Vogelsterben: Die beschwerliche Reise der Zugvögel
Romeo hat es geschafft. In weniger als einem Monat legte der Turteltäuberich mehr als 4.000 km zurück und landete sicher in Mali. Während sich der besenderte Überflieger für die Route über Frankreich und Spanien entschied, startete Frieda – eher ungewöhnlich – direttissimo von Nord nach Süd mit Zwischenstopps u. a. in Genua und auf Sardinien.
Ziel der Langstreckenzieherin mit GPS-Chip: die Sahelzone. Der Streifen zwischen Sahara und Savanne ist genauso wie Zentralafrika Winterparadies für unzählige gefiederte Arten.
Nahrungsangebot
Fünf Milliarden Zugvögel pendeln jährlich zwischen Europa und Afrika. Weltweit wechseln etwa 50 Milliarden Tiere saisonal ihre Quartiere. In Österreich heben jeden Herbst zwei Drittel aller heimischen Brutvogelarten in wärmere Gefilde mit üppigem Nahrungsangebot ab. Die Rückkehr ist für viele ungewiss: Nur ein Drittel der Individuen überlebt. Die Reise ist beschwerlich und gefährlich.
„Die Vögel sind über weite Distanzen unter widrigen Bedingungen unterwegs. Sie müssen Gebirge, Meere und Wüsten überqueren“, sagt Matthias Schmidt von Birdlife Österreich. Nicht überall finden die erschöpften Tiere geeignete Rastplätze. Haltestellen, die in den Vorjahren Futter und Erholung boten, verschwinden. Der Mensch zerstört laufend Lebensraum. Wer schon am Start schwächelt, hat so gut wie keine Chancen auf ein Comeback. Weniger fitte Tiere sind den Strapazen nicht gewachsen – und leichte Beute für Fressfeinde.
Alle Piloten sind Hindernissen wie Glas, Gebäuden, Straßenverkehr oder Windrädern ausgesetzt. Auch die Lichtverschmutzung irritiert. Der Großteil der Zugvogelarten nützt die kühle Nacht für große Etappen; Hitze setzt den kleinen Körpern mehr zu. Künstliche Beleuchtung kann sie vom Kurs abbringen. Die Kraft reicht dann mitunter nicht bis zum nächsten Stützpunkt. Auch vor Extremwetterlagen, verursacht durch den menschengemachten Klimawandel, gibt es kein Entkommen. Nicht zuletzt torpediert gezielte Bejagung die erfolgreiche Übersiedlung.
„Durch illegale Abschüsse, Leimruten (an denen Vögel kleben bleiben, Anm.) und Netze werden auf den Ionischen Inseln alljährlich etwa 70.000 Turteltauben getötet“, informiert Garbor Wichmann von Bird Life Österreich. Auch Feldlerche, Singdrossel und Turmfalke sind häufig Zielobjekte. Insgesamt werden jedes Jahr mehr als 25 Millionen Zugvögel illegal getötet. „Jeder Vogel, der dezimiert wird, fehlt in der Population“, sagt Ornithologe Schmidt. So nimmt denn auch der Turteltaubenbestand kontinuierlich ab. Vorige Saison brüteten in Österreich nur 10.000 Paare – um zwei Drittel weniger als vor 20 Jahren.
„Neben dem Verlust von Lebensraum sind Abschuss und Fang bei Turteltauben ein Riesenthema“, bestätigt Schmidt. Egal, ob die Langstreckenzieher die Westroute über Gibraltar oder die Ostroute über Griechenland nehmen, vor Wilderei und Jagdtradition sind sie nicht sicher. Die EU-Vogelschutzrichtlinie erlaubt den Abschuss der kleinen Verwandten der Haustaube in zehn EU-Staaten – darunter auch Österreich.
Schonung
Das Projekt „Flight for Survival“ will bis 2022 die Vogeljagd im Mittelmeerraum um die Hälfte reduzieren. Legale Bejagung soll verboten, gesetzwidrige bestraft werden. „Für Österreich fordern wir eine ganzjährige Schonung der gefährdeten Turteltaube“, sind Wichmann und Schmidt einig. Zugvögel wie Romeo und Frieda wären damit auf ihrem Heimweg zumindest einer Bedrohung weniger ausgeliefert.
Frühling.
Viele Langstreckenzieher verschieben ihren Frühlingszug immer weiter nach vorne und reagieren damit auf den Klimawandel. Dabei ist die Region des Überwinterns wesentlich für den Abflug aus Afrika. Das zeigte eine Studie der Vetmeduni Wien. Die Forscher analysierten dafür die Zugzeiten der 30 häufigsten Arten, die in den vergangenen 18 Jahren auf der Insel Ponza gezählt wurden.
„Als allgemeines Muster konnten wir eine Vorverlegung der Zugzeit beobachten“, erklärt Ivan Maggini: „Allerdings haben die in Nordafrika und der Sahelzone überwinternden Arten ihre Zugzeit stärker nach vorne verschoben als jene Arten, die weiter südlich, in den tropischen Wäldern Zentralafrikas überwintern.“ Noch rätseln die Verhaltensforscher über die Gründe: Entweder verbessern sich die Bedingungen in der Sahelzone zunehmend, sodass die Tiere früher fit für den Aufbruch sind. Oder die Bedingungen entlang der Reiseroute begünstigen einen Turboflug.
Fest steht jedenfalls, dass jene Arten, die früher in Europa landen, Vorteile gegenüber den Spätankömmlingen haben. Der durch den Klimawandel vorverlegte Frühlingsbeginn beschert ihnen und ihrem Nachwuchs reichlich Nahrung. Die Nachzügler dagegen merken nichts von diesen Änderungen. Welche Arten auf der Strecke bleiben, wird gerade erforscht.
Evolution.
Ob Eiszeit oder Erderwärmung: Zugvögel reisen bei jedem Klima. Das fanden deutsche Forscher des Max-Planck-Instituts für Verhaltensbiologie in Radolfzell heraus. Das Pendeln zwischen Winterquartieren und Brutplätzen gab es demnach schon vor 50.000 Jahren.
Die Wissenschafter simulierten am Computer, wie der Vogelzug entstand. Dafür stellte sie Kosten-Nutzen-Rechnungen auf: Der Energieaufwand für die Übersiedlung durfte nicht größer sein als der Energiegewinn am Zielort.
Es zeigte sich, dass die gefiederten Tiere auch in Kältephasen Flugstunden auf sich nahmen.
Allerdings reagierten sie in verschiedenen Teilen der Erde unterschiedlich auf die Temperaturveränderungen: In Europa, Asien und Afrika gab es während der letzten Eiszeit etwa gleich viele Zugvogelarten wie heute. Sie brüteten jedoch näher am Äquator. In Nord- und Südamerika dagegen lebten damals zwanzig Prozent weniger Zugvogelarten als heute. Vermutlich entwickelten sich viele erst nach der Eiszeit aus Standvogelarten. Im Schnitt legten die Zieher auch um 40 Prozent kürzere Strecken zurück als die Artgenossen aus Europa, Asien und Afrika.
Die Ergebnisse sollen helfen, die Auswirkungen des aktuellen Klimawandels auf die Überflieger vorauszusagen.
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