Traumabewältigung: Wie viel kann ein Mensch ertragen?
Zwischen Schutt und Beton suchen Einsatzkräfte in Genua weiter nach Vermissten des verheerenden Brückeneinsturzes. Viele Opfer sind traumatisiert, doch nicht nur sie. Denn neurobiologisch bedingt hinterlässt es bei jedem Spuren, wenn er mitansehen muss, wie andere leiden. Je länger dies der Fall ist, desto belastender wird es. Man spricht auch von einer sekundären Traumatisierung.
Dahinter liegen dieselben Entstehungsmechanismen, wie bei einer direkten Traumatisierung. Sie tritt auf, wenn ein bestimmtes Ereignis zu einem intensiven Gefühl der Angst, Ohnmacht, des Kontrollverlusts führt und die üblichen Bewältigungstrategien übersteigt.
Angehörige und Sanitäter erleben das katastrophale Ereignis dann vor ihrem inneren Auge immer wieder. „Albträume oder Flashbacks sind in dieser Zeit normal. Nach ein paar Wochen schwächen die traumatischen Erinnerungen ab. Manchen Menschen, rund fünf bis zehn Prozent, tragen aber psychische Störungen davon. Sie entwickeln eine posttraumatische Belastungsstörung“, sagt Monika Stickler, Leiterin der Abteilung für Psychosoziale Betreuung im Österreichischen Roten Kreuz: „Symptome sind Schlaflosigkeit, wiederkehrende traumatische Erinnerungen, Unruhe und Verhaltensänderungen. Man reagiert nervöser, beginnt etwa wieder zu rauchen.“
Widerstandskraft
Die Kriseninterventonsexpertin diskutierte bei den Gesundheitsgeprächen des Europäischen Forums Alpbach mit anderen Fachleuten über Erfahrungen und Strategien zur Bewältigung und Stärkung von Resilienz. Damit ist die psychische Widerstandskraft gemeint, die Fähigkeit, Krisen zu bewältigen.
Wie gut man mit Krisen umgehen kann, hänge in erster Linie vom sozialen Gefüge ab. „Das Fundament der Resilienz ist die Bindung zu Bezugspersonen. Weiters spielen erlernte Bewältigungsstrategien eine Rolle“, fasst Silvia Exenberger vom Department für Medizinische Psychologie an der Uni-Klinik Innsbruck zusammen. Eigentlich sind alle Menschen mit einem guten Stressreaktionssystem ausgerüstet. Extremsituationen können es aber überlasten. Bildgebende Verfahren haben gezeigt, dass in Folge bestimmte Hirnareale angegriffen werden und diese sogar schrumpfen:Der Hippocampus, zuständig für die Gedächtnisbildung, und der präfrontale Kortex, wichtig für die Entscheidungsfindung. Die Amygdala hingegen ist überaktiv – das ist jenes Areal, in dem Emotionen verarbeitet werden.
Gerade Einsatzkräfte sind häufig mit extremen Situationen konfrontiert – von Verkehrsunfällen bis hin zu Gewalterfahrungen, auch gegenüber Kollegen und Kolleginnen. „Insbesondere Polizisten werden häufig bedroht“, sagt Stickler. Das betrifft aber auch Berufsgruppen, die öffentlich weniger wahrgenommen werden – zum Beispiel die Hauskrankenpflege. Unabhängig von der beruflichen Tätigkeit, ist eine gute Widerstandsfähigkeit für jeden Menschen wichtig. Doch was kann man tun, um die eigene Resilienz zu fördern?
Resilienz fördern
„Es geht um Stressreduktion. Darum, sich Zeit zu nehmen, um sich selbst etwas Gutes zu tun. Freunde treffen, Yoga, ein Buch lesen – alles, was Erholung bedeutet“, betont Stickler. Wichtig seien aber auch Routine und Rituale: „Wenn ich von einem Kriseninterventionseinsatz nach Hause komme, gehe ich immer gleich duschen und ziehe mich um.“
Ein wichtiger Baustein ist außerdem das Gespräch mit anderen. Es bietet die Möglichkeit zu verstehen, wie es zu einer gewissen Situation gekommen ist und wie diese einzuordnen ist. „Das Gefühl der Handlungsfähigkeit und die Situation überblicken zu können, hilft, mit Stresssituationen besser klar zu kommen.“ In allen Einsatzorganisationen gibt es zudem ein Peer-System: Eine speziell geschulte Person aus dem Team steht allen als Ansprechperson zur Verfügung.
Psychologin Sabine Exenberger fügt hinzu: „Wir wissen, dass soziale Unterstützung und die Verfügbarkeit von Bezugspersonen die Entwicklung von posttraumatischen Belastungsstörungen und auch die akute Traumatisierung dämpfen können.“
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