Unglaublich! Wer heute Amarna besucht, kommt in ein Niemandsland. Dort, wo vor mehr als 3.000 Jahren 30.000 bis 50.000 Menschen (je nachdem, welchen Ägyptologen man fragt) eine riesige Ebene bis zum Nil bevölkerten und eine ganze Stadt aus dem Sand stampften, ist heute – nichts! Von Echnatons prächtigen Tempeln sind nur eine wieder errichtete Säule und ein paar Fundamente erhalten. Was den Fundort der Nofretete – die Werkstatt des Bildhauers Thutmosis gleich vis-à-vis – betrifft, muss man sich auf das Wort des Führers verlassen. Kein Schild weist auf die Stelle hin, wo vor bald 110 Jahren die berühmteste Büste der Welt entdeckt wurde.
Bereits Echnatons Nachfolger begannen, die Erinnerung an den Ketzerkönig und sein Amarna-Projekt zu tilgen. Und so ist Neu-Amarna heute ein unbedeutendes Dorf in Mittelägypten zwischen den Städten Memphis (nahe Kairo) im Norden und Theben (Luxor) im Süden. Besucher verirren sich kaum hierher.
Beim Lokalaugenschein müssen die Wärter die Gräber erst aufsperren und das Licht einschalten. Die letzten Ruhestätten finden sich in den Bergen, die die Ebene, in der Amarna liegt, schützend umgeben. Wenn man von hier aus bis zum Nil schaut, der keinen Kilometer entfernt fließt, erkennt man, was Echnaton in diesem Platz sah – den Horizont des Aton (ägyptisch: Achet-Aton).
Im Spätfrühling seines fünften Regierungsjahres kam er in die Felsenbucht am Ostufer des Nils, um vor seinen versammelten Höflingen eine Verfügung zu erlassen, wonach er hier seine neue Hauptstadt, Achet-Aton, gründen würde, um Aton zu huldigen.
Dazu zog Echnaton eine Razzia am Firmament durch.
Der König verehrte nur noch einen Gott, dargestellt als strahlende, gleißende Sonnenscheibe. Was für ein Umsturz! Traditionell standen Ägyptens Götzen verborgen in den Tempelschreinen. Figuren aus kostbaren Materialien, die von den Oberpriestern täglich mit Speisen versorgt wurden. Man badete sie in Milch und kleidete sie an. Aton dagegen war unsichtbar, reines Licht und aufs Diesseits gerichtet.
Nahbeziehung zur Sonne
Balsamierer und Mumifizierer verloren an Ansehen. Der Kontakt zum Jenseits war unterbrochen. Alles, was dem Volk heilig war, trat der Erfinder des Monotheismus mit Füßen. Bereits dem Vater Echnatons, Amenhotep III., wird eine gewisse Nahbeziehung zum Sonnengott nachgesagt: Sein Palast nahe Theben wurde „Glanz des Aton“ genannt, er selbst setzte sich mit dem Sonnengott gleich und erschient zum Jubiläumsfest seiner Thronbesteigung von Kopf bis Fuß mit Goldschmuck bedeckt. Immer an seiner Seite: Teje, die Mutter Amenhoteps IV., wie Echnaton eigentlich hieß.
Schon anhand dieser Ehe zeigt sich, dass auch Amenhotep III. auf Konventionen pfiff: Entgegen der königlichen Tradition heiratete er die Bürgerliche Teje, als beide kaum älter als zwölf waren. Ermutigt von ihrem Mann begann die Tochter des Provinzbeamten Juja und der Sängerin Tuja, sich in Staatsangelegenheiten zu engagieren, wurde sogar „Große königliche Gemahlin“ genannt, war also quasi Mitregentin. Und schuf die Basis für den ungewöhnlichen Aufstieg ihrer Schwiegertochter Nofretete.
Um die ranken sich unzählige Legenden. Fragt man seriöse Ägyptologen wie Pamela Rose, wer Nofretete war, bekommt man als Antwort: „Das ist eine wirklich schwierige Frage.“ Die gebürtige Britin vom Österreichischen Archäologischen Institut hat jahrelang in Amarna gegraben.
Wir kennen ihren Namen , wissen aber sehr wenig über ihr Leben.
von Pamela Rose
Ägyptologin
Rose weiter: "Sie spielte eine religiöse Rolle, war Königin und die Mutter der sechs Töchter von Echnaton. Ansonsten wissen wir praktisch nichts.“ Ihr Background, ihre Familie, nichts davon wurde niedergeschrieben.
Alles, was damals in Stein gemeißelt wurde, war sorgfältig ausgewählt – man zeigte sich als heilige Familie, bestrahlt von den Göttern, als Beschützer von ganz Ägypten. Rose: „Ungewöhnlich für ein weibliches Mitglied der Königsfamilie, wurde sie neben dem Pharao porträtiert.“ In der königlichen Propaganda tritt sie stets zusammen mit Echnaton auf. Doch: „Aus dem Wenigen, was wir wissen, eine Persönlichkeit zu konstruieren, ist unmöglich.“
Fremde Prinzessin?
