Politologin: "Wissenschaft kann der Politik nicht die Verantwortung abnehmen"
Im Verlauf der Pandemie zeigte sich eine zunehmende Wissenschaftsskepsis. Barbara Prainsack, Politologin an der Uni Wien, erklärt im Interview mit dem KURIER, wie es zu diesem Vertrauensverlust kam und ob er anhält.
KURIER: Zu Pandemiebeginn wurden wissenschaftliche Erkenntnisse sehnlich erwartet, später angezweifelt. Warum?
Barbara Prainsack: Die Pandemie brachte eine wichtige Veränderung im Verhältnis von Wissenschaft und Bevölkerung. Davor haben Studien meist erst dann Schlagzeilen gemacht, wenn ein großer Durchbruch gelungen ist, wenn etwa ein Heilmittel für eine Erkrankung gefunden wurde.
In der Pandemie hat erstmals die gesamte Bevölkerung live erlebt, wie neue Daten entstehen, klinische Studien diskutiert werden. Davor fand dieser Prozess hinter verschlossenen Türen statt. Viele haben aus den wissenschaftlichen Debatten darüber, wie gut neue Daten sind oder wie sie interpretiert werden sollen, geschlossen, dass sich „noch nicht einmal“ die Wissenschafter einig sind. Diskussionen sind aber in der Wissenschaft ganz normal. Dennoch hat dies zum Teil zu einem Vertrauensverlust geführt.
Aus ersten Erkenntnissen wurden oft Maßnahmen abgeleitet.
Die Berücksichtigung wissenschaftlicher Evidenz in der Politikgestaltung ist extrem wichtig. Gleichzeitig gilt: Die meisten politischen Entscheidungen können nicht allein auf Basis der Evidenz getroffen werden. Ein Beispiel ist das Thema Impfungen.
Man kann Evidenz sammeln, das heißt untersuchen, wie Impfungen wirken, man kann erheben, wer sich unter welchen Umständen eher impfen lässt. Aber die Entscheidung, wie sehr man in die Privatsphäre eingreift und ob man etwa eine Impfpflicht einführt, ist eine politische Entscheidung, keine wissenschaftliche. Wissenschaft kann der Politik nicht die Verantwortung abnehmen. In vielen Ländern hat sich die Politik aber trotzdem an der Wissenschaft abgeputzt.
Ein Thema war die vermeintliche Nähe von Politik und Wissenschaft. Hat das der Wissenschaft geschadet?
Die meisten Wissenschafter haben Positionen vertreten, die auf wissenschaftlicher Evidenz basieren. Manchmal entsprach diese Position der Haltung der Regierung, manchmal nicht. Entsprachen die Positionen von Wissenschaftern jenen der Regierung, führte das bei vielen zu der Wahrnehmung, dass sich manche Wissenschafter politisch äußern oder anbiedern.
Wenn Menschen ohnehin schon unzufrieden waren mit der Regierung oder mit einzelnen Maßnahmen wie der Maskenpflicht, und dann immer wieder Wissenschafter in den Medien sehen, die über Evidenz dazu sprechen, eventuell gemeinsam mit Politikern, dann ist die Wissenschaft vom selben Vertrauensverlust betroffen wie die Politik selbst. Es war nicht immer ideal, wie das gelöst wurde, es war aber auch das erste Mal in unserer Zeit, dass wir mit einer Pandemie zu tun hatten.
Wird die Wissenschaftsskepsis längerfristig anhalten?
Wir werden erst in ein paar Jahren sehen, wie groß der Einfluss der Pandemie auf das Verhältnis der Bevölkerung zur Wissenschaft war. Der Vertrauensverlust war geringer als jener gegenüber der Politik – das sehen wir schon in den Daten.
Ich bin nicht pessimistisch, was die Entwicklung der Wissenschaftsskepsis anbelangt. Es bräuchte aber eine Aufarbeitung, wie nach jeder Krise, um festzuhalten, was wir bereits vorher hätten wissen sollen und was wir zusätzlich aus der letzten Krise lernen können.
Man weiß zum Beispiel, dass in jeder Krise, ob das eine Pandemie, die Klimakrise oder eine Wirtschaftskrise ist, jene mit weniger Einkommen und Vermögen und jene in prekären Arbeitsverhältnissen besonders gefährdet sind. Wenn wir krisenresilienter werden wollen, müssen wir also zum Beispiel versuchen, Armut und Ungleichheiten zu reduzieren. Wichtig sind auch eine klare Kommunikation und ein Benennen von Unsicherheiten.
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