100-Jahr-Jubiläum: Wie ein außerirdisches Eisenmesser im Grab von Tutanchamun landete
Ein mysteriöser Dolch, den es eigentlich gar nicht geben dürfte aus einem Material, das erst viel später erfunden wurde. Könnte Tutanchamuns Messer „außerirdischen Ursprungs" sein?
Ganz nahe trägt er ihn bei sich, an den rechten Oberschenkel geschmiegt. 34 Zentimeter ist er lang, hat einen goldenen Griff und ist reich mit Stein- und Glaseinlagen verziert – der Dolch des Tutanchamun. Kaum ein anderes der 5.398 Objekte, die den jugendlichen Pharao auf seinem letzten Weg begleiteten, geht derart auf Tuchfühlung. Ein Indiz, dass er ihm besonders wertvoll war.
Howard Carter staunte nicht schlecht als er 1925 - drei Jahre nach der Entdeckung des Grabes von Tutanchamun - zur Mumie vorgedrungen war und das mysteriöseste Stück entdeckte.
Tatsächlich ist die Klinge aus einem Material gefertigt, das es damals noch gar nicht hätte geben dürfen: Eisen. In den altägyptischen Brennöfen konnte zwar Bronze aus Kupfer und Zinn hergestellt, aber noch kein Eisen gewonnen werden. Die Öfen konnten die nötigen 1.600 Grad Celsius nicht liefern, sie schafften nur einige Hundert.
Wie also war das möglich?
Tutanchamun bestieg 1332 v. Chr. mit neun Jahren als einer der letzten Könige der 18. Dynastie den Thron. Sein Vater war der "Ketzerkönig" Echnaton, seine Stiefmutter Nofretete. Die bedeutendste Leistung unter seiner Herrschaft war die Abkehr von den radikalen religiösen Reformen seines Vaters, die das Land destabilisierten. Daher bereiteten ihm die wieder erstarkten Amun-Priester auch ein fulminatens Begräbnis.
Vor genau 100 Jahren entdeckte der britische Archäologe Howard Carter schließlich das unversehrte Grab des Tutanchamun mit dem Prachtstücke - einem Dolch aus dem "Metall des Himmels".
Zeitenwechsel, Gegenwart: Vor einigen Jahren machte sich Christian Köberl auf den Weg nach Mainz. Mit im Gepäck hat der österreichische Meteoritenforscher einige der Eisenmeteorite aus der Sammlung des Naturhistorischen Museums Wien; übrigens die größte der Welt. Sein Ziel: die Kollegen vom Römisch-Germanischen Zentralmuseum (RGZM).
Seine Mission: deren Röntgenfluoreszenzgerät auf Meteorit eichen. Denn: Bereits Carter hatte vermutet, dass es sich bei Tuts Dolch um Meteoreisen handeln könnte. „Ordentlich untersucht worden war die Klinge bis dato aber nie, ebenso wie die weiteren Eisenobjekte aus dem Grab des jugendlichen Pharaos“, sagt Katja Broschat, Restauratorin im RGZM.
Über Jahre hatte der Geologe und Geochemiker Köberl versucht, Kontakt zu Ägyptologen zu knüpfen und an Stücke heranzukommen, die im Verdacht standen, außerirdischen Ursprungs zu sein. „Mich hat diese Geschichte schon lange interessiert“, gesteht er im Interview. Man weiß aber, dass Probennehmen beim Schatz des Tutanchamun praktisch unmöglich ist und diese Objekte nie aus Ägypten hinausgebracht werden dürfen.
Schließlich erhielt Christian Köberl den Hinweis, dass die deutschen Kollegen vom RGZM in Kairo an den Grabbeigaben Tutanchamuns arbeiten. Köberl: „Es stellte sich heraus, dass sie bereits einige Analysen gemacht haben“. Ihre Analysestandards waren allerdings nicht up to date, die Ergebnisse nicht wirklich reproduzierbar. Da konnte Köberl helfen. Mithilfe seiner Meteoriten kalibrierte er das Röntgenfluoreszenz-Analysegerät neu und Katja Broschat und ihr Kollege Christian Eckmann rückten Richtung Kairo aus.
