Artenvielfalt im Nadelwald: Über das wilde Leben in Christbäumen
Als Alexander von Nordmann 1835 im Kaukasus eine neue Baumart entdeckt, ahnt der finnische Biologe nicht, dass der prächtige Nadelbaum – einmal entwurzelt – eine strahlende Zukunft vor sich hat. Nordmanntannen, die in freier Natur bis zu 60 Meter hoch wachsen und 500 Jahre alt werden können, sind hierzulande mit Abstand der beliebteste Christbaum.
„2,5 Millionen Bäume werden pro Jahr aus heimischen Christbaumkulturen verkauft. Zu 85 Prozent sind es Tannen, nur 15 Prozent sind Fichten“, kennt Karin Enzenhofer, Wald-Expertin beim WWF, die aktuellen Zahlen. Bundesweit liegt der Nadelbaumanteil bei zirka 65 Prozent; insgesamt ist etwa die Hälfte Österreichs bewaldet. Das immergrüne Gehölz, das seine schmalen, runden, wachsüberzogenen Blätter viel später und seltener ersetzt, als das Laubbäume tun, bietet zahlreichen Tieren Lebensraum und Nahrung.
Exklusive Arten
„Eine Christbaumkultur ist mit der Zeit oft ein Fleckerlteppich aus jungen und älteren Bäumen – eine ideale Konstellation für Artenvielfalt“, sagt Bernhard Perny. Der Waldschutzexperte am Bundesforschungszentrum für Wald zitiert eine Studie, der zufolge die Biodiversität in Christbaumkulturen mit 275 Tier- und Pflanzenarten etwas geringer ausgeprägt ist als auf Wiesen; hier wurden 316 Spezies identifiziert. Im Vergleich zu Äckern mit nur 175 Arten kreucht und fleucht und flattert es zwischen den Koniferen aber deutlich mehr. In eingezäunten Christbaumkulturen fanden Wissenschaftler sogar 71 Arten, die ausschließlich hier vorkommen.
Weniger Pestizide im Einsatz
Im Gegensatz zu Wildschweinen und Rehen – ihnen schmecken Triebe – lassen sich Mäuse und Eichhörnchen – sie lieben die fetthältigen Samen aus den Früchten vulgo Zapfen – nicht aussperren; Sechs- und Achtbeiner sowieso nicht. „Insekten sind quer durchs Beet vorhanden“, sagt Perny. Sie profitieren im Allgemeinen von der Ökologisierung der Forstwirtschaft und dem reduzierten Einsatz von Pestiziden bzw. Herbiziden. Spinnen treffen hier ebenfalls beste Voraussetzungen für das Weben von Netzen und die Jagd. Nur Schmetterlinge lassen sich selten blicken; sie steuern eher Blütenpflanzen an.
Lebensraum und Nahrung von den Nadeln bis ins Holz
„Je nach Alter und Baumart kommen unterschiedlichste Insekten an Koniferen vor“, kennt Martin Schebeck von der Universität für Bodenkultur die Details. Der Insekten-Experte am Institut für Forstentomologie bringt tierische Beispiele von den Kronen bis zum Kern: Läuse etwa saugen an den jungen Trieben von Tannen.
An Fichtennadeln wiederum legen Pflanzenwespen ihre Eier ab. Schlüpft der Nachwuchs, frisst er sich am Immergrün satt. Buchdrucker und Kupferstecher – die wichtigsten Bewohner von Fichten – verbringen den Großteil ihres Lebens unter der Rinde. Mit ihrem Appetit zerstören sie Bastgewebe. Ist der Larvenbefall groß, kann der Baum die in Wasser gelösten Nährstoffe nicht mehr von der Spitze in die Wurzeln leiten, auf lange Frist ein Todesurteil.
Holzwespen gehen noch tiefer. Rund 400 Larven pro Weibchen, die sich in bis zu 100 Ei-Röhren im Mark entwickeln, vergesellschaften sich mit einem ebenfalls eingebrachten Pilz, er schließt das Holz auf und macht es zur Nahrungsquelle für die Hautflügler.
Auch Ameisen leben vom Baum. Rossameisen beispielsweise nützen das Fichteninnere aber nicht als Futter – sie bevorzugen Honigtau –, das Volk baut vielmehr sein Nest im Holz.
Vögel hinterlassen Spuren im Wald
Nicht zuletzt hinterlassen die gefiederten Überflieger deutliche Spuren im Geäst. So wie der Dreizehenspecht auf alten Fichtenstämmen. „Er ist mit seinem rundem gelben Köpfchen selbst auch sehr markant“, beschreibt Enzenhofer und hebt schließlich einen Rabenvogel hervor: Der Tannenhäher versteckt gerne Samen. Nicht nur seine Futterdepots tragen zur Verjüngung der Wälder bei.
Herausragende Fichte
„Die Fichte ist ökonomisch und ökologisch in Österreich eine herausragende Baumart“, stimmen die Experten überein. In höheren Lagen kommen oft nur noch Koniferen durch; hier bilden Fichten in Monokulturen häufig den natürlichen Bestand. In Zeiten des Klimawandels freilich ändert sich das. Im weihnachtlichen Wohnzimmer dagegen bleibt die Tanne bis auf Weiteres der Star.
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