100-Jahr-Jubiläum: Wo Tutanchamuns Goldmaske gefertigt wurde

100-Jahr-Jubiläum: Wo Tutanchamuns Goldmaske gefertigt wurde
„Das ist der wichtigste Fund seit der Entdeckung des Grabes von Tutanchamun,“ sagt Ägyptologe Zahi Hawass und gewährt eine exklusive Audienz auf der spannendsten Grabung Ägyptens.

„I am going to be in luxor on the 7th of  September. I can meet you at the golden city around 7 am“ („Ich werde am 7. September in Luxor sein. Ich kann Sie um ca. 7 Uhr früh in der Goldenen Stadt treffen“). Der 75-jährige Wissenschafter kommuniziert fast ausschließlich via Whatsapp. Überflüssige Worte sind seine Sache nicht. Zeit vergeuden auch nicht: Gerade sechs Tage bleiben Zeit, um alles für die Recherchereise zu organisieren.

Nach monatelangen Bemühungen hat der berühmte Ägyptologe Zahi Hawass zugestimmt, dem KURIER als erstem Medium eine exklusive Führung durch seine jüngste Entdeckung zu gewähren – die Goldene Stadt  nahe Luxor. Erbaut von Tutanchamuns Großvater, Amenhotep III., wurden dort die meisten Artefakte aus dem Grab des jungen Pharaos angefertigt, versichert zumindest  Hawass.

Lokalaugenschein

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Arbeiter in traditionellen Gewändern schieben bunte Scheibtruhen über den Wüstenboden

Kurz vor sieben Uhr früh herrscht an der  Westbank von Luxor einen Steinwurf von den Memnonkolossen entfernt bereits hektischer Betrieb. Es ist gut eine Stunde nach Sonnenaufgang und genauso lange tummeln sich an die 30 Arbeiter in traditionellen grauen, weißen, braunen und beigen  Dschallabijas auf der wohl spannendsten Grabung, die Ägypten derzeit zu bieten hat. Bunte Scheibtruhen werden über den Wüstenboden geschoben, Hacken geschwungen und Tongefäße in unfassbarer Zahl aus dem Staub gegraben.
„Arak-Arak!“  (bei uns würde es wohl „Gemma-Gemma“ heißen), ruft der Vorarbeiter den anderen zu. Die Luft knistert vor Anspannung und Erwartung: So müssen sich Besucher vor 100 Jahren gefühlt haben, wenn sie Howard Carter beim Suchen nach Tutanchamun beobachtet haben. Etwa eine Stunde später ist auch Zahi Hawass, der Herr über die Expedition, da und nimmt unter einem der beiden Sonnenschirme Platz.

Ägyptens berühmtester Archäologe gewährt dem KURIER-History-Magazin eine exklusive Audienz, betrachtet – den Indiana-Jones-Hut immer auf dem Kopf – das Treiben und lässt sich Bericht über den Fortgang der Grabung erstatten.

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Hawass (rechts) gibt den Tagesbefehl aus

Seit 2020 forscht der berühmteste lebende Ägypter, der auch schon Antikenminister war, hier – in „seiner“ Stadt, wie er die gut erhaltenen Siedlungsreste aus Nilschlammziegel mit Vorliebe nennt. Eigentlich hat er  nach dem Totentempel von Tutanchamun Ausschau gehalten, erzählt er. „Und weil hier bereits früher zerbrochene Statuen des Königs gefunden worden waren, kam ich, um es nochmals zu versuchen.“
„Wir begannen also zu graben. Und fanden ein Haus und dann noch eines. Wir wussten zwar, dass es eine Stadt namens Tjehen-Aton (Lichtglanz des Aton/Sonnengott), erbaut von Amenhotep III. (dem Großvater von Tutanchamun), gegeben hatte, waren aber nicht sicher, ob sie tatsächlich existiert hat.“

Jetzt steht fest: Sie hat!

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Was geblieben ist: Die Stadt von Amenhotep III.

