„Allen glänzten die Augen“: So entdeckte Howard Carter das einzige intakte Pharaonengrab
Wer nach Norden Richtung Tal der Könige will, muss daran vorbei. Kurz hinter der Abzweigung zur Ruhestätte vieler Pharaonen, liegt es, das Carter Castle. Der großspurige Name täuscht. Das Wohnhaus des Ägyptologen Howard Carter ist bescheiden und zweckmäßig. Und durchaus einen Besuch wert, wenn man nicht nur die übliche Tempel-Grab-Schiff-Tour machen möchte.
1910 von George Herbert, dem 5. Earl of Carnarvon, für Howard Carter errichtet, und 2009 als Museum eröffnet, atmet der Ziegelbau mit der Holzdecke den Geist von damals – so, als wäre der weltberühmte Tutanchamun-Entdecker erst vor einer Viertelstunde aufgestanden, um zur Arbeit zu gehen. Die Bettwäsche wirkt, als wäre sie seit 1922 nicht mehr gewaschen worden. Überall stehen Carters persönliche Gegenstände herum: sein Toiletten-Koffer mit Fläschchen, Tinkturen, Bürsten und Maniküre-Set – alles total verstaubt. Auf Garderobenhaken an der Wand im Vorzimmer haben zwei Sonnenhüte des Ägyptologen das Jahrhundert überdauert, daneben lehnen Carters Spazierstöcke. In der hauseigenen Dunkelkammer entwickelte der Wissenschafter seine Grabungsfotos.
Von hier aus brach der britische Ägyptologe am 4. November 1922 auf, um den Fund seines Lebens zu machen. Der Telegraphenapparat, auf dem sich die Nachricht von der Entdeckung des einzigen unversehrten Pharaonengrabs in die Welt verbreitet hatte, steht ebenfalls immer noch da.
Rückblick
Wir schreiben Tag drei der Grabungssaison 1922. Nach fünf erfolglosen Wintern ist es Howard Carter nur mit Mühe gelungen, seinem Geldgeber Lord Carnarvon eine sechste und letzte Saison abzuschwatzen. Der britische Grabungsleiter legt also frühmorgens das kurze Stück vom Haus am Eingang des Tals der Könige zu seinem Arbeitsplatz zurück. Doch an diesem Tag ist alles anders: Aufgeregte Arbeiter berichten, man habe eine in den Felsen gehauene Stufe freigelegt, die sich bald als Beginn einer Treppe zum Eingang eines Grabes entpuppt. Am amtlichen Siegel der thebanischen Totenstadt erkennt Carter sofort, dass dahinter eine hochrangige Persönlichkeit bestattet wurde. Er stößt ein Loch in die Tür, führt eine Lampe hinein und erblickt einen bis zur Decke mit Geröll gefüllten Gang.
Tags darauf schickt er vom Carter House aus ein Telegramm nach Highclere Castle, dem südenglischen Wohnsitz seines GeldgebersLord Carnarvon (bekannt aus der Kultserie Downton Abbey): „Habe endlich wunderbare Entdeckung im Tal gemacht; ein großartiges Grab mit unbeschädigten Siegeln; bis zu Ihrer Ankunft alles wieder zugedeckt. Gratuliere!“
In der Legende rund um die Entdeckung des Grabes von Tutanchamun spielen ein Esel, Wasserkrüge und ein Bub aus der berühmtesten Grabräuberfamilie die Hauptrollen. Und sie geht so: Am Morgen des 4. November 1922 kam Hussein Abdel – Spross aus der legendären Grabräuberfamilie Rasul – wie jeden Morgen zur Grabung – mit seinen Tonkrügen, die mit Schnüren auf dem Rücken eines Esels festgezurrt waren. Carters Reis (Oberaufseher) hatte den Buben angestellt, um die Grabungsarbeiter mit Wasser zu versorgen.
Ehe Hussein die vollen Wasserkrüge sicher auf den Boden setzen konnte, musste er Vertiefungen in den Boden hacken, damit die spitzbodigen Gefäße nicht umfielen. Als er so vor sich hin grub, erzählt man sich bis heute in den Dörfern rund um die Königsnekropole, stieß er plötzlich auf eine flache Steinplatte - die erste Stufe der Treppe, die ins Grab hinabführte.
