100 Jahre Tutanchamun: So haben sein Blumenkranz und das Grab gerochen

„All die königliche Pracht, all die königliche Herrlichkeit, all der Glanz des Goldes verblasst gegen die armen, verdorrten Blumen, die noch im matten Schein ihrer einstigen Farben leuchteten. Sie sprachen am eindringlichsten von der Flüchtigkeit der Jahrtausende.“ Das notierte Howard Carter beeindruckt in sein Tagebuch, nachdem er den Blumenkranz des Tutanchamun erstmals gesehen hatte. Schon davor – als er in die letzte Ruhestätte des mittlerweile berühmtesten Pharaos vorrückte – berichtete der Ägyptologe, habe es nach Kokos gerochen.

Der junge König der 18. Dynastie regierte der etwa von 1332 bis 1323 v. Chr. und war lange ein Phantom. Erst als Howard Carter im November 1922 im Tal der Könige sein nahezu unversehrtes Grab entdeckte, erlangte er Weltruhm.
Das sei ungewöhnlich, weiß Dora Goldsmith: „Kein Ägyptologe kam bisher auf die Idee, über die Gerüche im Alten Ägypten zu forschen“, sagt die Doktorandin an der Freien Universität Berlin und mutmaßt: „Über Gestank redet man ja nicht so gerne, vor allem als Wissenschafter, denn dann kommt man als unseriös rüber“. Heute gehört sie zu den Pionieren des neuen Forschungsgebietes. „Den Duft des Blumenkranzes von Tutanchamun habe ich bereits rekonstruiert“, erzählt sie und berichtet, dass er ganz besonders gewesen sei:

Ein wenig bitter: Der Geruch von Tutanchamuns Blumengirlande
„Normalerweise bedeckte eine Blumengirlande die Leiche vom Kopf bis zum Fuß und sollte das ewige Leben garantieren. Tutanchamun bekam keine derartige Blumengirlande, sondern einen Kranz, der im Diesseits während Festen verwendet wurde.“
Dattelpalm-Blätter, Schlafbeeren, Blätter und Blütenstände des Selleries sowie Blätter des Ölbaums, Stockrosen, Rittersporn, Kornblumen und blauer Lotos, dazu Fayenceperlen. Ägyptologin Goldsmith meint über den Duft: „Ein bisschen bitter. Ich sag mal so, es ist nicht mein Lieblingsduft, aber ich stelle auch nicht den Geschmack von Tutanchamun infrage.“

Ein Hauch von früher: Der Duft der Mumiengirlande, rekonstruiert von Dora Goldsmith
Stattdessen analysiert sie auch „Geruchslandschaften“: Tempel, Gärten, den Duft der Liebe – und eben Gräber. „Man fokussiert sich an bestimmten Orten nicht auf das, was man sieht, sondern das, was man riecht“. Carter selbst habe mehrere Düfte beschrieben. Gleich an drei Stellen spricht er von Kokosnuss-Geruch. Goldsmith: „Die Kokosnuss muss ein ganz starker olfaktorischer Eindruck für ihn gewesen sein“. Das sei deshalb interessant, weil es in Ägypten keine Kokosnüsse gab. Aus Gesprächen mit Chemikern weiß die Forscherin mittlerweile, dass sich die Duftstoffe mit den Jahrtausenden chemisch so veränderten, dass sie heute nach Kokosnuss riechen.
Geruchslandschaften
Mittlerweile hat Goldsmith auch den Duft der Einbalsamierung rekonstruiert. Texte beschreiben das Ritual, inklusive verwendeter Düfte. Archäologische Grabungen ergänzen ihr nase-weises Wissen: Flechte, Sägespäne von Koniferen, Myrrhe, Weihrauch, Wacholderbeeren und Harze von Mastix, Kiefer und Zeder dominieren. „Manchmal findet man auch Zwiebelschalen oder Knoblauch an den Mumien. Trotzdem riecht es sehr gut und sauber.

Der Duft der Einbalsamierung
Howard Carter habe ebenfalls einen starken, aber angenehmen holzartigen Duft im Grab festgestellt. „Tutanchamun hat als König sicher die beste Art der Einbalsamierung bekommen, die auch am besten roch“, ist die Duftexpertin überzeugt. „Außerdem war die Technik der Einbalsamierung im Neuen Reich auf dem Höhepunkt.“
Duftsammelsurium
Einbalsamierung, Sarg und Blumengirlanden, dazu: Alles, womit der Pharao begraben wurde, verschmolz zur Duftlandschaft Grab. Im Fall von Tutanchamun waren das literweise Parfums, Kräuter, Essen, Brot, Kuchen, Fleisch, frisches Obst, Gemüse und und und. „Ehe man das Grab verschlossen hat, wurde natürlich auch noch geräuchert. Das diente der Reinigung.“

Expertin für Duftarchäologie: Dora Goldsmith
36 Jahre jung und in Ungarn geboren, hat Goldsmith Ägyptologie und Archäologie studiert. Ein Kurs über „Archäologie der Sinne“ brachte sie auf die richtige Fährte: Sie spezialisierte sich auf Duft-Archäologie, das Riechen im Alten Ägypten, und rekonstruiert heute das Bouquet vom Nil, darunter Kleopatras Parfum.
Goldsmith nutzt die antiken Quellen auch, um die alten Parfums wiederherzustellen – in Duftworkshops.
Übrigens: Die Blumen im Grab des jungverstorbenen Königs waren nicht nur Deko, sondern tief im Glaubensregime der Alten Ägypter verwurzelt: „Sie dienten dazu, den Verstorbenen wieder zum Leben zu erwecken. Darum hatten sie einen starken Duft der lebenden Natur, den die Ägypter mit Erneuerung assoziierten“, sagt Goldsmith. „Auch die Farben spielten eine wichtige Rolle – es waren starke, lebendige Farben mit viel Grün. Denn das steht für Erneuerung.“
Heute stehen die Blumen für Erkenntnis: Anhand ihrer Blütezeit ließ sich das Bestattungsdatum auf Mitte März bis Anfang Mai eingrenzen. Und weil Tutanchamuns Leichnam vor der Beisetzung ein idealerweise 70-tägiges Einbalsamierungsritual durchlief, darf man auf einen Todeszeitpunkt zwischen Ende Dezember 1324 und Mitte Februar 1323 v. Chr. schließen.

Die Geschichte oben stammt aus dem aktuellen KURIER-History-Magazin "100 Jahre Tutanchamun" und enthält noch viel mehr exklusive Storys über den berühmten Pharao.
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