefgelaufen ist. Der Umgang mit solchen Vorfällen ist aber eine Chance zu analysieren, daraus zu lernen und daran zu wachsen. Echte Lösungsansätze lassen sich nicht in reißerische Überschriften verpacken. Es wird ein Bündel an Maßnahmen gesetzt werden müssen. Und es sind Werthaltungen, die hinterfragt werden müssen.

Es muss uns in der Schule gelingen, ein Klima zu schaffen, in dem sich alle – Schüler wie Lehrer – wohlfühlen können. Das ist mühsam und langwierig. Aber daran geht kein Weg vorbei.

Konsequentes Nein

Im Schulalltag heißt das: Wir müssen eine Haltung einnehmen, die ein Miteinander fördert und Schüler in ihren Problemen ernst nimmt. Wir müssen Jugendliche wie Lehrkräfte unterstützen, fördern und fordern. Wir müssen Eltern, wo nötig, vermehrt in die Pflicht nehmen und ihnen Hilfe anbieten. Wir müssen Widerstände als Anlass nehmen hinzusehen und hinzuhören, was uns da jemand sagen will. Wir müssen aber auch konsequent „Nein“ sagen, wo sich Missstände auftun. Es muss uns gelingen, wieder stolz darauf zu sein, Schüler oder Lehrer zu sein.

Ein Zurück zu alten Machtasymmetrien kann nicht die Lösung sein. Diese laden zu Missbrauch ein: Kinder- und Pflegeheime, Internate, Kirche sind nur einige Beispiele, in denen Missbrauchsvorfälle aufgedeckt wurden. Es ist gut, dass wir daraus gelernt haben. Wir dürfen jetzt nicht den Fehler begehen, das Pendel in die Gegenrichtung ausschlagen zu lassen.

von Doris Pfingstner, Direktorin der NMS Eibengasse in Wien, ist Mitglied des KURIER-Bildungsbeirats.

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