Das Bild oben zeigt den jungen Rasul mit einer kostbaren Kette, die 1924 in Tutanchamuns Schatzkammer gefunden worden war. Dass der Junge sie für das Foto umlegen durfte, kann nur Carter erlaubt haben, weshalb manch einer davon ausgeht, dass an der Legende was dran sein könnte.
Dabei schien die Zeit der großen Entdeckungen im Tal der Könige längst vorbei. Drei Jahrtausende hatten hier zahllose Interessierte gegraben: Grabräuber, Priester, Wissenschafter. Jedes Sandkorn, könnte man meinen, war bereits mehrfach gesiebt worden. Carter kommentierte später, „dass wir entschieden Hoffnung hatten, das Grab eines bestimmten Königs zu finden, und dieser König war Tutanchamun.“
Die Tragik dabei: Bereits 1917 war Carter ganz nahe dran gewesen. Damals untersuchten seine Arbeiter das Gelände um das Grab Ramses‘ VI.
Wer die riesige Ruhestätte, die sich an die von Tutanchamun schmiegt, heute besichtigt, kann gut nachvollziehen, was passiert sein muss: „200 Jahre nach Tutanchamuns Tod bauten Ramses V. und VI. etwas oberhalb seines Grabes“, berichtet der ehemalige Leiter des Grand Egyptian Museum und Ägyptologe Tarek Tawfik. „Kurz davor muss es meines Erachtens nach einen Sandsturm gegeben haben, der teilweise den Zugang zum Grab eingesandet hatte. Danach kam der Schutt vom Grab Ramses V. und VI. dazu. Zuletzt haben dann noch die Arbeiter ihre Lehmhütten direkt über den Eingang gebaut. Daher ist später nie jemand darauf gekommen, dass hier ein königliches Grab liegen könnte“, denkt der Tutanchamun-Experte.
Peu à peu gab der Sand dann aber Stücke frei: 1905 einen Fayencebecher mit dem Namen Tutanchamun, zwei Jahre später Tongefäße mit Leinwandbündeln. 1917 entdeckte Carter sogar die Hütten der Arbeiter – eigentlich ein untrügliches Zeichen für die Nähe eines Grabes. Doch weil das benachbarte viel besuchte Ramessiden-Grab für Touristen zugänglich bleiben musste, ließ der Ägyptologe woanders weitersuchen.
Die Schwierigkeit dabei: Carter und Carnarvon sahen sich einem künstlichen Schuttgebirge von entmutigendem Ausmaß gegenüber. Seit den Zeiten eines Giovanni Belzoni, der im Tal der Könige bereits gut 100 Jahre vor Carter die Gräber von Ramses I., Sethos I. und anderen leer geräumt hatte, waren hier Dutzende Ausgräber zugange gewesen. Keiner hatte Aufzeichnungen hinterlassen. Carter blieb nichts anderes übrig, als alles zu durchforsten.
Grabräuber
Letztlich ist die Entdeckung des Grabes aber ausgerechnet Plünderern zu danken. Ägyptologe Tawfik: „Kurze Zeit nach dem Begräbnis Tutanchamuns gab es den Versuch, das Grab zu plündern. Die Grabräuber wurden überrascht, und die Nekropolen-Wächter haben das Grab wieder versiegelt. Dieses Siegel haben wir, und es wird auch im neuen Grand Egyptian Museum ausgestellt.“ Gleichzeitig seien den Grabräubern aber Stücke heruntergefallen. „Und die fand Howard Carter. Darum wusste er, dass hier das Grab des Tutanchamun lag. Der Name war nicht so bekannt.“
Er suchte nach einem Phantom.
Unterdessen dauert es fast drei Wochen, bis Lord Carnarvon mit seiner Tochter Evelyn in Luxor eintrifft. Carter kann in dieser Zeit vor Aufregung kaum schlafen.
