Flugstunden für Vogelwaisen: Wie der Waldrapp gerettet wird

Ein Motorgleitschirm fliegt mit einem Schwarm Vögel über den Wolken.
Küken, die per Hand aufgezogen werden, trainieren für ihren Zug nach Italien. So soll die einst ausgerottete Art wieder heimisch werden.

Die Aufregung in der Nachbarschaft war groß, als sich im Mai ein Waldrapp-Pärchen auf dem Balkon des Telekom-Konzerns Wind Tre in Rom niederließ. Bald stellte sich heraus, dass die beiden Glatzköpfe Weibchen waren. Beringung und GPS-Sender ließen keinen Zweifel an der Identität der beiden Damen mit den männlichen Namen Hannibal und Smudo. Die Irrfliegerinnen – die eine aus menschlicher Obhut, die andere aus freier Wildbahn – kehrten aus ihrem Winterquartier in der Toskana nicht zurück in ihr angestammtes Brutgebiet.

Durch Bejagung ausgerottet

Waldrappe sind von Natur aus Zugvögel. Im 17. Jahrhundert wurden sie als Delikatesse und ihres schillernden Gefieders wegen so intensiv bejagt, dass sie in Europa ausstarben. Vereinzelte Kolonien blieben nur im Nahen Osten und Nordafrika bestehen. Seit Anfang der 2000er-Jahre laufen Artenschutzprojekte, die den gänsegroßen Ibissen ein Überleben aus eigener Kraft ermöglichen wollen – durch Handaufzucht, Flugtraining und Ausrichten des inneren Kompasses.

Umzug

„Die Küken sind mittlerweile ins Salzburger Camp übersiedelt und werden dort auf den Abflug im August vorbereitet“, sagt Regina Kramer vom Tiergarten Schönbrunn. Im Wiener Zoo zieht das Waldrappteam jährlich 30 Küken aus Kärnten auf. Zwei Pflegemütter füttern die Federbällchen altersgemäß mit Brei aus Rinderherz, später mit Ratten, sie streicheln die Vögel, reden und spielen mit ihnen, prägen sie auf ihre Person und die Farbe Gelb. Die Bindung soll so stark werden, dass die Waldrappe mit in die Luft gehen, wenn die Mütter im Leichtflieger unter dem gelben Gleitschirm sitzen – und an Stelle der leiblichen Eltern die Zugrichtung weisen.

Ein Waldrapp mit seinem markanten roten Schnabel vor blauem Himmel.

Waldrappe zählen zu den Ibisvögeln.

Wiedergutmachung

„Anfangs waren wir zu schnell unterwegs. Waldrappe fliegen nur Tempo 40“, sagt Johannes Fritz, Leiter des EU-Projekts zur Wiederansiedlung der Überflieger. Der Verhaltensbiologe bessert ständig nach, was er während des Studiums mit den Vögeln begonnen hat. Nach Jahren des Experimentierens will der 54-Jährige seine Methoden auch für andere Zugvögel anpassen. Zwergblässgans und Kranich könnten etwa Unterstützung brauchen. „Wir haben die Verantwortung, den Schaden, den wir Menschen an der Tierwelt angerichtet haben, wieder gut zu machen“, sagt Fritz.

Lernprozess

Die flügge gewordenen Waldrappe in Salzburg gewöhnen sich derweil an das Fluggerät mit Pilot und Ziehmutter. Die Jungvögel müssen sich mit dem Motorengeräusch vertraut machen und von Fallschirmleinen sowie Propeller fernhalten. Das Training startet mit 5-km-Ausflügen und steigert sich kontinuierlich. Nicht zuletzt wird die Motivation Mitte August über das Gelingen des Umzugs entscheiden. Dann geht es täglich 200 Kilometer südwärts; über die Alpen bis an die Lagune von Orbetello. Zwei Wochen dauert das Abenteuer für das Mensch-Federvieh-Team.

Gefährliche Flugstrecken

„Alle Waldrappe fliegen im ersten Herbst ins Wintergebiet. Sie bleiben zwei bis vier Jahre dort“, sagt Fritz. Bei der Menschen geführten Migration prägen sich die verwaisten Überflieger die Route ein. Bei der Heimreise sind die geschlechtsreifen Tiere auf sich und ihresgleichen gestellt. Stromleitungen, Windräder, Gebäude aus Glas und illegale Bejagung kosten mitunter das Leben.

Die Hälfte des Weges ist geschafft

„Mit der Handaufzucht können wir zu Beginn die Erfolgsquote erhöhen“, sagt Kramer. 40 gesunde Jungtiere sind diese Saison gut unterwegs. „Für eine selbstständige Waldrapp-Population in Europa braucht es 350 Vögel. Wir sind auf halbem Weg“, rechnet Fritz vor.

Hannibal und Smudo tragen heuer nicht zu einer Vergrößerung des Bestands bei. Das gleichgeschlechtliche Paar in der Ewigen Stadt brütete vergeblich. Die vier Eier waren nicht befruchtet.

Kommentare