Was damals passiert ist

Um zu verstehen, warum Ägyptologen jubilieren, seit  in Luxor der Fund der Stadt  bekannt gegeben wurde, müssen wir uns  3.400 Jahren zurückversetzen: Damals gab der Sohn von Amenhotep III., Amenhotep IV., seine Religion und seine Hauptstadt in Theben (dem heutigen Luxor) und damit auch Tjehen-Aton auf: Er stampfte  flussabwärts eine neue  Stadt  – Achet-Aton (Amarna) – aus dem Wüstensand, wo er mit  seiner Frau Nofretete lebte und die Sonne verehrte. Er änderte  seinen Namen von Amenhotep IV. in Echnaton („der nützlich ist für Aton“).

Ketzerkönig

Während seiner 17-jährigen Herrschaft stellte er die ägyptische Kultur und Kunst auf den Kopf. Nach seinem Tod wurde Sohn  Tutanchamun Herrscher über Ägypten, kehrte dem  umstrittenen Vater den Rücken und kam hierher zurück.

In der nun entdeckten Siedlung,  die  Echnaton von seinem Vater Amenhotep III. geerbt hatte, könnten sich Hinweise verbergen, was damals passiert ist, hoffen die Forscher. Die Stadt war genau in dieser spannenden Epoche gebaut worden – als nämlich die Verehrung des Sonnengottes aufkam, alle  anderen Götter verboten wurden und der Monotheismus erfunden wurde.

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Der wahre Chef: Rais Ali betrachtet sein Reich

Das hier ist ein ganz besonderer Platz.

von Ali Farouk El Quftawi

Oberaufseher der Grabung

Ali Farouk El Quftawi, der Rais (Oberaufseher)  der Grabung, muss es wissen: Schon sein Urgroßvater, sagt er, war Ausgräber unter Sir William  Flinders Petrie, dem Begründer der ägyptischen Archäologie. Er selbst gehe seit 40 Jahren seiner Berufung, dem Graben, nach, erzählt er weiter, ehe er  gastfreundlich Tee servieren lässt.

Plötzlich schreit Ali Befehle Richtung Grabung –  den weißen Turban auf dem Kopf und den Gehstock lässig als Deko quer über den Rücken. Der Mann am anderen Ende des Feldes bewegt sich zu langsam für den Rais, scheint es. „Ja, er ist der wahre Chef, ohne Rais Ali geht gar nichts“, lässt Ahmed Nasseh lächelnd wissen. Dabei ist eigentlich er der Chef(-Ausgräber). „Unter Dr. Hawass“,  beeilt sich der junge Ägypter klarzustellen.

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Interview mit dem berühmten Wissenschafter

Mittlerweile heizt die Sonne vom wolkenlosen Himmel. Es ist unerträglich heiß und dreiviertel zehn. Die „Arak-Arak-Rufe“  sind lauter und drängender geworden. Noch etwa zwei Stunden werden die Leute arbeiten.

Hawass hat unterdessen ansatzlos mitgeteilt, dass er jetzt zu seiner anderen Grabung ins wenige Kilometer entfernte Tal der Könige muss. Dort sucht er nach dem Grab der Nofretete. „Ihr könnt warten!“ Weg ist er.

Rundgang mit dem Chef

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Flinken Schrittes schlängelt sich der 75-Jährige durch die etwa 3.400 Jahre alten Wellenmauern. Der KURIER hinterher

Vorher hat er uns aber noch herumgeführt: „Hier haben wir einen Verwaltungsbezirk, da einen Wohnbezirk und dann natürlich die Schmuck-Werkstätten.“ Flinken Schrittes schlängelt sich der seit Mai 75-Jährige durch die etwa 3.400 Jahre alten gut 50 Zentimeter hohen Wellenmauern.

Ich bin überzeugt, dass die Goldmaske des Tutanchamun in einem der Handwerksbetriebe hier gemacht wurde. Wir haben das Ausgangsmaterial entdeckt.

von Zahi Hawass

Ägyptologe

„Wir sind sicher, dass die meisten Artefakte von Tutanchamun in der Goldenen Stadt angefertigt wurden. Kein Zweifel“, sagt Hawass.

