Wie viel Zucker sollen Kinder essen?
"Kinder werden mit Zucker angetriggert", daher seien auch Müsli-Verpackungen "wie dicke Brüste in der Strip-Bar": Mit provokanten Aussagen hielt sich der deutsche Starkoch Tim Mälzer in einer ARD-Diskussion in der Sendung "Hart aber fair" zum Thema Zuckergehalt in Lebensmitteln wirklich nicht zurück.
Als Zuckergoscherl wird Tim Mälzer jetzt nicht mehr durchgehen. Ernährungsmediziner freuen sich über Unterstützung vom prominenten TV-Koch. Manches, das Mälzer so wütend macht, prangern auch Experten immer wieder an.
Im Rahmen einer EU-Studie wurde etwa festgestellt, dass der durchschnittliche Zuckerkonsum in Wien bei 13- bis 17-Jährigen bereits 20 Prozent der täglichen Energiezufuhr beträgt. "Damit liegen wir in Europa im Spitzenfeld", sagt Ernährungsmediziner Univ.-Prof. Kurt Widhalm. "Ein Lebensmittel kann zwar nie allein schlecht sein. Aber Zucker ist sicher ein Faktor für Insulinresistenz und damit Diabetes und Übergewicht."
Bewegungsmangel
Fatal ist die Kombination von zuckerhaltigen Lebensmitteln und wenig Bewegung. "Wer drei Stunden Tennis spielt, wird mit zwei zuckerhaltigen Getränke danach kein Problem haben. Aber für jemanden, der nur vor dem Computer sitzt, ist diese Menge schon zu viel."
Versteckter Zucker, wie etwa in Softdrinks und Fertigprodukten, beeinflusst zudem das Ernährungsverhalten, fanden Forscher der Emory University School of Medicine in Atlanta heraus. Kinder, die Nahrungsmittel mit viel zugesetztem Zucker konsumieren, neigen dazu, weniger gesunde Lebensmittel wie Obst, Gemüse oder Vollkornprodukte zu essen. Die Studie wurde im Fachmagazin Circulation veröffentlicht. Die Autoren beklagen, dass es keine Richtlinien gibt, wie viel zugesetzter Zucker für Kinder gesund ist.
In den USA ist der Zuckerkonsum besonders hoch, darauf deutet die Zunahme an Übergewichtigen hin. "Das durchschnittliche amerikanische Kind konsumiert rund drei Mal so viel Zucker wie empfohlen", heißt es in der Studie. Den Eltern empfehlen die Forscher, Produkte wie Müsli-Riegel, Kekse oder gesüßte Cerealien zu meiden.
Gerade diese werden auch hierzulande gerne als gesund vermarktet. Was diese stark beworbenen, versteckten Zuckerbomben betrifft, kann der Stoffwechselexperte Widhalm dem Live-Ausbruch Tim Mälzers etwas abgewinnen. Die Wirkung von Werbung sei bekannt. "Wenn man sich die Werbeeinschaltungen für zuckerhaltige Produkte anschaut, spricht sie sogar Erwachsene stark an." Bei Kindern wirken diese "Mechanismen, die durch Außenreize angeregt werden", dann erst recht.
Der "heranrollenden Epidemie" übergewichtiger Kinder und Jugendlicher Einhalt zu gebieten, muss für den Experten bereits in der Familie beginnen. "Man darf nicht erst etwas dagegen tun, wenn ein Zehnjähriger schon 80 Kilogramm auf die Waage bringt." Auf Übergewicht müsse frühzeitig hingewiesen werden. "Wenn innerhalb eines Jahres drei Kilo zugenommen werden, sollte man schon gegensteuern. Je länger man zuwartet, desto schwieriger wird es." Ebenso sollten Eltern beim Gewicht ihres Kindes nichts beschönigen. "Wir wissen aus Studien, dass Eltern eine Übergewichtsgefahr ihres Kindes sehr oft geringer einschätzen."Info:
Lesen Sie am Sonntag in "mein sonntag", wie ein zuckerfreies Leben funktioniert.
Ist Zucker wirklich so schädlich, wie so oft betont wird? Der Diät- und Ernährungsexperte Sven-David Müller und der Publizist Detlef Brendel glauben das nicht. "Die Vermeidung von Zucker bringt für die Gesundheit keine Vorteile." Man brauche vor einer normalen Zuckeraufnahme keine Angst haben. Diese "religiöse Verdammung", schreiben sie in ihrem Buch "Die Zuckerlüge", solle der Gesellschaft aufgezwungen werden. Süßes liegt aber vielmehr in der menschlichen Natur, das zeigen bereits die Reaktionen von Neugeborenen auf süßen Geschmack.
Häufig wird das Verlangen nach Zucker mit Sucht gleichgesetzt. Forscher aus mehreren europäischen Ländern fanden allerdings in einer Studie keinen Ernährungsbestandteil, der süchtig macht – lediglich das Koffein im Kaffee könne abhängig machen. Um den Faktor Lebensgestaltung kommen auch Müller und Brendel nicht herum. Letztlich sei ein normaler, gesunder Ernährungsstil die Grundlage, Zucker – in Maßen – zu genießen.
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