Abgehoben: Warum und wie Zugvögel in die Ferne schweifen
Die Mauersegler sind längst aufgebrochen. Die wendigen Gleiter im Schwalbenformat haben Österreich bereits im Juli Richtung Afrika verlassen. Sie bilden den Auftakt zur alljährlichen Hauptreisezeit am Himmel. Auch die Weißstörche, die teils auf der Ostroute via Ungarn und die Türkei über die Sahara hinaus segeln, teils auf der Westroute die Müllhalden Spaniens ansteuern, sind schon weg; mit ihnen Nachtigall und Klappergrasmücke. Bevor die Saison der gefiederten Wanderer im Spätherbst mit Kranichen und Gänsen zu Ende geht, wird das luftige Verkehrsaufkommen besonders dicht. Zur Zeit sind die meisten Überflieger unterwegs, darunter Schwalben und Singvögel wie Gartenrotschwanz und Buchfink. Abflug, Durchzug, Landung. Auf ihren Rastplätzen lassen sich viele Arten gut beobachten.
„Vogelkundler unterscheiden zwischen Langstreckenziehern, die 5.000 bis 10.000 Kilometer pro Richtung fliegen, und Kurzstreckenziehern, die zwischen 500 und 1.000 Kilometer weit fliegen“, sagt Eva Karner-Ranner von Birdlife Österreich. Die Ornithologin kennt die Überlebenstricks der gefiederten Pendler und die Gefahren, denen sie ausgesetzt sind.
Dichter Flugverkehr
Fünf Milliarden Zugvögel rauschen jährlich zwischen Europa und Afrika hin und her. Weltweit wechseln etwa 50 Milliarden Tiere saisonal ihre Quartiere. In Österreich heben jeden Herbst zwei Drittel aller heimischen Brutvogelarten in wärmere Gefilde mit üppigem Nahrungsangebot ab. Hier wird gebrütet, dort wird der karge Winter überbrückt. Die Rückkehr ist für viele ungewiss. Die Reise ist beschwerlich und gefährlich. Doch wer bleibt, bezahlt bei eisigen Temperaturen erst recht mit dem Leben.
„Zu den Standvögeln, die ganzjährig im Brutgebiet bleiben, und den Teilziehern, von denen nur ein Teil der Population in den Süden zieht, kommen Wintergäste aus dem Norden dazu“, beschreibt Karner-Ranner die Rochaden. Vor allem kleine Singvögel müssen sich für ihre Reise genug Fett anfressen. Setzt die Zugunruhe hormonell bedingt an den kürzer werdenden Tagen ein, brauchen sie bis zu 50 Prozent des eigenen Körpergewichts zusätzlich. Da die Energie rasch verbrannt ist, müssen die Tiere zahlreiche Zwischenstopps einlegen. In der Nacht kommen sie meist besser voran, Hitze setzt den kleinen Körpern mehr zu. Zudem nützen viele Arten die Vorteile des Schwarmes; in der Gruppe ist jedes einzelne Individuum besser vor Fressfeinden geschützt als im Alleingang. Formationsflug sorgt für ein Kräfte schonendes Fortkommen. Großvögel wie Adler setzen dagegen auf den Segelflug. Sie lassen sich von Aufwinden in die Höhe tragen und gleiten dann weit ohne Flügelschlag dahin. An günstigen Thermik-Strömen treffen so mitunter Einzelkämpfer auf Gleichgesinnte.
Orientierung
„Zugvögel orientieren sich nach dem Erdmagnetfeld“, weiß Biologe Andreas Hantschk vom Naturhistorischen Museum Wien. Wie bei Rotkehlchen nachgewiesen, dient ein spezielles Protein in der Netzhaut des rechten Auges als extrem empfindlicher Sensor, der auf die magnetischen Felder zwischen den Polen reagiert. Die Theorie vom Eisenoxid im Taubenschnabel, der die Nervenzellen beeinflusst und damit die Wanderrichtung vorgibt, wird aktuell in Frage gestellt. Fix ist, dass auch genetische Faktoren den inneren Kompass steuern. „Klassisch ist die Vermutung, dass sich Tiere an den Sternen, dem Sonnenstand und am Mond orientieren“, sagt der Museumspädagoge. Nicht zuletzt leiten einprägsame Marken entlang der Hauptverkehrsadern die Migranten.
Klimawandel
„Im Vergleich zu früher habe sich die Strecken vieler Kurzstreckenzieher verkürzt, das belegen die Beringungen“, sagt Vogelkundlerin Karner-Ranner. Mit den individuellen Nummern am Fuß lassen sich die Wanderbewegung jedes einzelnen Tieres nachvollziehen. Beobachtung und Zählungen machen den Klimawandel sichtbar. Viele Wasservögel etwa müssen nicht mehr abheben. Durch die Erderwärmung bleiben manche Gewässer mittlerweile zu jeder Jahreszeit eisfrei. Mit der Sesshaftigkeit fallen denn die Gefahren der Reise über Gebirge, Meere und Wüsten weg.
Gefahren
„Zugvögel sind natürlichen und von Menschen gemachten Risiken ausgesetzt“, sagt die Birdlife-Expertin. Die Zerstörung von Rastplätzen durch Bodenversiegelung bzw. intensive Landwirtschaft setzt den Migranten besonders zu. Verschwinden Haltestellen, die im Vorjahr reichlich Futter und Erholung boten, reichen die Reserven oft nicht für die nächste Etappe. Auch die gezielte Bejagung sowie das Aufstellen von Leimruten, an denen vor allem Singvögel kleben bleiben, dezimieren die Bestände. Darüber hinaus kosten Stromleitungen die Überflieger oft das Leben. Lichtverschmutzung über Städten wiederum lässt die Vögel gegen Glasflächen krachen. Vor Wind und Wetter freilich sind die gefiederten Piloten nie gefeit.
„Unsere Buchfinken sind Teilzieher. Manche bleiben in Österreich, viele fliegen jetzt nach Südeuropa“, sagt Karner-Ranner. Beim Heimflug im Frühling werden sie wie alle anderen Arten Vollgas geben. Ein frühes Comeback sichert die besten Brutplätze.
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