Als die beiden da sind, macht sich Carter daran, die versiegelte Tür zu öffnen. Hinter einem 7,6 Meter langen Gang stößt er auf eine zweite versiegelte Tür. Lord Carnarvon konnte die Ungewissheit nicht länger ertragen und fragte: „Können Sie etwas sehen?“ Alles, was Carter herausbrachte, war: „Ja, wunderbare Dinge!“.
Grabräuber waren zwar auch hier gewesen, hatten aber nur einen Bruchteil der Kostbarkeiten entwendet.
Howard Carter (1874–1939) war das jüngste von elf Kindern und kam in London als Sohn eines Zeitungsillustrators und Malers zur Welt, von dem er auch sein zeichnerisches Talent geerbt hatte. Dazu kam ein unbändiger Forscherdrang. Schon mit 17 gehörte er als Zeichner zum Team von Percy Edward Newberry, einem Botaniker und Ägyptologen, der ihn mit an
den Nil nahm. Bald schloss er sich dem berühmten Archäologen Sir William Matthew Flinders Petrie
an, für den Carter Zeichnungen des Tempels der Hatschepsut anfertigte. Petrie brachte ihm bei, nach modernen wissenschaftlichen Methoden zu graben. 1899 wurde Howard Carter Chefinspektor der Antikenbehörde in Oberägypten. Mehrere wichtige Entdeckungen im Tal der Könige inklusive – das Grab Thutmosis IV., der Hatschepsut und das der Großeltern Tutanchamuns.
1909 traf er auf George Herbert, 5. Earl of Carnarvon, kurz Lord Carnarvon (1866–1923). Der britische Sammler überwinterte regelmäßig in Luxor, ab 1906 ließ er auch graben. Bald erkannte er, dass ihm die nötigen Fachkenntnisse fehlen. Er engagierte also Carter als Grabungsleiter. Ihre Wege sollten sich bis zu seinem Tode nicht mehr trennen. Im November 1922 gelang den beiden der Fund ihres Lebens, das Grab des Königs Tutanchamun. Carnarvons Tochter, Lady Evelyn Herbert (1901–1980) nahm ebenfalls an den Ausgrabungen teil und soll mit Carter ein romantisches Verhältnis gehabt haben, was ihr Vater missbilligte.
Im Februar 1923 wurde Carnarvon von einem Moskito gestochen und ritzte sich den Insektenstich beim Rasieren versehentlich auf. Die Folge war ein Infekt, an dem er am 5. April starb.
Howard Carter überlebte ihn um 16 Jahre: 1939 starb er – zeitlebens unverheiratet – fast vergessen in London.
Sofort vermutet Carter weitere Kammern dahinter, entschließt sich aber, langsam vorzugehen: Er verzeichnet die Lage jedes einzelnen Stückes, stockt seine Aufrüstung auf und holt den Rat und die Hilfe von Kollegen ein – darunter der Fotograf Harry Burton. Aus Amerika herbeigerufen, wird er rasch Auge und Gedächtnis Howard Carters. Am 18. Dezember 1922 macht er in der Vorkammer die ersten Übersichtsaufnahmen.
Die Männer, die unser Bild von Tutanchamun prägten und sicherstellten, dass seine Schätze gezeigt werden können
Ein goldener Thronsessel, Alabastervasen, bizarre Tierköpfe: Am 18. Dezember 1922 hält der Fotograf Harry Burton die ersten Grabbeigaben mit seiner Kamera fest. Nachdem Howard Carter das Grab entdeckt hatte, stand er vor der gewaltigsten Dokumentationsaufgabe, der sich je ein Archäologe hatte stellen müssen. Er schickte also ein Telegramm nach New York an das Metropolitan Museum of Art, das für seine exzellente Aegyptica-Sammlung bekannt war, und bat um Unterstützung. „Erfreut, in jeder Weise zu helfen“, lautete die Antwort. Man bot Carter die Dienste des Hausfotografen Burton „und jeden anderen unseres Stabes“ an.
