Warum Artenschutz in der Klimakrise besonders wichtig ist
Der Östliche Flachlandgorilla im Kongo ist durch Wilderei bedroht. Gewöhnliche Delfine im Mittelmeer finden aufgrund der Überfischung weniger Beute, ihre Anzahl reduziert sich so von Jahr zu Jahr. Koalas in Australien leiden unter der Zerstörung ihres Lebensraumes, Waldbrände auf ihrem Kontinent haben international für Schlagzeilen gesorgt. Feldlerchen in Europa macht der Pestizideinsatz zu schaffen:
Der 14. Living Planet Report des WWF - das globale Barometer der Artenvielfalt - zeigt auch heuer keine Trendwende zum Positiven. Laut dem Index, der auf Daten von 32.000 Wirbeltier-Populationen aus 5.230 Arten beruht, sind deren Bestände im Zeitraum von 1970 bis 2018 um 69 Prozent gesunken. Der World Wide Fund for Nature und die Zoological Society of London sprechen von einem "dramatischen Einbruch weltweit", besonders betroffen sind Lateinamerika und die Karibik.
Seit 1998 hält ihr Living Planet Report den ökologischen Gesundheitszustand der Erde fest und versucht ebenso, Wege aus der Biodiversitätskrise aufzuzeigen. Denn diese nimmt immer größere Ausmaße an. Während im ersten Bericht noch ein Gesamtrückgang von 30 Prozent für den Zeitraum 1970 bis 1995 ermittelt worden war, liegt dieser aktuell bei 69 Prozent.
Ursachen
Nach wie vor machen die Umweltschützer die Landnutzung als größte gegenwärtig Bedrohung für Natur aus. Konkret geht es um die Zerstörung und Übernutzung von Flächen sowie um die intensive Entwaldung. Zudem verstärken Wildtierhandel und Wilderei den Negativ-Trend. "Wenn wir die Erwärmung nicht auf 1,5 Grad Celsius begrenzen können, wird der Klimawandel in den kommenden Jahrzehnten wahrscheinlich zur Hauptursache für den Verlust der biologischen Vielfalt werden", stellt der Report nicht zuletzt den Zusammenhang zwischen Biodiversitätsverlust und Klimawandel her.
Der "fatale Ping-Pong-Effekt" zwischen Artensterben und Klimakrise steht nun auch erstmals im Fokus des 116 Seiten umfassenden Reports. "Brennende Regenwälder, aussterbende Arten und immer mehr Monokulturen sorgen dafür, dass weniger CO2 gespeichert werden kann. Wenn wir so weitermachen, verlieren wir im Kampf gegen die Klimakrise die Natur als unsere beste Verbündete", warnt Georg Scattolin, Leiter des internationalen Programms beim WWF Österreich und verweist auf die CO2-Speicherfunktion von Wälder, Mooren und Savannen.
Auswirkungen auf den Menschen
"Unsere Natur wird rücksichtslos ausgebeutet und zerstört. Das schadet nicht nur Wildtieren, sondern raubt uns letztlich die eigenen Lebensgrundlagen. Denn die Ernährungssicherheit und Gesundheit von Milliarden Menschen hängt direkt von intakten Ökosystemen ab", betont Scattolin. In diesem Zusammenhang tritt die NGO für einen globalen Naturschutz-Pakt ein, den die Politik bei der UN-Biodiversitäts-Konferenz im Dezember 2022 in Kanada beschließen müsse.
Problemzonen
Wie der Report weiter fest hält, dreht sich die Spirale der Zerstörung nach wie vor in Südamerika am schnellsten. Vor allem die Abholzung der Tropenwälder trägt zu einer Vernichtung von Tier- und Pflanzenarten bei. Doch auch für Österreich zeichnen die Experten ein düsteres Bild. Besonders schlimm steht es hierzulande um die Gewässer: Derzeit sind zwischen Boden- und Neusiedler See mehr als 60 Prozent der heimischen Fischarten gefährdet, nur noch 14 Prozent der Flüsse sind ökologisch intakt.
