Forschung made in Austria: Wie wir wieder zur Wissenschaftsnation werden
Im internationalen Vergleich kann Österreich durchaus mithalten – Ziel ist, wieder als führende Wissenschaftsnation Schule zu machen. Etwa mit diesen drei Beispielen.
Vor 120 Jahren gehörte Wien noch zu den großen Wissenschaftsmetropolen der Welt, erinnert Michael Stampfer, Geschäftsführer des Wiener Wissenschafts-, Forschungs- und Technologiefonds (WWTF) und er hat sich einiges vorgenommen: „Wir wollen in die Liga der führenden Forschungsnationen vorstoßen! Kaum ein Land in Europa gibt heute pro Kopf so viel für Forschung und Entwicklung aus wie Österreich und wir können viele Erfolge verbuchen.“
Warum wir noch keine Spitzenposition bei den Europäischen Innovation Leaders haben? „Wir haben erstens wenig Risikokapital und die jungen Firmen wachsen nicht so rasch wie in anderen Ländern. Zweitens geben wir im internationalen Vergleich viel Geld für die staatliche Förderung der nächsten technologischen Schritte von Unternehmen aus und weniger Geld für radikale Ideen und für Grundlagenforschung, vor allem an den Universitäten.“ Insgesamt sei der Output für den Input aber sehr hoch.
Die folgenden drei Beispiele zeigen exemplarisch, wie viel sich in Österreichs Forschungslandschaft tut und wie breit das Spektrum ist: So befasst sich ein Projekt damit, wie der Gebrauch von Antibiotika und Schlafmitteln reduziert werden kann, ein weiteres will die bereits jetzt schon bahnbrechende Immuntherapie gegen Krebs weiter auszuweiten und im dritten Beispiel geht es darum, wie Schüler und Schülerinnen resilienter werden, um mit Herausforderungen im Leben besser umgehen zu können.
Den Einsatz von Antibiotika und Schlafmitteln reduzieren
Jedes Mal, wenn Antibiotika eingesetzt werden, kann dies die Bildung von Resistenzen fördern. Trotzdem gab es zuletzt wieder einen Anstieg bei Verschreibungen: 2022 wurden 3,4 Millionen Packungen abgegeben. Auch beim Einsatz von Benzodiazepinen, die als Schlaf- oder Beruhigungsmittel eingesetzt werden, gibt es in Österreich Handlungsbedarf: Schätzungen zufolge sind rund 150.000 Menschen arzneimittelabhängig. Suchtmittelexperten gehen von einer doppelt so hohen Dunkelziffer aus.
Wie kann man die Verschreibungspraxis dieser zwei Arzneien optimieren? Damit befassen sich Forschende des Instituts für Kultur- und Sozialanthropologie der Uni Wien gemeinsam mit dem Zentrum für Public Health der MedUni Wien. Janina Kehr, Professorin für Medizinanthropologie, erklärt: „Das Recht auf Gesundheit wird immer mehr als Recht auf Medikation ausgelegt. Das birgt viel positives Potenzial, aber auch viele Risiken in Bezug auf Patientensicherheit, wie das Risiko von Resistenzen bei Antibiotika und von Abhängigkeit bei Benzodiazepinen.“
Deshalb wurde das Forschungsprojekt unter die Leitfrage „Less is more?“ (Weniger ist mehr?, Anm.) gestellt. Statt immer davon auszugehen, dass man mehr und neue Arzneien braucht, geht es darum herauszufinden, wie man mit bestehenden Substanzen gut umgehen kann, erklärt Kehr und betont, dass es nicht darum geht, Medikamente wegzunehmen. „Wir wissen, dass Medikamente nicht nur medizinisch wirken, sondern auch eine soziale Ebene haben. Medikamente kursieren etwa in Familien und Freundeskreisen.“ Das Ziel ist auch, Verschreibungsdaten quantitativ auszuwerten – dazu gebe es kaum Studien.
„Gerade in einer Gesellschaft, die schnell funktioniert und wo jeder Stress hat, ist es oft einfacher eine Pille zu schlucken“, sagt Kehr. Mehr Einblicke in die Verschreibungs- und Einnahmepraktiken – auch im Vergleich zwischen Wiener Bezirken – sollen Guidelines ermöglichen, um Arzneimittelnutzung gegebenenfalls zu optimieren.
„Das ist keine Entwicklung einer neuen Technologie, sondern ein Innehalten, ob es immer etwas Neues braucht oder ob man auch mal etwas anders machen kann. Es geht um Nachhaltigkeit des Gesundheitssystems, weil das Substanzen sind, die wir länger verwenden können wollen.“
Neue Wege im Kampf gegen Krebs erforschen
Die Behandlung etlicher Krebsarten wurde in den vergangenen Jahren durch die sogenannte Immuntherapie revolutioniert. Einige Formen von Krebs wurden dadurch zu chronischen Erkrankungen. Allerdings wirken die derzeit zugelassenen Immuntherapeutika nur bei etwa 20 Prozent der Darmkrebspatienten.