Und so unterstützte Arthur Mace, selbst Ausgräber und Kurator am Metropolitan Museum of Art, Carter bei der Freilegung und Dokumentation des Grabes. Der Ingenieur Arthur
Callender war für komplizierte Logistik, etwa beim Zerlegen der Sargschreine, zuständig. Percy Newberry, Professor für Ägyptologie in Liverpool, kümmerte sich um die botanischen Überreste. Alan H. Gardiner übersetzte die Hieroglyphen in Tuts Ruhestätte. Der Chemiker und Konservator Alfred Lucas schließlich sorgte erst dafür, dass die Grabbeigaben ausgestellt werden konnten.
Von Carters Mitarbeitern der ersten Stunde waren 1932 nur noch Lucas und Burton dabei. Letzterer hatte 14.000 Negative belichtet, 2.800 allein im Grab und wurde so zu Carters Auge und Gedächtnis.
Das Team beim Mittagessen im Grab von Ramses IX.
Mace und Lucas im Labor - dem umfunktionierten Grab von Sethos II.
Archäologe Mace nimmt mit Chemiker Lucas die königliche Staatskarosse in Augenschein
Mitte Februar 1923 notierte Carter dann, dass die Arbeiten in der Vorkammer beendet sind: „Jeder Zoll des Bodens war gekehrt und nach der letzten Perle durchsiebt worden. Die Vorkammer war nun vollständig ausgeräumt und leer. Endlich waren wir so weit, das Geheimnis der versiegelten Tür zu lösen.“ Man hat Freitag, den 16. Februar, als den Tag der Tage festgesetzt.
Um 14 Uhr treffen sich Carnarvon, seine Tochter, Carter und etwa 20 weitere Personen vor dem Grab.
„Dort vor uns war die versiegelte Tür, und wenn wir sie jetzt öffneten, so würden wir Jahrtausende überbrücken“, schrieb Howard Carter später über diesen Augenblick. „Wir würden uns in Gegenwart eines Königs befinden, der vor 3.000 Jahren herrschte. Meine Gefühle waren seltsam gemischt und meine Hand zitterte, als ich den ersten Schlag führte.“ Howard Carter benötigte etwa zehn Minuten, um für seine Lampe ein kleines Loch zu bohren. „Als meine Augen sich an das Licht gewöhnten, tauchten bald Einzelheiten im Inneren der Kammer auf.“ Carter später: „Sicher hatte man nie vorher in der ganzen Geschichte von Ausgrabungen so Großartiges geschaut, wie es uns jetzt das Licht unserer elektrischen Lampen enthüllte.“
Wand aus Gold
Die Entdecker sahen auf eine Wand aus Gold, die sich als der kostbarste Totenschrein entpuppte, den je ein Forscher entdeckt hatte. „Es war ohne Zweifel die Sargkammer, in der wir standen. Vor uns türmte sich einer der großen vergoldeten Schreine auf“, ist im Originalbericht nachzulesen. Er fülle die ganze Kammer bis zur Decke aus. An den Seiten blieb gerade mal ein Spalt von 65 Zentimeter bis zur Wand. „Allen glänzten die Augen.“
Als sie drei Stunden später wieder ans Tageslicht kommen, erscheint Carter „das Tal verändert und in einem besonderen Licht“.
Eigenhändig schleppen Carter und Carnarvon Götterstatuen, Betten und die Staatskarosse des Pharaos aus der Grabkammer. Auch den Abtransport kontrolliert er. Bereits drei Monate später rollen die ersten 34 dick mit Baumwolle gepolsterten Packkisten auf den wackeligen Wägelchen einer händisch betriebenen Feldeisenbahn Richtung Nil. Fortan wird sich am Ende jeder Grabungssaison ein Konvoi aus dem Tal der Könige bewegen.
Knochenarbeit: Carter und Mace beim Öffnen des Grabes
Ohne Unterlass kommen Jahrtausende verschollene Objekte ans Tageslicht
Abtransport 1923: Packkisten auf wackeligen Wägelchen einer Feldeisenbahn
Zweiklassengesellschaft: Carnarvon und Gäste bequem im Wagen, der ägyptische Arbeiter außen vor
Bei all ihrer Begeisterung: Mit einem hatten die Ausgräber nicht gerechnet – mit der überwältigenden Resonanz in der Weltöffentlichkeit. Fachkollegen, Medienvertreter, neugierige Touristen, darunter auch berühmte, wie die belgische Königin Elisabeth oder der ägyptische König Faruk, strömen in Scharen herbei. Der scheue Carter muss die Arbeit im Grab wegen des großen Andrangs immer wieder unterbrechen und bangt um die kostbaren Fundstücke. Den gesellschaftlichen Verpflichtungen entzieht er sich sowieso.