„Dort“ – er zeigt nach links – „war das Viertel mit den Lederwerkstätten. Hier wurden wohl auch die Sandalen von Tutanchamun hergestellt.  Weiters haben wir eine Stoffwerkstatt und eine Schneiderei entdeckt.“ Was ihn so sicher macht? „Überall kamen Werkzeuge zum Vorschein, die zum Spinnen und Weben verwendet wurden. Sogar Nähnadeln und Leder haben wir entdeckt.“
Mehr als 1.000 Artefakte hat sein Team bereits sicher gestellt – Amulette der Königin Teje (Tuts Großmutter), eine Statue Nofretetes (Tuts Stiefmutter), einen großen mit Gold überzogenen Fisch. Auch unzählige Modeln für die Herstellung der Amulette waren dabei.

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Die Ausbeute: Ein goldüberzogener Fisch, Amulette und - Nähnadeln

Besonders wichtig für die Forscher sind aber die unscheinbar grauen Lehmziegel, die zuhauf herumliegen. „Einige tragen den Namen von Amenhotep III.“, sagt Hawass. Damit waren  die Forscher sicher, dass sie sich mit ihrer Grabung mitten in einer der spannendsten Epochen der altägyptischen Geschichte befanden: der Zeit von Großvater und  Vater von Tutanchamun. So oder so könnte der Ort ein Herzstück der Herrschaft der Tutanchamun-Familie gewesen sein. Wenn es irgendwas Neues über diese Dynastie zu entdecken gibt, dann  hier.

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Aussagekräftige Lehmziegel, im Hintergrund: Hawass unterm Sonnenschirm

Verehrt und umstritten

„Das ist der wichtigste Fund, den es in Ägypten seit der Entdeckung des Grabes von Tutanchamun gegeben hat,“ sagt Hawass, über den sein guter Freund Omar Sharif einst meinte: „Er ist ein wunderbarer Schauspieler. “Andere nennen ihn Märchenonkel, einem Urteil, dem Rais Ai nicht zustimmen kann: „Er ist ein guter Mann, und er liebt, liebt, liebt seine Arbeit.“

Genauso wie der zweite Mann nach Hawass. Auch Nasseh wollte immer Ägyptologe werden, erzählt er: „Ich liebe es, Dinge zu entdecken.“ Jetzt schleppt ein Mitarbeiter eine riesige Dokumentationsmappe heran:

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Nasseh berichtet über den Fortgang der Ausgrabung

„Wir sind in der dritten Grabungssaison“, erzählt Nasseh und deutet auf die bereits ausgegrabenen Bereiche. Jeder Werkstattbereich hat seine eigene Farbe bekommen – rot für die Juwelenhersteller, blau für die Ziegelfabrik, lila für die Lederverarbeitung und hellblau für die Textilherstellung.

Tonnen von Keramik

Auch ein riesiger See ist aufgetaucht. Natürlich nur seine dürren Überbleibsel – Unmengen von Keramikresten, die am Grund lagen.

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Ein Endlos-Puzzle, die Keramik von Tjehen-Aton

Derzeit werden die Scherben eingesammelt, erfasst und wenn möglich, wieder zusammengesetzt. Was werden sie damit machen? „Sie studieren“, sagt Nasseh und stellt Ägyptologin Jasmin Asmar vor, die uns sofort  einen vollständig erhaltenen, wunderbar bemalten Krug zeigt: „So etwas gibt es nur in Amarna und hier“.

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Mehr als 3.000 Jahre alt und unversehrt

Mittlerweile steht die Sonne hoch. Die „Arak-Arak“-Rufe sind matt geworden, es geht auf Mittag zu. Plötzlich taucht Hawass wieder auf und erzählt, was es mit den Parallelen von Tjehen-Aton und Amarna auf sich hat: „Echnaton  kümmerte sich nicht um die Menschen. Er war nur an Aton interessiert, verkündete ,Ich werde eine Stadt für meinen Vater bauen‘ und meinte damit nicht Amenhotep III., sondern Aton“.