Ein interdisziplinäres Forschungsteam in Wien rund um Dietmar Herndler-Brandstetter (Zentrum für Krebsforschung), Michael Bergmann (Universitätsklinik für Allgemeinchirurgie) und Matthias Farlik-Födinger (Universitätsklinik für Dermatologie) hat sich daher zum Ziel gesetzt, neuartige Immuntherapeutika zu entwickeln.
„Die bisherige Immuntherapie zielt auf T-Killerzellen ab und darauf sprechen nur etwa 20 Prozent der Tumore an, die einen bestimmten DNS-Reparaturdefekt haben“, erklärt Herndler-Brandstetter. „Bei den anderen 80 Prozent sind die T-Killerzellen nicht im Tumor. Da sind vorwiegend Fresszellen, die zum Beispiel abgestorbene Zellen beseitigen – wie eine Müllabfuhr des Systems.“ Der Tumor programmiert diese Fresszellen so um, dass sie andere Immunzellen hemmen und die Neubildung von Blutgefäßen erhöhen. Das führt dazu, dass der Tumor mehr Sauerstoff- und Nahrungszufuhr hat und besser wachsen kann.
„Unser Ziel ist, diese Fresszellen umzuprogrammieren, sodass sie die Tumorzellen attackieren und auffressen.“ Dafür erforscht das Team sogenannte Checkpoint-Hemmer, die die Bremsen auf den T-Killerzellen und Fresszellen lösen sollen. „Unsere Strategie ist, je nach Krebsart, Gruppen von Checkpoints auf diesen Fresszellen zu suchen. Wir erstellen eine Landkarte von diesen Checkpoints, um diese neuartige Immuntherapie an die Patienten anzupassen.“
Die Forschenden wollen herausfinden, welche Arten von Checkpoint-Hemmern bei welchen Unterarten von Darmkrebs geeignet sind. Damit gäbe es dann eine neuartige Klasse von Immuntherapien und man wüsste vorab, bei welchen Patienten welche Immuntherapie funktioniert oder ob man etwa eine Kombination braucht. „Mit dieser neuartigen Immuntherapie hat man eine weitere Möglichkeit, um Resistenzentwicklungen vorzubeugen und Patienten können lebenslang immun gegen den Tumor sein, der sonst vielleicht wieder zurückkommen würde.“
Wie Kinder mehr Gefühl für das eigene Wohlbefinden bekommen
Was bedeutet es, gesund zu sein? Sich wohlzufühlen? Was macht glücklich und was kann man tun, wenn es einem nicht gut geht? Damit beschäftigt sich ein Projekt der Psychologin Prof. Giorgia Silani von der Uni Wien. Fast jeder vierte junge Mensch in Österreich leidet an einer psychischen Störung, zeigte eine Mental-Health-Studie und dem will Silani mit ihrem Projekt entgegenwirken.
Dazu entwickelt ihr Team zusammen mit der Pädagogischen Hochschule NÖ ein Programm mit Schülerinnen und Schülern der vierten Klasse Volksschule, mit dem die Kinder ihre Gefühle besser verstehen und benennen können sollen. Zudem lernen sie, was sie tun können, wenn es ihnen nicht gut geht. „Wir zielen auf die Altersgruppe der Neunjährigen ab, weil der Übergang zur nächsten Schulstufe zu den ersten großen Herausforderungen in ihrem Leben gehört – in Bezug auf Gefühle, Anforderungen, Stress, kognitive und soziale Fähigkeiten“, erklärt Silani. „Außerdem beginnt in diesem Alter die Pubertät – es gibt viele Veränderungen. Wir wollen den Kindern Werkzeuge geben, um mit den weiteren Herausforderungen im Leben besser umgehen zu können. Sie müssen das nicht alleine in den Griff bekommen, sondern verstehen besser, was passiert und können bei Bedarf besser um Hilfe bitten.“
Die Nachfrage ist bisher sehr groß, berichtet die Psychologin: „Das zeigt, dass es in dieser Altersgruppe bisher kaum Angebote gibt. Die beginnen meist bei der Altersgruppe ab 12 Jahren.“ Im Vergleich zu Österreich ist man da in Großbritannien viel weiter, allerdings sind die Ergebnisse differenziert zu sehen, gibt Silani zu bedenken: „Es macht einen Unterschied, ob man mit ihnen über psychische Probleme spricht oder über seelisches Wohlbefinden. Statt auf das fehlerhafte Verhalten zu sehen, zählt vielmehr der positive Zugang.“
In Silanis Projekt führen die Schüler ein Tagebuch über ihr Alltagsverhalten, ihre Schlafgewohnheiten, Wut, Stress, etc. und Situationen wie an der Tafel zu stehen. Dann wird analysiert, ob die Kinder, die an dem Programm teilnehmen, ihre Emotionen besser regulieren können und sich schneller von der Stresssituation erholen. „Wir wollen den Effekt unserer Maßnahmen evaluieren und unser Ziel ist, Module zu erarbeiten, die Lehrer dann in den Schulalltag einbauen können.“
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