Ganz anders Geldgeber Carnarvon – der eilt von Empfang zu Empfang, hat aber, um seriöse Berichterstattung zu gewährleisten, einen Exklusivvertrag mit der London Times angeschlossen – sehr zum Ärger der übrigen Presse.
So oder so bricht in Europa und den USA eine regelrechte Tutmania aus, ein aktueller Schub des seit Napoleons Feldzug grassierenden Altägypten-Fiebers.
Schon kurz nach der Öffnung der Grabkammer wird Lord Carnarvon von einem Moskito gestochen, ritzt sich beim Rasieren den Insektenstich auf und zieht sich eine Infektion zu. Ausgelaugt von seinen gesellschaftlichen Verpflichtungen, stirbt der 57-Jährige am 5. April 1923.
Die nächsten Monate sind von Streitigkeiten mit der Regierung gekennzeichnet, worauf Carters Team in Streik geht. Die Reaktion der Ägypter: Das Grab wird geschlossen.
Trotz fortgesetzter Zwistigkeiten über die Besucherschar, die Pressearbeit und die Beaufsichtigung durch einen ägyptischen Inspektor (heute gängige Praxis), setzt Carter seine Arbeit im Oktober 1923 fort.
Im Jänner 1924 entsteht schließlich jenes Foto, auf dem Carter vor der offenen Tür des zweiten Schreins kniet und erwartungsvoll hineinblickt. Im vierten Schrein stoßen die Forscher schließlich auf den Sarkophag, der wiederum drei Särge birgt, der letzte aus massivem Gold.
Alles das wird von Harry Burton dokumentiert.
Der Hausfotograf des Metropolitan Museum of Art in Manhattan gehört mit elf weiteren Spezialisten zum Kern der Ausgrabungsmannschaft. In einem Essay für die New York Times schreibt er: „Wenige Menschen erkennen die Wichtigkeit der Fotografie bei der archäologischen Spurensuche, aber ohne sie wäre vieles Bedeutende vollständig verloren, und manche Details wären niemals aufgefallen.“ Carter selbst schreibt: „Das Wichtigste war die Fotografie.“
Meister seines Faches
Der Chef – oft aufbrausend und schwierig – toleriert, dass Burtons Arbeit den Fortgang der Ausgrabungen oft für Stunden oder Tage verzögert. Der Fotograf pendelt mit seinen beiden ägyptischen Assistenten nun ständig zwischen Königsgrab, seinem Laboratorium im Grab von Sethos II. und einer behelfsmäßigen Dunkelkammer im benachbarten Grab Nr. 55.
Dabei bereitet die Entwicklerflüssigkeit, die konstant kühl gehalten werden muss, Schwierigkeiten: Die Temperaturen im Tal der Könige bringen die Gelatine auf den Platten zum Schmelzen. Trotzdem ist Burton ein Meister seines Faches.
Bei früheren Ausgrabungen hat er eine Technik entwickelt, die es ihm erlaubt, ohne Blitz zu arbeiten: Mit einem großen Spiegel fängt ein ägyptischer Assistent draußen vor dem Grab das Sonnenlicht ein und leitet es ins Innere – über eine Distanz von mehr als 30 Metern. Oft müssen sogar ein zweiter, manchmal gar ein dritter Assistent mit weiteren Spiegeln Licht in den zu fotografierenden Raum bringen. Dort wirft ein mit Silberpapier umwickelter Reflektor es dann auf das Zielobjekt.