Die Verehrung des Sonnengottes hatte bereits mit  Amenhotep III. begonnen: „Wir  haben den Namen einfach überall hier gefunden. In den Häusern gab es Bilder, die Aton und seine Verehrung zeigen“, erzählt er.

Machtkampf & Monotheismus

Den mächtigen Priestern des Amun passte es natürlich überhaupt nicht, dass ihr Gott und der restliche Pantheon plötzlich unten durch waren. „Aber Amenhotep III. war ein starker Herrscher, weshalb sie  gegen ihn nichts ausrichten konnten. Im Unterschied dazu war sein Sohn und Nachfolger Echnaton schwach. Darum war er machtlos gegen die Attacken der Amun-Priester.“ Die Folge: Er räumte nach dem Tod seines Vaters mitsamt seinem einzigen Gott Aton das Feld.

„Und er beschloss, die Menschen, die bisher hier gelebt und gearbeitet hatten, nach Amarna mitzunehmen.“ Sie packten also alles ein – persönliche Habe, Werkzeug, Material und zogen stromabwärts. „Vor allem die Künstler mussten mit“, sagt Hawass. Sein Chefausgräber ergänzt:

Viele der Objekte, die wir hier gefunden haben, ähneln jenen in Amarna. Das kann kein Zufall sein.

von Ahmed Nasseh

Ägyptologe

Der Glanz Atons blieb verwaist zurück.

Nach 17 Jahren war der erste monotheistische Anflug der Menschheit vorbei. Echnaton war tot und einige Forscher glauben, dass bereits seine Ehefrau Nofretete als Pharao Semenchkare nach Tjehen-Aton zurückkehrte. Jedenfalls hat Hawass bei seinen Grabungen den Namen in der Stadt entdeckt. „Das ist einmalig“, jetzt klingt selbst er aufgeregt.

Ich glaube wirklich, Semenchkare war Nofretete.

von Zahi Hawass

Ägyptologe

Der Ägyptologe ist sicher, dass er auch Spuren von Tutanchamun finden wird. „Er gab den Amunpriestern ihre Macht zurück und baute ihre Tempel wieder auf.“

Einfache Leute

Tatsächlich scheint die alte Stadt aus dem Neuen Reich gut für weitreichende  Erkenntnisse: „Zwar wurde die Stadt bereits in den 1930er-Jahren entdeckt, aber als nicht interessant eingestuft“, erzählt die österreichische Ägyptologin Irene Forstner-Müller. „Damals war man nur auf Gräber, Schätze und Statuen aus. Nachdem Zahi Hawass sie sich nochmals vorgenommen hat, entpuppt sie sich als überaus spannend.“

Tjehen-Aton dürfte Ägyptens größte administrative und industrielle Siedlung gewesen sein. Hawass: „Alles war für den Tempel und den König bestimmt.“ Langsam verdichtet sich auch das Bild, wie die normalen Menschen dort  gelebt haben. Die Reste von Küchen mit Backöfen und Fleischresten sowie Wohnräume mit Kinderspielzeug erzählen davon.

Forstner-Müller ist von den „wahnsinnig gut erhaltenen Wirtschaftsanlagen“ sehr angetan: „Man hat hier den Verwaltungstrakt eines Palastes, mit dessen Hilfe man nachvollziehen kann, wie der Hofstaat versorgt wurde“, sagt die österreichische Expertin für Stadtarchäologie.

Und auch die deutsche Archäologin Hourig Sourouzian-Stadelmann, die das  Gelände wie ihre Westentasche kennt, kommentierte erst unlängst in der FAZ: „Diese Entdeckung ist umwerfend.“

Und ein Glücksfall. Nur gut 50 cm tief mussten sie buddeln, weiß Chefausgräber Nasseh zu berichten und kommentiert: „Gott liebt Dr. Zahi!“

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