Ich bin zu 99 Prozent sicher, dass es sich um einen Eisenmeteoriten handelt.
von Christian Köberl
Meteoritenforscher
Die Ergebnisse ihrer Studie hat das Team aus Archäologen, Archäometern, Restauratoren und Geochemikern aus Deutschland, Ägypten und Österreich 2018 in einem populärwissenschaftlichen Buch mit dem Titel „Himmlisch! Die Eisenobjekte aus dem Grab des Tutanchamun“ (Verlag des RGZM, 22 €) zusammengefasst. Der berühmte Ägyptologe Zahi Hawass sagt darüber: „Diese faszinierende Studie aller Eisengegenstände aus dem Grab des Tutanchamun zeigt, dass es viel mehr als nur Gold gab.“
Heuer im Frühling legten japanische Kollegen nach: Im Fachblatt Meteoritics & Planetary Science beschreiben Takafumi Matsui und Tomoko Arai, wie sie mit Röntgenfluoreszenz den hohen Nickelanteil nachgewiesen haben, der ein Indiz für Meteoreisen sei.
Überraschung: Uhu der Antike
Die eigentliche Überraschung erlebte das Team aber, als es den mit wertvollen Steinen dekorierten Griff der Stichwaffe untersuchte. Der Dekor war – ergab eine chemische Analyse – mit einer kalkhaltigen Masse festgeleimt worden. Ein Rätsel, denn diese Art von Klebemittel war im Alten Ägypten unbekannt. Erst als griechische Herrscher ab dem späten 4. Jahrhundert v. Chr. die Macht im Land am Nil innehatten, brachten sie auch ihr „Uhu“ mit. Fazit der Forscher: Tuts Dolch wurde nicht in Ägypten gefertigt und war womöglich das Geschenk eines fremden Herrschers.
Einen Hinweis auf den Geschenkgeber fanden die Wissenschafter in den sogenannten Amarna-Briefen. Dort wird ein Eisendolch mit einer Scheide aus Gold erwähnt, den der König von Mitanni, Tušratta, Pharao Amenhotep III. schenkte. Und weil Amenhotep III. sehr wahrscheinlich Tutanchamuns Großvater und Vor-Vorgänger am Thron war, könnte der Dolch leicht in den Besitz des jungen Herrschers gekommen sein. Experten wissen außerdem, dass in Mitanni, im heutigen Nordsyrien und Nordirak, bereits im 14. Jahrhundert v. Chr. kalkhaltiger Kleber genutzt wurde.
Die alten Ägypter wussten Meteoreisen wohl schon immer zu schätzen. Die ältesten bekannten Funde stammen aus zwei Gräbern der vordynastischen Naqada-Kultur (um ca. 3500 v. Chr.) aus el-Gerzeh – Schmuckperlen aus Himmelseisen. „bia en pet“, wörtlich übersetzt „Metall des Himmels“, nannte man es dann im Neuen Reich.
Begehrt und teuer
Aus Texten weiß man, dass während der Bronzezeit Eisen etwa zehn Mal so teuer wie Gold war. Aufgrund des seltenen Vorkommens wurde Eisen damals vorwiegend zu Kultgegenständen und Schmuck verarbeitet.
Wenig verwunderlich also, dass im Grab von Tutanchamun weitere 19 Eisenmeteorit-Objekte lagen.
„Die deutschen Kollegen haben auch diese Objekte mit dem Röntgenfluoreszenz-Analysegerät gemessen – einen Armreif, eine Kopfstütze und einige Meisel – , und es stellte sich heraus, dass sie ebenfalls meteoritische Zusammensetzung haben“, erklärt Köberl. „Interessant dabei: Es war wahrscheinlich nicht derselbe Meteorit.“
Wobei: Meteoriten zuzuordnen sei gar nicht so einfach. Geochemiker Köberl abschließend. „Um herauszufinden, um welchen Eisenmeteoriten-Typ es sich handelt, braucht es Spurenelement-Untersuchungen. Und das geht nur, wenn man Material vom Tutanchamun-Dolch abkratzen kann. Was die Ägypter nie erlauben würden.“
Eisenmeteorite kommen selten vor. Nur etwa 4,5 Prozent aller Meteoritenfälle sind Eisenmeteorite; dabei handelt es sich zumeist um Fragmente aus dem Metallkern aufgeschmolzener Kleinplaneten. Sie bestehen zu mehr als 90 Prozent aus Nickeleisen, ihre chemische Zusammensetzung variiert aber, was den Mineralgehalt betrifft. So hat jeder eine eigene chemische Signatur.
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