Painting with light“
Weil der Reflektor ständig bewegt wird, ist die Ausleuchtung sehr gleichmäßig – die Fotos der Objekte sind ungewöhnlich scharf und nahezu schattenfrei. „Painting with light“ nennt Burton diese Technik. Die goldene Totenmaske des jungen Königs wird eines von Burtons berühmtesten Motiven. Eigentlich sind Reflexionen auf dem hochpolierten Metall unvermeidlich. Als Burton aber beobachtet, wie die Konservatoren in ihrem mobilen Labor eine dünne Schicht warmes Paraffin auf die Maske des Tutanchamun auftragen, um die Lapislazuli-Intarsien zu festigen und Trübungen im Metall zu entfernen, erkennt er seine Chance. Er drückt ab und zauberte so aus einer toten Maske ein beinahe lebendiges Gesicht.
Als die Forscher im Oktober 1925 die Goldmaske entfernen wollen, erleben sie die einzige Enttäuschung ihrer Grabung: Ein Übermaß an Salböl hat die Mumie zu einer harten pechschwarzen Masse verklebt und regelrecht mit dem Sarg verschmolzen. Nüchtern notierte der Wissenschafter Carter: „Das verfestigte Material musste unter Gliedern und Rumpf weg gemeißelt werden, bevor es möglich war, die Überreste des Königs herauszuheben“. Lediglich die Füße und die Goldmaske über dem Gesicht sind von der schwarzen Masse frei.
5.398 Objekte
Zehn Jahre lang wird Howard Carter damit beschäftigt sein, seinen Fund zu dokumentieren und ins Museum nach Kairo zu verfrachten. Zehn Jahre wird er – assistiert von einer Reihe hervorragender Fachleute – in der dunklen Grabkammer arbeiten, als wäre er sein eigener Gefangener. Jedes der 5.398 offiziell verzeichneten Objekte erhält von ihm eine Nummer, wird fotografiert und beschrieben.
Jeder andere Archäologe hätte die Aufgabe wahrscheinlich in viel kürzerer Zeit absolviert. Doch:
Carter hat – trotz all der Probleme, die er hatte – eine hervorragende wissenschaftliche Arbeit geleistet.
Und diese penible Arbeit erleichtert folgenden Wissenschafter-Generationen die weitere Erforschung des Schatzes. Denn: Tutanchamuns Grabkammer ist die einzig ungeplünderte unter 64 bisher entdeckten. Sie ist eine äußerst wertvolle Quelle für das Verständnis des Alten Ägypten.
Tutanchamuns Rolle
Anders als viele andere Forscher glaubt der Ägyptologe Tarek Tawfik nicht, dass Tutanchamun ein unwichtiger König war: „Ganz im Gegenteil. Tutanchamun hat eine sehr wichtige Rolle gespielt. Er war keineswegs unbedeutend, denn durch ihn kamen der Gott Amun und seine Priesterschaft wieder an die Macht. Das lässt sich an vielen Artefakten im Grab sehr schön nachvollziehen.“ Dieser junge Mann sei wahrscheinlich von den Priestern des Amun richtig missbraucht worden, um den Amunkult wieder zu positionieren, glaubt Tawfik.
Tutanchamun wurde wahrscheinlich in Amarna, der Stadt des Echnaton, als Tutanchaton geboren. Sein Vater hatte alle Götter zugunsten Atons verbieten lassen, starb aber bald. Tutanchaton (er nannte sich erst später Tutanchamun) kam mit acht Jahren an die Macht „und es scheint, dass die Macht der Amunpriester seit dem Beginn seiner Herrschaft ständig zugenommen hat, bis er den Amunkult wieder einführte“, sagt Tawfik.
„Ich glaube, sein Grab war sehr reich ausgestattet. Und, dass der Bestattungszug des Königs groß zelebriert wurde, um zu zeigen, dass die alten Riten und das alte Gedankengut wieder da sind. Es war sehr wahrscheinlich ein richtiges Event.“
Damit widerspricht der ehemalige Leiter des Grand Egyptian Museum letztlich auch dem Entdecker des Grabes von Tutanchamun, der einmal meinte: „Soweit unsere Kenntnisse heute reichen, können wir mit Gewissheit sagen, dass das einzig Bemerkenswerte in seinem Leben darin bestand, dass er starb und begraben wurde.“
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