Schutz
Ob ferner Tropenwald oder heimische Gewässer: Um den Raubbau an der Natur zu stoppen, fordert der WWF einen grundlegenden Systemwandel. "Das Artensterben muss endlich als existenzielle Krise für uns Menschen erkannt werden. Mit einem ambitionierten, globalen Naturschutzpakt nach Vorbild des Pariser Klimavertrags ist eine Wende möglich“, appelliert WWF-Experte Scattolin. "Arten und ihre Lebensräume müssen überall besser geschützt werden. Denn auch Europa ist für massive Naturzerstörung in anderen Teilen der Welt verantwortlich." Stichwort: Futtermittelanbau statt Regenwald.
Neue Klassifizierung mit 25 Ökosystemen
Damit Schutzmaßnahmen besser vorangetrieben werden können, hat ein internationales Forscher-Team um David Keith von der University of New South Wales/Australien ein neues Handwerkszeug entwickelt. Wie das Fachmagazin Nature nun berichtet, haben mehr als 100 Wissenschafter, darunter auch österreichische, in mehrjähriger Arbeit einen Katalog von Lebensräumen vorgelegt. Dieser umfasst zehn „Reiche“ - wie Süßwasser, Terrestrisch u.a. -, 25 „Ökosysteme“ - etwa Seen, Küsten, Tropische und subtropische Wälder... - und „funktionelle Gruppen des Ökosystems“ - z.B. Gezeitenwälder, alpine Wiesen, unterirdische Seen etc .„Dieser typologische Überbau ist konsistent und vergleichbar, eine feinere Ausarbeitung der Typologie kann dann auf regionaler Ebene erfolgen, etwa für Schutzmaßnahmen“, erklärt Franz Essl vom Department für Botanik und Biodiversitätsforschung der Universität Wien.
Abgrenzung
In einer hierarchischen Gliederung werden die Lebensräume anhand der wichtigsten Merkmale und Prozesse beschrieben und gegeneinander abgegrenzt. „Moore etwa zeichnen sich durch einen extrem hohen Grundwasserstand, Nährstoffarmut und dem daraus resultierenden Fehlen von Bäumen aus“, gibt Essl ein Beispiel für die Merkmale zur Beschreibung des Lebensraums Moor.
Der Sinn einer solchen Typologie erschließt sich im Vergleich mit dem Artenschutz: So wie man eine Art überhaupt erst kennen muss, um ihren Gefährdungsstatus einzuschätzen, muss man auch einen bestimmten Lebensraum identifizieren können, um seinen Zustand abzuschätzen und Schutzmaßnahmen zu ergreifen. So ermöglicht die Klassifizierung, erstmals eine globale Rote Liste von Lebensräumen zu erstellen.
Keine 30 Prozent geschützt
Hier sieht Essl auch Handlungsbedarf für Österreich, das „deutlich mehr als bisher für den Schutz der Lebensraumvielfalt leisten muss“. Angesichts einer Überlagerung von Schutzgebietskategorien und der Tatsache, dass manche Zonen wie etwa Landschaftsschutzgebiete keinen effektiven Schutz bedeuten, könne man keine Angaben über die genaue Größe der geschützten Fläche in Österreich machen. Sie liege jedenfalls „deutlich unter den angepeilten 30 Prozent“, sagt Essl, nach dessen vorsichtiger Schätzung hierzulande nur 22 Prozent der Fläche geschützt sind.
Erfolgsgeschichten
Dass Schutzmaßnahmen erfolgreich sein können, spiegelt sich denn auch im Living Planet Report wider: So gibt es etwa guten Nachrichten vom Tiger. Die Großkatze verzeichnete in Nepal einen Populationszuwachs um 91 Prozent; mit 121 Exemplaren im Jahr 2009 auf 235 Tiere im Jahr 2018. Auch von der Kegelrobbe in der Ostsee gibt es good news. Ihr Bestand wuchs von 2013 bis 2019 um 139 Prozent.
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