Also spekulieren wir ein bisschen: Sie könnte eine fremde Prinzessin – vielleicht die syrische Königstochter Taduchepa – gewesen sein; oder doch die Cousine ihres Ehemannes Echnaton. Gesichert scheinen sechs Töchter; die dritte – Anchesenamun – war die Halbschwester und spätere Ehefrau von Tutanchamun. Nofretete scheint eine bedeutende Rolle im politischen Leben der Amarna-Epoche gespielt zu haben. Manche versteigen sich sogar zur Annahme, sie könnte nach Echnatons Tod Pharao geworden sein. „Ich bin überzeugt, dass sie regiert hat – als Semenchkare“, sagt zum Beispiel der Ägyptologe Zahi Hawass.
Ihre Ehe mit Echnaton muss nach heutigen Maßstäben ein Horror gewesen sein: Der Amarna-König dürfte mit fünf weiblichen Verwandten ersten Grades Parallel-Familien gegründet haben: Mit seiner Mutter Teje und drei seiner Töchter. Aus den Beziehungen sind ausnahmslos Mädchen hervorgegangen – gleichzeitig Echnatons Töchter und Enkelinnen. Erst mit einer seiner Schwestern zeugte Echnaton schließlich den ersehnten Thronerben Tutanchaton/-amun. „Diese ganze Amarna-Familie ist ziemlich seltsam“, kommentiert Ägyptologe Hawass.
Tutanchaton wurde 1332 v. Chr.in Achet-Aton, der neuen Hauptstadt, geboren, die sein Vater innerhalb von drei Jahren aus dem Boden stampfen ließ. „Dort, wo die Wüste auf den Fluss trifft, befahl er den Bau zweier bedeutender Tempel für Aton, mehrerer Paläste und eines Verwaltungsquartiers, um die verschiedenen Abteilungen der Regierung unterzubringen“, schreibt der Leiter des Amarna-Projects der Universität Cambridge, Barry Kemp.
Echnaton nahm seinen königlichen Hofstaat mit. Weiters Beamte, Diener und Friseure. Dazu kamen die Verwalter, die nötig waren, um das Ägyptische Reich zu führen. Jeder höhere Beamte hatte einen überaus extensiven Haushalt und benötigte mehrere jüngere Beamte als Assistenz, wissen die amerikanischen Forscher nach Jahren der Grabung in Amarna.
Wie zu Hause
Als sie ankamen, fanden sie keine Stadt vor, die auf sie wartete. Alles, was der König getan hatte, war, eine lange, gerade Straße anzulegen, die einigermaßen parallel zum Fluss verlief. Die Hauptgebäude, die er wünschte, einschließlich der Tempel, wurden dann auf beiden Seiten erbaut.
Was der Einzelne tun musste, war, ein Grundstück zu wählen und sein Haus darauf zu erbauen. Sie nahmen dabei jene Orte zum Vorbild, in denen sie zuvor zu Hause waren. Das Ergebnis war eine Reihe von sich überlappenden und miteinander verschmelzenden Dörfern, in denen sich die Menschen zwischen Zentrum und Vororten frei bewegen konnten. Einen vorgegebenen Grundriss gab es nicht.
Knochenfunde zeugen vom elenden Leben der damaligen Arbeiter. Um die prachtvollen Tempel und Paläste zu errichten, mussten Tausende Steinblöcke bei sengender Hitze transportiert werden. Schwerste Knochenbrüche und Rückenmarksverletzungen, die vom Tragen zu schwerer Lasten herrührten, waren die Folgen. Die Menschen hatten die durchschnittlich kleinste Körpergröße in der Geschichte Ägyptens; viele starben als Teenager. Ausgräber Kemp: „Die Knochen enthüllen die düstere Seite des Pharaonenkults.“
In den wenigen Jahren seiner Herrschaft revolutionierte Echnaton auch die Kunst: Vor ihm statisch und starr, wird jetzt sogar der Wind dargestellt, die Künstler zeigen Menschen nicht mehr nur gerade aufgerichtet, sondern in entspannter Haltung und in leichter Drehung. Sogar Bäuche, die über die Kleidung quellen, und in die Länge gezogene Köpfe sind zu erkennen.
Nach dem Tod Echnatons 1334 v. Chr. endet seine Revolution. Sein Name wird aus Inschriften herausgeschlagen, seine Stadt dem Wüstensand überlassen. Heute finden sich nur noch wenige Aton-Symbole in den Gräbern hoch über Amarna. Stattdessen hat man in Neu-Amarna ein riesiges Visitor-Center errichtet. Rekonstruktionen der Stadt vermitteln einen Eindruck, wie der Tempel, die Häuser und Gärten ausgeschaut haben und wie es sich hier lebte. Auch eine Replik der Nofretete ist ausgestellt. Der Museumswärter bekommt ganz traurige Augen, als er erzählt, dass das Original in Berlin steht. Missbilligung liegt in seinem Kopfschütteln.
Doch davon erfährt keiner etwas, denn das Visitor-Center ist menschenleer und wird ebenfalls erst für uns aufgesperrt.
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